Rudi Kölmel im September 2006 i.d.F. vom 08.09.2010

 

Alter, Tod, Vergänglichkeit

 

1. Denkansätze

 

1.1. Einleitung

 

Alle wollen es werden, keiner will es sein, was ist das eigentlich, klar das Alter natürlich. Der Mensch ist für mich ein Gefüge aus Körper und Psyche und einer Gemeinsamkeit mit der Eintagesfliege, der Verfallszeit nämlich.

Nachdem ich erkannt habe, dass ich mit der Vollendung des fünften Lebensjahrzehnts bereits mehr Tage hinter mir, als vor mir habe, werde ich feinfühliger gegenüber dem Alter. Michel Montaigne hatte in seiner Zeit viel früher mit dem Bedenken dieser Dinge begonnen. Ich denke aber, jeder weiß selbst, wann der Zeitpunkt dafür reif ist.

Wie fühle ich es eigentlich, dieses Etwas, das sich seit meinem ersten Atemzug an meine Seite gestellt hat.

 

Ich beginne zu begreifen, dass der individuelle Tod für mich eine ästhetisch-philosophische Dimension angenommen hat, der ich mich nicht nur in Zeiten größter physischer oder psychischer Bedrängung zuwidmen darf, sondern die Lebensaufgabe ist.

 

Mein gesteigertes Interesse für das Alter begann im 49 Jahr meines Lebens nach dem Lesen eines Gedichtes von Friedrich Rückert, „Mit vierzig Jahren"

„Mit vierzig Jahren ist der Berg erstiegen,
Wir stehen still und schaun zurück;
Dort sehen wir der Kindheit stilles liegen
Und dort der Jugend lautes Glück.

Noch einmal schau, und dann gekräftigt weiter
Erhebe deinen Wanderstab!
Hindehnt ein Bergesrücken sich, ein breiter,
Und hier nicht, drüben geht's hinab.

Nicht atmend aufwärts brauchst du mehr zu steigen,
Die Ebene zieht von selbst dich fort;
Dann wird sie sich mit dir unmerklich neigen,
Und eh' du's denkst, bist du im Port.“

 

1.2 Grund für Angst und Furcht vor dem Alter und dem Tod

 

Es ist ganz offensichtlich, dass das Alter und der bei den anderen gesehene Tod Unbehagen auslöst, man sieht dies gerade an der Altersklasse, die davon betroffen ist. Der Jugend mag man das Merkmal der Unbeschwertheit zusprechen, der junge Mensch fühlt sich vom Alter und dem Tod in der Regel nicht sonderlich tangiert. Der im Herbst sich befindliche Mensch sehr wohl. Dies liegt daran, dass der Mensch ein empirisches Wesen ist und erkennt, dass Dinge die geschehen sind, sich wiederholen. So erfährt bereits der Jugendliche, dass in der Regel eben ältere Menschen sterben und der ältere Mensch mag spüren, dass er mehr Tage hinter sich , als vor sich hat. So einfach ist es eben. Gleichwohl vermittelt diese instinktive Gestimmtheit für den jungen und den älteren Menschen keine Gewissheit. Um an dieser Stelle Montaigne vorwegzunehmen, das Leben wird nicht nach Ellen bemessen.

 

Weshalb lassen sich Menschen die Falten wegoperieren? Wie kann man Menschen einordnen, die sich „Frischzellen“ spritzen lassen. Sie sind meines Erachtens bereits in einer gesteigerten Sorgestruktur verfangen und wollen vor den körperlichen Verfallserscheinungen fliehen, diese verdrängen, sie sind wohl näher an dem antiken Unsterblichkeitsmythos, der Medusa, als andere.

Als Perseus der Medusa den Kopf abschneidet sickert aus der linken Vene ein starkes, schnell tödliches Gift, aus der rechten Vene jedoch ein unglaubliches Heilmittel, welches sogar Tote zum Leben erwecken konnte. Dies tat Asklepios auch reichlich, bis sein Tun von Zeus als unbotmäßige Hybris erkannt und mit einem Blitz bestraft wurde, nachdem sich der Herrscher der Unterwelt, Hades, bei Zeus wegen abnehmender Kundschaft beschwerte. Nach diesem Lebenselexier suchten die Wunderheiler und Magier die ganzen Jahrtausende hindurch.

In unserem technisierten Zeitalter besteht der Wunsch fort, nur etwas moderner. Menschen lassen den toten Leib in Stickstoff einfrieren, um ihn irgendwann auftauen zu lassen. Dies versehen mit der Hoffnung, dass eine künftige Medizin in der Lage sei, ein Wiederaufleben der Lebensfunktionen zu ermöglichen.

 

Der überall gegenwärtige Dualismus zeigt sich ganz deutlich bei der gefühlten Gestimmtheit, die bereits die Erwähnung des Todes bei den meisten Menschen auslöst. Der Tod wird nämlich als Widerspruch gesehen, als Widerspruch zum Leben.

Eigentlich ist dies eher normal, wissen wir doch seit Heraklit, dass jeder Grund seinen Gegengrund hat. Im Sinne dieser heraklitischen Sichtweise müsste der Tod als Gegengrund zum Leben oder das Leben als Gegengrund zum Tod doch eine zumindest neutrale Gestimmtheit auslösen können, weil es eben so ist und nichts anderes erfolgreich behauptet werden kann.

Die Lebenswirklichkeit der Menschen spricht jedoch eine andere Sprache!

Es ist nun mal oft nicht so, dass der bevorstehende Tod als Widerspruch ausgehalten wird. Der  Mensch flieht vor der Unsicherheit. Das Streben nach Sicherheit ist anthropologisch bedingt und entstammt dem Selbsterhaltungstrieb.

 

Das  Nicht-Aushalten der irgendwann sicheren Ankunft des Todes als Daseinsvernichter gebiert Angst und Furcht. Sich mit dem Vorwand, es sei ein zu düsteres Thema, nicht mit dem Tod auseinandersetzen zu wollen, ist jedoch Verdrängung, nichts anderes.

 

Durch Verdrängung kann man die offene und/oder unterschwellige Angst und Furcht nicht beseitigen. Schlimmstenfalls wird sie noch verstärkt. Da die Psyche des Menschen die offene, das heißt, ungelöste Angst- und Sorgestruktur auf Dauer nicht ertragen kann, sucht er nach Heilmitteln. Seine Angst ist sogar so groß, dass er bereit ist, sich lebenslang Placebos zuzuführen. Das bekannteste Beispiel für solch ein Placebo ist aus meiner Sicht etwa die Religion.

Bei dieser Suche sehe ich  bis auf weiteres eine Dualität der Wege:

 

1.2.1 transzendentaler Weg, Mythos, Glaube (etwa, der Mensch lebt nach dem Tode weiter)

 

Die am Horizont des Denkens entstehende Angst und Furcht vor der Gewissheit des Todes hat zu Unsterblichkeitsmythen geführt. Dies haben die Gottesmacher genial erkannt und Götter erfunden. Als Lohn für die Götterverehrung wurde die transzendentale Hoffnung auf ein angeblich ewiges Leben ausgelobt. Insbesondere monotheistische Religionen haben dies erkannt und vertrösten ihr Klientel auf ein Weiterleben nach dem Tode. Dadurch wird dem an die jeweiligen Konstrukte Glaubenden als Lohn die Angstfreiheit vor der individuellen Endlichkeit des Seins suggeriert. Der Gedanke des Weiterlebens nach dem Tode wurde bereits lange vor dem Nazarener gedacht und wurde in Platons Ideenlehre von dem absolut Guten und Göttlichen im Dialog Phaidon beschritten.

 

1.2.3 Selbst denken

 

Wiederum andere begaben sich in keine drittgesteuerte Unmündigkeit und bedienten sich ihres eigenen Verstandes, frei nach Horazius Quintus Flaccus, sapere aude. Die Spezies der Selbstdenkenden ist wegen der damit verbundenen Unbequemlichkeit jedoch zahlenmäßig in der Minderheit.

Hingegen ist es bequem, tradierte Werte über ein ganzes Leben hinweg unreflektiert wirken zu lassen, einfach nachzuplappern und wiederum den Nachfahren weiterzurreichen.

Zu diesen Selbstdenkenden zähle ich etwa jene, die schon in früher Zeit gegen den Mainstream davon ausgingen, dass der Tod wegen des gleichzeitig eintretenden Todes der Seele den Menschen überhaupt nicht berühre. Man kann diese durchaus auch als Sinnstiftungsgeber bezeichnen, da sie letztlich zum Teil auch Schulen gründeten, also Anhänger hatten. So etwa die Epikureer (Epikur, Lukrez).

 

1.3. Wissen über den Tod

 

Überhaupt fällt mir zu dem Komplex zwischen Alter und Tod zunächst auch gleich eine der vier kantischen Fragen ein: „Was kann ich wissen" Dies zu klären erfordert eine phänomenologische Herangehensweise, mithin deskriptiv wertfrei. Ich denke, dass man dem Tod qualitativ nur und erst dann gegenübertreten -im Sinne von sich annähern- kann, wenn man versucht sein Wesen zu ergründen. Was aber ist sein Wesen, erklärt er sich etwa? Der Tod auf der Zeitschiene betrachtet, wie verhält er sich eigentlich? Um ein Wesen des Todes erkennen zu können, muss ich also zuerst das Wissen über den Tod auf den Tisch legen.

Dabei komme ich recht schnell zu dem Zwischenergebnis, dass ich über den Tod eigentlich nichts weiß. Erkenntnistheoretisch führt keine Methode zum Erfolg.

 

1.3.1 „a priori“ Wissen, welches von Natur aus dem Menschen beigegeben ist

 

Ein a priori-Wissen über den Tod kann es nicht geben, da das Sterben noch zum Leben gehört, der Tod aber außerhalb steht. Der Sinnspruch „mors certa, hora incerta", der Tod ist gewiss, ungewiss ist nur die Stunde, stellt zwar gesichertes Wissen dar, vermag aber das Wesen des Todes nicht erklären.

Da ich selbst noch lebe, kann ich nichts über den Tod wissen. Ich weiß jedoch, dass der Tod mein Tod sein wird; es gehört zu seinem Wesen, dass er höchstpersönlich ist. Während man sich im allgemeinen Geschäftsverkehr vertreten lassen kann, ist dies beim Tod nicht möglich. Man stirbt immer nur den eigenen Tod, für sich selbst.

Die Redearten sind eben auch nur sprichwörtlich zu verstehen. Der Soldat stirbt eben nicht für das Vaterland, sondern für sich selbst.

 

1.3.2 „ a posteriori“ Wissen, welches durch Erfahrung entsteht

 

Diejenigen, die tot sind, können nichts mehr vermitteln, damit scheitert auch der Empirismus, der auf Erfahrungswissen basiert.

Der Tod ist lediglich  in seinem Ob ein empirisches Faktum der menschlichen Erfahrung, insoweit die Zielgewissheit des Seins eben der irgendwann eintretende Tod sein wird.

 

Irgend ein Weiterleben nach dem Tode berührt Bereiche des Mystizismus und des Glaubens, ohne den geringsten Anspruch auf Falsifizierbarkeit.

 

Tradiertes, somit weitervermitteltes Wissen, wird in dieser Hinsicht auch nicht durch reanimierte Personen mit sogenannten Todeserfahrungen, Grenzerfahrungen, ermöglicht.

Diese Personen leben im Zeitpunkt ihrer Schilderungen, ihre Darlegungen sind Meinungen, nicht Wissen.

Von der Spezies, die Tausende Seiten religiöser Texte verfassten, um den Rest der Menschheit mit  sinnstiftenden Halbheiten zu beglücken, ist auch noch keiner zurückgekehrt, um das Rezept für ein Weiterleben nach dem Tode zu veröffentlichen.

Wir erfahren also letzten Endes gar nichts über den Tod, wir erfahren ausschließlich nur die persönlichen Empfindungen, die der Tod Anderer bei uns auslöst, etwa Trauer, Mitleid, Freude, Genugtuung.

 

1.4. Das Wesen des Todes

 

1.4.1 allgemein

 

Ganz offensichtlich ist es eine Eigenart des Menschen, das Alter zu personalisieren oder in ihm eine Erscheinung statt nur eine natürliche Folge zu sehen. Es findet eine Reduktion statt auf die eigene Lebensspanne, den Zyklus, der sich von der Geburt bis zum Tode hinzieht. In diesem Reduktionsprozess zeigt sich ein Phänomen, das Alter wird dann teilweise als Dieb oder Räuber angesehen, als sei es seine Wesensart, dem Menschen seine Lebenszeit zu stehlen.

Der Distinguierungsprozess, in dem sich die menschliche Spezies so gerne von der Tierwelt unterschieden wissen möchte, hat einen fürchterlichen Preis.

Mit der Fähigkeit des Denkens kam auch die Angst und Furcht vor dem Tod. Es ist die schiere Gewissheit, die Horaz mit wenigen Worten aussprach „mors ultima linea rerum est“, der Tod steht am Ende aller Dinge.

 

Der Wunsch, keine Furcht vor dem Tode zu haben, zieht sich durch das durch das gesamte menschliche nachgewiesene Denken.

 

Erreichen können dieses Ziel indes nur wenige. Jedenfalls fällt auf, dass diese beiden Begriffe zumindest ab einem bestimmten Lebensabschnitt negativ besetzt werden, während viele junge Mensch das Alter bis zu einem gewissen Punkt sogar wünschen.

So wird das Alter ersehnt von Menschen, wo eine Erlaubnis an einen zeitlich in der Zukunft liegenden Zeitpunkt geknüpft ist. In der Regel ist dies bei jungen Menschen der Fall, die etwa den Wunsch nach einem Führerschein haben oder damit die Schule beendet ist. Nach der Sturm- und Drangphase beginnt dann der Abschnitt, der bereits möglicherweise von einer Zukunftsplanung beherrscht wird, erste Gedanken über das Alter kommen auf bei einem Berufsanfänger, der eine Lebensversicherung abschließt, später wird der gleiche Mensch dann vielleicht sogar eine Sterbegeldversicherung abschließen. Da ist es wieder, das Phänomen, die Eintrittspforte in eine Angst- und Sorgestruktur, die anscheinend mit dem fortschreitendem Alter verbunden ist.

 

1.4.2  Der Mensch hat kein Interesse an der Zeit vor der Geburt

 

Auch fällt auf, dass sich der menschliche Geist fast immer auf den Abschnitt vom Alter bis zum Tod und an die Möglichkeit eines Weiterlebens nach dem Tod richtet.

Weit weniger denkt er an den Zeitraum des derzeitigen Alters bis zum Zeitpunkt der Geburt. Ich selbst finde eine Freude darin, ab und an die Plätze aufzusuchen, an denen ich als Kind spielte. Dabei befallen mich dann Gedanken, wieso gerade alles so und nicht anders gekommen ist.

 

Noch viel weniger befasst sich der Mensch an eine mögliche Zeit vor der Geburt, wie dies etwa

Epikur, Lukrez ( de rerum natura; III, 972),

Cicero (de finis bonorum et malorum; Kap 15, § 49),

Michel de Montaigne (Philosophieren heißt Sterben lernen) und

Arthur Schopenhauer (Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden 1977, Ergänzungen zum vierten Buch, Kapitel 41“Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich“ es taten.

 

Für zwei  klassische Religionen, das Christentum und den Islam, ist die Zeit vor der Geburt nicht relevant, sondern nur die Zeit nach der Geburt.

Die Zeit vor der Geburt ist Nichtsein, die Abwesenheit des Lebens nämlich. Weshalb sollte also gerade die Zeit nach dem Tod nicht auch nur schlichtes Nichtsein darstellen, dieser Gedankengang ist doch nachvollziehbar!

Das Phänomen, dass die Zeit vor der Geburt den Menschen im Gegensatz zum Zustand nach dem Tod nicht ängstigt, ist genau der Nebel, aus dem die Religion entsteht. Anhand dieser Betrachtung erscheint es mir hinreichend klar, dass Religion aus Angst entsteht. Dies ist aber Gegenstand einer anderen Betrachtung.

 

1.4.3  Der Tod ist ein Erfüllungsakt und kein Gewaltakt

 

Schlicht singulär besehen, beschreibt der Tod einen Zustand, das Tot-Sein im Sinne des Getrennt-Seins des Körpers von der Seele.

Eigentlich sehe ich mich in vielen Anschauungen als Skeptiker, ich stelle also Dinge bis zum Beweis oder Gegenbeweis in Frage. In dieser Stimmungslage könnte ich auch durchaus argumentieren, auch ein Weiterleben nach dem Tode sei offen, da es nichts dafür oder dagegen gebe.

Intuitiv habe ich mich dennoch bis auf weiteres dafür entschieden, ihn als ultimative Totalität, als höchstpersönliche und individuelle Schnittstelle anzusehen. Er schneidet das Leben ab, wobei das Zukünftige im nur prognostizierten Bereich liegt.

Die früher funktionierende Einheit zwischen Körper und Seele erfährt es nicht mehr. Mich überfällt dabei aber nicht das Gefühl dass es eine letzte Schlacht wäre, in der der Tod obsiegt, denn damit wäre der Tod ein Gewaltakt, ein Waterloo. Mit einem solchen Gewaltakt würde dem Leben also Gewalt angetan.

 

Der Tod ist aber kein Gewaltakt, sondern ein Erfüllungsakt!

 

Im Altwerden und Sterben, unabhängig von den vielleicht vorliegenden erschwerten individuellen Umständen, liegt ein Erfüllungsakt, in dem sich die Vorherbestimmtheit des naturbestimmten Zyklus erschöpft. Genau dies erscheint mir die Geschäftsgrundlage jedes Lebens.

So empfinde ich den Tod nicht als einen Prozess des Wegreißens oder der Zerstörung des Lebens, sondern als einen Akt, in dem sich -bildlich gesehen- Leben und Tod die Hände reichen. Das entspricht wohl auch der Ansicht von Epikur und Lukrez.

 

1.4.3  Schnittstelle zwischen Leben und Tod

 

Dabei fasziniert mich der Begriff der Schnittstelle zunehmendst, sie ist die Konstante im Schauspiel, wenngleich unbestimmt in der Zukunft liegend. Das Leben, aus anthropologischer Sicht gesehen, ist ein Prozess des Selbstzwecks, etwa das Streben nach Reproduktion oder das schlichte Ausleben des Selbsterhaltungstriebes, angereichert vom Sinngehalt der individuellen Perspektiven.

Mit jedem Zeitablauf (Sekunde, Minute, Stunde, Tag etc.) nähern sich alle Wesen der Schnittstelle an, unablässig und undabänderlich. So unabänderlich, wie ein fallendes Blatt auf der Erde ankommt.

Damit komme ich zu einer faszinierenden Fragestellung, die ich mit meinen Möglichkeiten gerade andenken, aber nicht ausdenken kann.

Welche zeitliche Ausdehnung hat diese Schnittstelle zwischen Leben und Tod eigentlich, welche Tiefe, welche Stimme oder Farbe hat sie, hat sie eine Kubatur ? Kann man das sagen, es trennt mich nur noch eine hundertmilliardstel Sekunde vom Tode?

Sie ist für mich der momenthafte Augenblick, in dem das Leben noch gerade soviel Leben ist, um sich noch so nennen zu dürfen, der Tod jedoch bereits so nahe ist, dass man nicht mehr vom Leben im Sinne der üblichen Schemata sprechen kann.

Wie schwierig die Abgrenzung ist, zeigt sich an der Unterscheidung zwischen Hirntod und Herztod. Ein weiteres Mysterium scheint mir auch der Körpertod zu sein, wiewohl doch noch Haare, Finger- und Fußnägel nach dem klassischen Tod eine gewisse Zeit weiterwachsen, da der Körper trotz Zusammenbruchs des Vitalsystems noch über Vitalstoffe (Mineralstoffe, Vitamine) verfügt, deren Abbau sich noch eine gewisse Zeit hinzieht.  Das Phänomen zeigt sich auch bei den Pflanzen. Einer gefällten Pappel treiben an der Oberseite im Frühjahr auch wieder Sprosse aus. Wo also ist die Schnittstelle letztlich angesiedelt? Mit meinem derzeitigen Wissen kann ich mir die Frage nicht beantworten.

 

1.5. Tabuisierung des Todes

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ich meine Todesvorstellung vielleicht ändern sollte, erscheint mir auch eine interkulturelle Betrachtung und eine Betrachtung der Zeitalter notwendig.

Zunächst ist bemerkenswert, dass das Mittelalter, dem man ja auch den Beinamen, das „dunkle Mittelalter“ gibt, viel lockerer mit dem Tod umging, als dies in unserer heutigen Informationsgesellschaft der Fall ist. Damals gab es auch den Totentanz und die bildliche Darstellung des  Skelettes als Sensenmanne war Normalität.

Äußert man heute, dass man sich Gedanken über den Tod mache, erfährt man eher Ablehnung, es passt nicht in die Spaß- und Freizeitgesellschaft. Im Mittelalter war der Tod allgegenwärtig. Es gab im Gegensatz zu heute viel weniger den Alterstod, demgegenüber jedoch eine immense Säuglingssterblichkeit und den Tod in jungen Jahren. Seuchen und heute nicht mehr maßgebende Krankheiten und der noch in der Ferne liegende medizinische Fortschritt waren die Ursachen.

Der Spielplatz des Todes war die Familie, dort wurde gestorben. Damit war der Tod eben sozialisiert, er war eingebunden. Er war durch die Alltäglichkeit internalisiert, also verinnerlicht.

Ohne auf den Übergang und die Gründe dazu einzugehen, kann festgestellt werden, dass unsere heutige Spaßgesellschaft sich vom Tod belästigt fühlt, sie hat ihn deshalb verbannt. Aber wohin? Sie hat ihn abgeschoben ins Altersheim und in die Hospize. Damit wurde er aber auch desozialisiert. Man bezahlt für das Geschäft mit dem Alter und dem Tod und je teurer es ist, desto besser scheint das Gewissen.

Sicherlich ist es äußerst fremd, soweit man nach Nietzsches Zarathustra das Sterben als Fest feiern solle, manche Kulturen feiern jedoch jährlich den angeblichen Besuch ihrer verstorbenen Angehörigen. Während etwa in Deutschland der Feiertag Allerseelen am 1. November ein Trauertag ist, wird er im durch und durch katholischen Mexico als „Dia de los Muertos“ in einer Art Totenvolksfest zu Ehren der Verstorbenen begangen.

Das Fest dauert zwei Tage und am 2. November wird auf dem Friedhof zusammen gegessen, getanzt und musiziert. Man schenkt sich gegenseitig Drahtskelette, künstliche Totenköpfe, Marzipansärge und Totenköpfe aus Zuckerguss. Dieses Totenfest wurde von der Unesco 2003 als „Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ proklamiert. Bei den Ursprüngen dieses Totenfestes handelt es sich um mehrere tausend Jahre alte präkolumbianische Riten der Azteken, Tolteken, Olmeken und Mayas. Die christlichen Missionare erkannten die Übereinstimmung mit dem Gedanken des Weiterlebens nach dem Tode und verschoben das Fest kurzerhand auf Allerseelen. Jedenfalls zeigt diese Art des lockeren und freudigen Umgangs mit dem Tod, dass die Auffassung der abendländischen Industrienationen nicht die alleine richtige sein muss.

 

1.6 Topoi des Todes, Kategorisierung

 

Zunächst erscheint es mir notwendig, die Paradigmen der Einschätzung der Begriffe Alter, Tod und Vergänglichkeit zu kategorisieren. Dabei finde ich 3 Gruppen. Die erste Gruppe definiert Alter und Tod als Übel, die zweite sieht darin eine naturgemäße Gegebenheit ohne Angst und Furcht, die dritte Gruppe wertet die Begriffe neutral. Diese thematische Eingrenzung möchte ich mir näher ansehen, insbesondere, ob sich seit der Alten Zeit bis zur Jetztzeit etwas daran geändert hat. Dabei versuche ich, Anschauungen und philosophische Aussagen diesen Gruppierungen zuzuordnen, um diese dann im Gesamtbild auf mich wirken zu lassen.

 

2. Negative Einstellung gegenüber Alter und Tod, der Tod wird als Übel angesehen

 

Die überwiegende Mehrheit der Menschen besetzt den Altersbegriff, soweit sie sich davon selbst betroffen fühlen, negativ. Der häufigste vorkommende Topos -mithin geistiger Gemeinplatz- ist das Einstimmen auf eine rasch dahinfliegende unbeschwerte Jugend, um dann in eine breit gefächerte Altersklage überzugehen, in der das Jammern über Krankheiten, Schmerzen, Kraftlosigkeit, Vergesslichkeit, Verfall des Körpers, Verlust der Schönheit und Einsamkeit, vorherrscht.

Das Alter wird aus der Sicht der meisten Menschen negativ bewertet, da es zwangsläufig mit dem nahenden Tod assoziiert wird (so etwa Euripides im „Herakles").

 Da der Tod der Gegenspieler des Selbsterhaltungstriebes ist, wird dem Alter die Eigenschaft des Bedrohlichen zugedacht. Diese Verkürzung wird jedoch dem Wesen des Alters nicht gerecht.

Die Literatur zur Anklage des Alters ist älter als 2000 Jahre und überwiegend in den Komödien und Tragödien der Antike angesiedelt. Heute wiederum gibt es eine breitgefächerte Literatur, die wiederum die Literatur in der Antike zum Gegenstand hat. Dies verwundert wenig. Gerade im griechischen Kulturraum war das Sein geprägt vom Jugend- und Schönheitsideal, das Alter stellte dazu eine Gefahr dar. So frage ich mich auch, was werden Menschen in 1000 Jahren, sollte es die Spezies dann noch geben, über das Alter der Jetztzeit schreiben.

 

2.1 Tithonos und Eos

 

Die griechische Mythologie führt hier ganz eindringlich die Folgen des Alters als Verfall auf.

Eos , die griechische Göttin der Morgenröte und Schwester des Sonnengottes Helios verliebte sich in Tithonos, den Bruder des letzten trojanischen Königs, Priamos. Sie erflehte von Zeus ewiges Leben für ihren Geliebten, vergaß aber, für ihn auch ewige Jugend zu erbitten. Als Tithonos im Alter siech und verdrießlich wurde, soll ihn die Göttin in eine Zikade verwandelt haben.

 

2.2  Sophokles (497 - 406 v.Chr.) in „Ödipus auf Kolonos"

 

In seiner Tragödie „Ödipus auf Kolonos" führt Sophokles die massivste Anklage gegen das Alter. Dabei scheint er es als erstrebend anzusehen, so schnell wie möglich vom Leben abzutreten, sobald die ersten altersbedingten Beschwerden auftreten. In seinen Zeilen lese ich einen abrupten Bruch zwischen der leichten Last der Jugend und dem bösen und freudlosen Alter. Sophokles scheint sich selbst eine der intellektuellsten Fragen des Altertums beantwortet zu haben, was denn neben dem größten Glück das größte Übel sei. Ganz eindeutig bezeichnete er das Alter als das größte Übel. Jedenfalls fehlende geistige Rüstigkeit wird es wohl nicht gewesen sein, konnte er sich vor Gericht als 90 Jähriger durch Zitierung von Versen der Trägödie „Ödipus auf Kolonos" erfolgreich gegen eine von seinem Sohn angestrebte Entmündigung wehren.

 „nicht geboren sein scheint mir das höchste

das nächste schnell dorthin zurückzukehren

ist das jugendlicht der Wangen hin

das sorglose wer irrte nicht

der mühereichen seitwärts ab

zu Neid Empörung Zwietracht Krieg und Mord dass ihn zuletzt

das allverhasste Los doch trifft

des ungeselligen kraftlosen Alters das der Übel übelste vereinigt“

 

2.3  Euripides in „Herakles"

 

Euripides stellt in seinem „Herakles" einen knappen Vergleich zwischen Jugend und Alter an:

„lieb ist die Jugend mir, doch eine Last das Alter, schwerer als der Ätnagipfel liegt es auf meinem Haupt"

Euripides versteigt sich bis zum Ausspruch des Hasses gegenüber dem Alter, welches er mit dem Tod assoziiert:

„..aber ich hasse das scheussliche, tödliche Alter"

 

2.4  Anakreon (550 v. Chr.) griechischer Lyriker (Anakreon, Fragmente)

 

 „Schon ergraut sind mir die Locken
An den Wangen, weiß das Haupthaar,
Und der holden Jugend Liebreiz
Ist dahin, vergreist die Zähne.
Von dem ach süßesten Dasein
Nur ein Restchen Zeit ist übrig.

Darum stöhn ich tief von innen
Immer auf, vorm Dunkel schaudernd.
Denn unheimlich ist des Todes
Kammer, fürchterlich der Abstieg
In sein Haus; stiegst du hinunter,
Kehrst du niemals, niemals wieder.“

 

2.5  Buddhismus, Pali-Kanon

 

Nachdem der Buddhismus durch die Renaissance des Brahmanismus weitgehend aus dem ursprünglichen Stammland Indien weichen musste, siedelt er sich vorwiegend in Ceylon an. Dort entstand der Pali-Kanon. In diesem wird die Rede Buddhas „des Erhabenen“ zu den Mönchen in Benares wie folgt überliefert (Reclam, Philosophisches Lesebuch - Von den Vorsokratikern bis heute, 2007):

„Dies nun, oh Mönche, ist die edle Wahrheit vom Leiden. Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Sterben ist Leiden, Kummer, Wehklage, Schmerz, Unmut und Unrast sind Leiden; die Vereinigung mit Unliebem, die Trennung von Liebem ist Leiden; was man wünscht, nicht zu erlangen ist, Leiden; kurz gesagt, die fünf Arten des Festhaltens am Sein sind Leiden“.

 

2.5  Dante, die göttliche Komödie

 

Dante beschreibt darin die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies. Bereits am Anfang des ersten Gesanges klärt er auf, dass er sich in einem Wald befindet, der Gefühle voll Angst und Not auslöse. Selbst der Tod könne nur noch wenig bitterer sein als diese Gefühle. Dante ist hier vom leichten antiken Denken, dass der Tod den Menschen nichts angehe, irgendwie weit entfernt. Er gehört damit wohl zu der Gruppe, die den Tod als höchstes Übel ansehen.

 

„Auf halbem Weg des Menschenlebens fand

ich mich in einen finstern Wald verschlagen,

Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.

Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,

Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;

Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.

Nur wenig bitterer ist selbst der Tod“

 

2.6  Johannes Tepl (1350 - 1415), „Der Ackermann aus Böhmen

 

Mit dem um 1400 entstandenen Text wird ein Streitgespräch zwischen dem Ackermann, dessen Frau gerade verstorben ist, und Tod beschrieben, in dem der Tod wegen des schmerzlichen Verlusts bitterlich angeklagt wird. Das Stück enthält 32 Kapitel, wobei jeweils wechselseitig der Ackermann und der Tod ihre Positionen vertreten. Im 33 Kapitel meldet sich „Gott“ und erinnert den Ackermann an die Sterblichkeit der Menschen, den Tod jedoch daran, dass er seine Macht von ihm, „Gott“ erhalten habe.

 

2.6  Wilhelm Kindleben „Studentenlieder", „Gaudeamus igitur", Auszug (1781)

 

Hier tritt uns auch wieder die Verkürzung der menschlichen Existenz auf drei Schritte gegenüber, unbeschwerte Jugend, beschwerliches Alter und das Ende.

gaudeamus igitur

iuvenes dum sumus

post iucundam iuventutem,

post molestam senectutem,

nos habebit humus!

ubi sunt qui ante nos

in mundo fuere?

vadite ad superos

transite ad inferos

ubi iam fuere?

vita nostra brevis est,

brevi finietur,|

venit mors velociter,

rapit nos atrociter

nemini parcetur! 

Wir wollen also fröhlich sein,

so lange wir noch junge Leute sind.

Nach fröhlicher Jugend,

nach beschwerlichem Alter

wird uns die Erde haben

Wo sind jene, die vor uns

auf der Welt gewesen sind?

Gehet zu den Oberen,

gehet zu den Unteren,

wenn du sie sehen willst

Unser Leben ist kurz,

es wird schnell vorüber sein,

der Tod kommt schnell

nimmt uns streng hinweg,

er verschont keinen.

 

2.7  Wilhelm Busch in seinem Gedicht Mümmelgreise

 

Wilhelm Busch spricht die Beschwerden des älter werdenden Mannes an und legt das Alter hier bei 70 Jahren fest.

„Auch werden sie oft zum Mümmelmann,
denn Mümmelmänner, grau und kalt,
sind oft 70 Jahre alt.
Waschen selten sich mit Seife,
rauchen aus 'ner kalten Pfeife,
tragen meistens schäbige Hüte,
schnupfen aus der Tabakstüte.
Oft auch ist die Frau gestorben,
der Geschlechtstrieb ist verdorben,
und zum Wässern lediglich
dient der Schnibbeldiederich.
Zieht er dazu ihn heraus,
geht der Strahl nicht geradeaus,
und auch nicht im hohen Bogen
wirft er seine Wasserwogen.
Nein, ganz langsam, halb im Schlafe,
wie zum Ton der Äolsharfe,
und in größter Seelenruh'
wässert er sich auf die Schuh'. „

 

3.  Positive Einstellung gegenüber Alter und Tod, es handelt sich um eine naturgemäße Gegebenheit, die keine Furcht auslöst

 

Im Gegensatz zu denen, die das Alter als Übel ansehen und es anklagen, werten es andere nicht als etwas Schlimmes und erkennen, dass auch dieser Lebensabschnitt seine Reize hat. Insbesondere die Vertreter der Stoischen Philosophie verfolgten diese Gedanken. Sie sehen den Tod nicht als eine Folge des Alters, sondern als naturgemäßer Teil der allumfassenden Schöpfung. Damit korrespondieren die Stoiker weitgehend mit den Epikureern.

Die Schriften und Briefe etwa von Epikur, Lukrez, Cicero, Horaz, Seneca und Marcus Aurelius sind reife Hinterlassenschaften, vollkommenste Spiegel reicher Geister, deren Lebenserfahrungen und tiefe Menschenkenntnis das ernste Ringen um die innere Freiheit und Gelassenheit zum Ziel hatten.

 

3.1  Platon (428 - 348 v.Chr.)

3.1.1.  Platon, „politeia“ (Politik), 1. Buch

 

Im Dialog zwischen Sokrates mit Kephalos kommt Platon zu einem Freispruch der Anklage der Menschen gegen das Alter, dieses als Übel anzusehen. Er lässt dabei Kephalos dem Sokrates  sagen, dass nicht das Alter die Ursache der Klagen darüber sei, sondern der Charakter der Menschen. Ist der Charakter geordnet und verträglich, sei zu erwarten, dass auch die Beschwerden des Alters mäßig sein werden. Bei einem Menschen, bei dem der Charakter nicht geordnet ist, sei wohl auch die Jugend beschwerlich. 

 

Text:

 

 „Gleich wie mich Kephalos sah, grüßte er mich und sagte: Sokrates, du kommst auch gar nicht oft zu uns herunter in den Peiraieus, und solltest doch. Denn wäre ich noch imstande, ohne Anstrengung in die Stadt zu gehen, so brauchtest du nicht hierher zu kommen, sondern wir kämen zu dir. So aber musst du häufiger hierher kommen; denn wisse nur, in demselben

Maße als sonst die sinnlichen Genüsse für mich absterben, wächst mein Verlangen und meine Freude an Gesprächen. Tu' mir also den Gefallen, schenke diesen jungen Leuten deinen Umgang und komme oft hierher zu uns als zu Freunden und ganz guten Bekannten?

Wirklich, Kephalos, antwortete ich, unterhalte ich mich gern mit besonders alten Männern; denn ich meine, man muss sich bei ihnen erkundigen als Vorgängern auf einem Pfade, den auch wir vielleicht werden gehen müssen, wie derselbe beschaffen ist, ob rauh und beschwerlich oder leicht und bequem. Und so möchte ich auch dich fragen, was du davon hältst, da du bereits die Jahre erreicht hast, welche die Dichter als »Schwelle des Alters« bezeichnen, ob für einen beschwerlichen Teil des Lebens, oder was du sonst darüber aussagst?

Ich will dir, Sokrates, versetzte er, bei Gott sagen, wie es mir vorkommt. Oftmals kommen unser mehrere zusammen, die in gleichem Alter stehen, das alte Sprichwort in Ehren haltend. Bei diesen Zusammenkünften nun jammern die meisten von uns, indem sie sich nach den Freuden der Jugend sehnen und der Liebesgenüsse gedenken und der Trinkgelage und Schmause und was es sonst noch ähnliches gibt, und sind verdrießlich, weil sie etwas Großes verloren und damals ein glückliches Leben geführt haben, jetzt aber eigentlich gar keines. Einige beklagen auch die Mißhandlungen des Alters durch die Angehörigen und stimmen deshalb über das Alter ein Lied an, was es ihnen alles für Unglück bringe. Mir scheint aber, Sokrates, als würden diese nicht den wahren Schuldigen beschuldigen; denn wäre das Alter schuldig, so müßte auch ich um seinetwillen dieselbe Erfahrung gemacht haben, und die übrigen alle, welche diese Lebensstufe erreicht haben. Nun aber habe ich auch schon andere getroffen, bei denen es nicht so war; namentlich war ich einmal dabei, wie jemand an den Dichter Sophokles die Frage richtete: »Wie sieht's bei dir aus, Sophokles, mit der Liebe? Vermagst du noch einem Weibe beizuwohnen?« Der antwortete: »Nimm deine Zunge in acht, Mensch; bin ich doch herzlich froh, dass ich davon erlöst bin, wie ein Sklave, der von einem tobsüchtigen und wilden Herrn erlöst worden ist!« Schon damals deuchte mir das wohlgesprochen und auch jetzt nicht minder: denn immerhin hat man im Alter in diesen Beziehungen vollkommenen Frieden und Freiheit. Wenn nämlich die Anspannung durch die Begierden aufgehört hat und sie nachgelassen haben, so wird allerdings das Wort des Sophokles wahr: von sehr zahlreichen tollen Gebietern kommt man los. Aber in dieser Beziehung und in betreff des Verhältnisses zu den Angehörigen ist die Ursache dieselbe, und zwar nicht das Alter, Sokrates, sondern der Charakter der Menschen. Sind sie geordnet und verträglich, so sind auch die Beschwerden des Alters mäßig; wo nicht, - so ist für einen solchen, Sokrates, Alter wie Jugend beschwerlich. Ich hatte meine Freude daran, ihn so sprechen zu hören, und da ich wollte, dass er weiter rede, so stachelte ich ihn mit den Worten: Kephalos, ich meine, die Menge wird dich nicht ankommen lassen, wenn du so sprichst, sondern meint, du tragest leicht am Alter nicht wegen deines Charakters, sondern weil du ein großes Vermögen besitzest: denn die Reichen, heißt es, haben viele Tröstungen."

 

3.1.2  Platon, Phaidon

 

Platon versucht in seinem Werk Phaidon, dem Menschen die Angst und Furcht vor dem Tode zu nehmen. Platon ging den Weg, die Pluralität eines Prozesses, eines Werdens, aufzuzeigen. Dieser Prozess führt aus der Läuterung der Seele zur Tugend hin und der Hoffnung auf Wahrheit abseits der sinnlichen Wahrnehmung zur schrittweisen Lösung der Seele vom Körper. Der Prozess des Sterbens wird also bereits durch das Einüben des Todes im Leben beschrieben, ein Einüben, welches aber nicht den Tod zum Ziel hat, sondern den Tod vom Leben her begreift, nämlich ein furchtloses Leben vor dem Tode. Der Tod erscheint also als Melange aus Möglichkeit und Gewissheit. Jedenfalls versteht Platon / Sokrates unter dem täglichen Bedenken des Todes das sprichwörtliche „Philosophieren heißt Sterben lernen“.

 

3.1.2.1.  Vorgespräch (Kap. 1-2)

 

Auf die Bitte des Echekrates von Phlius um Bericht über die Vorgänge nach der Verurteilung des Sokrates und bei seinem Tode schildert Phaidon die Begebenheiten des Todestages von Sokrates und den Inhalt des Gesprächs mit seinen Schülern .

 

3.1.2.2.  Hauptgespräch, Einleitung (Kap. 3-14, Kapitel 8 begründet die Jenseitshoffnung)

 

In Kap. 5 beauftragt Sokrates den Kebes, er möge dem Euenos ausrichten, dieser solle ihm als Philosoph möglichst bald im Tode folgen. Philosophen würden sich wegen der Suche nach der Wahrheit nach dem Tode sehnen.

Kapitel 8 ist die bedeutendste Aussage der abendländischen Philosophie im Denkbereich Alter und Wiedergeburt, er postuliert die Jenseitshoffnung, also die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits, einer anderen Welt. Dabei verteidigt er den Sterbenswunsch des Philosophen gegenüber seinen Schülern, die er zu Richtern über seine Ansicht erklärte. Er, der 400 Jahre vor Christus lebte, war mit der besseren jenseitigen Welt als Grundgedanken dem Christentum voraus, dessen Evangelien genau diesen Gedanken dann auch verwendeten, genauso wie die Idee des absolut Guten und Edlen.

Ich denke, Platon hat bei seiner Lehre möglicherweise eine Anleihe bei Phytagoras gemacht, der 132 Jahr vor ihm geboren wurde und bereits die Lehre von der Unsterblichkeit und Wiedergeburt der Seele verkündete. Die Phytagoreer sahen die Seele im Körper gefangen. Höchstes Ziel war die Reinigung und die Wiedergeburt auf einer höheren Ebene. Hier fallen sofort auch Parallelen zum Karmagedanken des Buddhismus auf. Je besser die weltlichen Taten, desto höherwertig die Wiedergeburt.

Bei der buddhistischen Wiedergeburt war jedoch im Gegensatz zu den Phytagoreern nicht die Wiedergeburt, sondern die Erlösung aus dem Kreis der Wiedergeburt das Ziel. Auf der Zeitschiene korrespondierten beide Lehren, war doch Phytagoras (570 - 500 v.Chr.) nur 10 Jahre älter als Buddha (560 v.Chr.) Ebenso im Islam, wo auf den Gläubigen 77 Jungfrauen warten. Bei irdisch richtigem und wohlfeilem Verhalten sei die Entlohnung im Jenseits gewiss.

Mit Phaidon war es ausgesprochen, die Jahrtausende haben daraus eine Knechtschaft und Menschenvernichtung ungeheuren Ausmaßes gemacht.

Platon legt auch die Einfachstformel für den Tod auf den Tisch, die Trennung der Seele vom Körper (Kap. 9).

 

Kap. 10 belehrt darüber, dass nicht die sinnliche Wahrnehmung (also durch die Rezeptoren), sondern nur die geistige Tätigkeit (Denken = Vernunft) zur Wahrheit führt, die er in den Ideen verwirklicht sieht. Zwangsläufig stellt dann die sinnliche Wahrnehmung nur ein Abbild der Ideen dar. Platon lässt in Kap. 11 von Sokrates vortragen, dass der Körper durch seinen Umtrieb (Ernährung, Besorgnisse, Liebesgelüste, Krankheiten, Trugbilder) eine Last für den Erkenntnisprozess darstelle, deshalb sei es das höchste Ziel des  Philosophen, danach trachten, die Seele unabhängig vom Körper zu machen ( Kap 12). Der philosophische Tod geht dabei dem physischen Tod voraus. Dies ist meines Erachtens auch die Entstehung der Körper- und Leibesfeindlichkeit, die kennzeichnend für das Christentum, insbesondere im Mittelalter, war. Einen ersten Beweis für die Unsterblichkeit der Seele führt er in den Kapiteln 15-23. Mit dem Übergang des Kapitels 24 führt er in den Kapiteln 25-34 den zweiten Beweis.

 

3.1.2.3  Hauptgespräch, Einleitung, Nr. 8  letzter Absatz -Gedanke der Jenseitshoffnung, Tod ist erstrebenswert-

 

„Aber euch, meinen Richtern will ich nunmehr den schuldigen Nachweis erbringen, dass mir ein Mann, der sein Leben wirklich mit dem Streben nach Philosophie hingebracht hat, beim Sterben mit vollem Recht guten Mutes und der frohen Hoffnung zu sein scheint, er werde nach seinem Tode in jener Welt der größten Güter teilhaftig werden.“

 

3.1.2.4  Hauptgespräch, Einleitung, Nr. 9 -Der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper, die Seele lebt weiter-

 

„Sokrates. Diejenigen nämlich, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, streben wohl nach gar nichts anderem als zu sterben und tot zu sein; die anderen freilich merken das gar nicht. Wenn das nun richtig ist, so wäre es doch wohl widersinnig, sich ein ganzes Leben hindurch um nichts anderes zu bemühen, als ebendarum, wenn es dann aber selbst eintritt, unwillig zu sein über das , wonach man so lange gestrebt und worum man sich so lange bemüht hat......“

„Sokrates. Meinen wir, dass der Tod etwas ganz bestimmtes ist? Gewiß, erwiderte Simmias.

Doch wohl nichts anderes als die Trennung der Seele vom Körper? Und Totsein bedeute nichts anderes, als dass der Leib, abgesondert von der Seele, für sich allein ist und auch die Seele, abgesondert vom Leibe?...“ Nein, sondern eben dies, antwortete Simmias.

 

3.1.2.5  Hauptgespräch, Einleitung, Nr. 12 -Der Tod ist das höchste Ziel des Philosophen-

 

„Sokrates. Und wird nicht das eben die Reinigung sein, was schon so oft in unseren Gesprächen vorgekommen ist, dass man die Seele möglichst vom Leibe absondert und sie daran gewöhnt, sich von allen Seiten her aus dem Körper in sich selbst zusammenzuziehen und zu sammeln und soviel wie möglich sowohl in dem jetzigen wie in dem späteren Zustande für sich allein zu bestehen, sich vom Leibe wie aus Fesseln loslösend?

Ganz gewiß, sagte Simmias.

Sokrates. Heißt das aber nicht Tod, diese Lösung und Trennung der Seele vom Leibe? Allerdings, sagte Simmias.

Sokrates. Nach dieser Loslösung der Seele aber streben die meißten, wie wir behaupten, und allein die echten Philosophen, die Befreiung und Absonderung der Seele vom Leibe. Oder nicht?

Simmias. Offenbar.

Sokrates. Wäre es also nicht, wie ich gleich anfangs sagte, lächerlich, wenn ein Mann, der sein ganzes Leben darauf einrichtet, dem Totsein möglichst nahezukommen, sich ungebärdig stellt, wenn der Tod wirklich an ihn herantritt? Wäre das nicht lächerlich?

Simmias. Wie sollte es nicht?

Sokrates. In der Tat also, mein Simmias, trachten die wahren Philosophen danach, zu sterben, und der Tod ist ihnen von allen Menschen am wenigsten furchtbar......“

 

3.2  Epikur, 341 v . Chr. – 270 v. Chr.

 

3.2.1  Epikuros grüßt den Menoikeus -Der Tod geht uns nichts an-

 

Ich denke, dass ich im Brief des Epikur an Menoikeus den Ursprung des Gedankens lese, dass der Tod den Menschen nichts angehe, Lukrez hat ihn dann übernommen. Epikur bezeichnet ihn einerseits als das schauerlichste Übel, andererseits aber den Menschen nicht betreffend. Das schauerlichste Übel würde aber nur auf die Menge zutreffen, die sich nicht mit dem Wesen des Todes auseinandersetze. Der Weise könne mit dem Tod umgehen, da er das Leben bejahe, das Nichtleben aber nicht ablehne; dieses Wissen mache die Sterblichkeit des Lebens genussreich.

 „Gewöhne dich an den Gedanken, dass der Tod uns nichts angeht. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf der Wahrnehmung. Der Tod aber ist der Verlust der Wahrnehmung. darum macht die rechte Einsicht, dass der Tod uns nichts angeht, die Sterblichkeit des Lebens genussreich, indem sie uns nicht eine unbegrenzte Zeit dazugibt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit wegnimmt. Denn im Leben gibt es für den nichts Schreckliches, der in echter Weise begriffen hat, dass es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt. Darum ist jener einfältig, der sagt, er fürchte den Tod nicht, weil er schmerzen wird, wenn er da ist, sondern weil er jetzt schmerzt, wenn man ihn erwartet. Denn was uns nicht belästigt, wenn es wirklich da ist, kann nur einen nichtigen Schmerz bereiten, wenn man es bloß erwartet.

 

Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr.

 

Die Menge freilich flieht bald den Tod als das Ärgste der Übel, bald sucht sie ihn als Erholung von den Übeln im Leben. Der Weise dagegen lehnt weder das Leben ab noch fürchtet er das Nichtleben. Denn weder belästigt ihn das Leben, noch meint er, das Nichtleben sei ein Übel. Wie er bei der Speise nicht einfach die größte Menge vorzieht, sondern das Wohlschmeckendste, so wird er auch nicht eine möglichst lange, sondern eine möglichst angenehme Zeit zu genießen trachten."

 

3.2.2  Epikur, 341 v . Chr. – 270 v. Chr., „Kyriai Doxai“

 

Kyriai Doxai bedeutet soviel wie maßgebende Sätze, die von den  Schülern Epikurs nach seinem Tode zusammengestellt wurden und Lebensregeln für ein Leben frei von Furcht, Begierde und Schmerz bieten sollen. Sie stellen einen Versuch der philosophischen Therapie dar und dokumentieren die Kernsätze der epikurischen Philosophie. Sie sind aus sich selbst heraus knapp und verständlich. Die Lehre vom Tod wurde insbesondere in  Kapitel II und XI abgebildet.

 

3.2.2.1  Kyriai Doxai II, (KD II -Der Tod hat keine Bedeutung für uns-

 

„Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns.“

Im Wesentlichen ist dies eine knappe Zusammenfassung des Inhalts seines Briefes an Menoikeus.

 

3.2.2.2  Kyriai Doxai XI, (KDXI)

 

"Wenn uns nicht die Verleumdungen über die Himmelserscheinungen und die angstvollen Gedanken über den Tod, als ob er uns irgendetwas anginge, ferner die mangelnde Kenntnis der Grenzen von Schmerzen und Begierden belasten, bräuchten wir keine Naturphilosophie.“

Hier wird offen angesprochen, was Lebenswirklichkeit ist, nämlich, dass sich die Lehre vom angstlosen Umgang mit dem Tod tatsächlich nur schwer umsetzen lässt. Also brauche man eben die Philosophie, weil es der Mensch eben noch nicht geschafft hat, keine angstvollen Gedanken mit dem Tod zu verbinden.

 

3.2.3  Epikur, Gmonologium Vaticanum, Vatikanische Spruchsammlung

 

Es handelt sich beim Gmonologium Vaticanum um eine Sentenzensammlung von 91 aphorisitschen epikurischen Sprüchen einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, die erst 1888 in der Vatikanischen Bibliothek wiedergefunden wurde. Entsprechend den „maßgebenden Sätzen“ enthalten sie einprägsame Inhalte der epikurischen Philosophie. Festzustellen ist auch, dass Epikur wohl das Alter gegenüber der Jugend sogar vorzieht, es preist, dies wird in GV 17 deutlich. Der krasse Widerspruch zu den das Alter Bejammernden (Sophokles, Euripides und Anakreon) tritt hier offen zu Tage.

 

3.2.3.1  Gmonologium Vaticanum 10, (GV,10), -begrenzte Zeit-

 

„Denke daran, dass es zu deiner Natur gehört, sterblich zu sein und du nur eine begrenzte Zeit bekommen hast. Aber du stiegst durch dein Nachdenken über die Natur zur Unendlichkeit und zur Ewigkeit auf und erkanntest Gegenwärtiges, Zukünftiges und Vergangenes (Homer Ilias I,70)“

 

3.2.3.2  Gmonologium Vaticanum 14, (GV,14) - das Leben der Freude nicht aufschieben-

 

„Wir sind nur einmal geboren, und zweimal geboren zu werden, ist unmöglich. Aber es ist notwendig, dass wir die ganze Ewigkeit hindurch nicht mehr sind. Du aber schiebst das, was Freude macht, auf, obwohl du nicht Herr über den morgigen Tag bist. Aber das Leben vergeht unter lauter Zögern und Aufschieben, und jeder von uns stirbt, ohne zur Ruhe gekommen zu sein“

Dies ist die epikurische Posaune, vielleicht auch die Steilvorlage für Horaz, der hunderte Jahre später ebenfalls dafür plädierte, den Tag zu nutzen, nichts aufzuschieben. Das Aufschieben des Guten würde aber Unruhe bewirken.

 

3.2.3.3.  Gmonologium Vaticanum 17, (GV,17) - das Alter preisen -

 

„Nicht der junge Mensch ist glücklich zu preisen, sondern der alte Mensch, wenn er gut gelebt hat. Denn der junge Mensch wird in der vollen Blüte seiner Jahre vom Zufall hin und her getrieben, wobei sich ständig seine Vorstellungen ändern. Der alte Mensch hingegen ist in seinem Alter wie in einem Hafen vor Anker gegangen, und bewahrt alles Gute, was er sich in der Vergangenheit vergeblich erhofft hat, sicher verschlossen in seinem dankbaren Herzen.

 

3.2.3.4  Gmonologium Vaticanum 31, (GV,31) - Es ist die Wesensart des Menschen, sich Sicherheit verschaffen zu wollen-

 

Hier spricht die epikurische Philosophie einen grundsätzlichen Wesenszug des Menschen an, nämlich sich gegen alles Mögliche Sicherheiten verschaffen zu wollen. Heutzutage sieht man das an der Produktvielfalt unserer Versicherungswirtschaft. Nur gegen eines gibt es keine Versicherung, nachlesbar in Epikur GV, 31:

„Gegen alles Mögliche kann man sich Sicherheit verschaffen, angesichts des Todes aber bewohnen wir Menschen alle eine Stadt ohne schützende Mauern.“

 

3.3  Lukrez,  römischer Dichter , Epikureer, 98 v.Chr - 55 in „de rerum natura"

 

Eine der an sich selbst gestellten Aufgaben sah es Lukrez an, die Menschen vor der Furcht des eintretenden Todes zu befreien. Überhaupt ist es eine der großen Aufgaben der Epikureer, die Menschen von der Todesfurcht zu befreien. Im Dritten Buch (liber tertius) seines Werkes „de rerum natura“ beschreibt er im ersten Teil das Wesen des animus (Leben) und der anima (Seele). Im zweiten Teil versucht er in einer Kette von 21 Beweisen die Sterblichkeit der Seele darzulegen. Im dritten Teil führt er -hauptsächlich in III, 830, 864, 926, 931, 952 und 972) in der Gedichtform der Diatribe, Gründe gegen die Todesfurcht an. Diese Gedichtform erscheint mir in der sprachlichen Verständigkeit extrem schwierig, da eine sinngebende Übersetzung aus dem Griechischen ins Deutsche sehr schwer ist. Lukrez hat sich als überzeugter Anhänger von Epikur wohl von ihm inspirieren lassen. Seine Gedanken zum Tod, der den Menschen nichts „angehe", korrespondieren mit seinem Zeitgenossen Cicero in de senectute, XIX,67. Cicero überlebte Lukrez um 12 Jahre.

Er beschreibt auch die menschlichen Antriebe und das das Sich-Hingeben an die niederen Instinkte. Er zeigt sich auch als antiker Existenzphilosoph, soweit er aufzeigt, dass man den Charakter des Menschen erst in widriger Zeit und in schweren Gefahren erkennen könne, erst dann würde die Maske fallen und der Kern des Charakters sichtbar sein. Sein Werk hat er als Lehrgedicht abgefasst in der Darstellungsform der Hexameterdichtung.

 

Seine Gedanken kann man Themenkreisen zuordnen, dies möchte ich mit eigenen Überschriften auch versuchen:

 

3.3.1. „De rerum natura III, 830“ -Nichts geht der Tod uns an,

 

„nil igitur mor est ad nos neque pertinet hilum“. Der Hinweis auf die sterbliche Seele bedeutet eben aus der Sicht des Lukrez, dass alles mit dem Tod endet. Man muss sich somit auch keine Gedanken mehr machen, was mit der Seele passiert.

 

„Nichts geht also der Tod uns an und reicht an uns nirgends, da der Seele Natur sich hat als sterblich erwiesen.“

 

3.3.2 „De rerum natura III, 864 -Kein Unterschied zwischen Nichtsein vor der Geburt und nach dem Tod-

 

„Da der Tod dies nimmt und so es verhindert, dass der sei, dem Nachteile zu sich könnten gesellen, ist uns zu wissen erlaubt, dass nichts ist im Tode zu fürchten, und dass elend werden nicht kann, wer gar nicht mehr ist, dann, und es kein Unterschied ist, ob niemals ward er geboren, wenn der unsterbliche Tod hat das sterbliche Leben genommen.“

 

3.3.3  „De rerum natura III, 926“ -Der Tod geht uns nichts an-

 

„Also viel weniger noch, muss man denken, geht uns der Tod an“

 

3.3.4  „De rerum natura III, 931“  -das Leben wie ein gesättigter Gast verlassen , die Natur spricht zum Menschen-

 

Von zeitloser Schönheit sind seine Gedanken dazu, wie der weise und gereifte Mensch nach einem sinnerfüllten Leben dieses verlassen könne. Um uns dieses zu vermitteln, lässt er die Natur zu den Menschen sprechen.

Sie sagt zum Menschen, dass man aus dem Leben gehen könne wie ein gesättigter Gast, wenn das Leben gut war und nicht alles wie in ein löchriges Gefäß geflossen ist.

Das löchrige Gefäß steht stellvertretend für ein Leben, welches verschwendet und nicht positiv genutzt wurde. Im Falle der Verschwendung bestehe nun gar kein Grund, noch weitere Zeit der Verschwendung hinzuzufügen. War dir das Leben nichts, ist alles ausgeflossen und zugrunde gegangen, warum willst du es dann verlängern, es spielt dann keine Rolle, ob du es kurz oder lang lebst. Soweit ein Älterer sich übermäßig empört, schilt sie ihn und macht ihn auf die Notwendigkeit aufmerksam, dass in ständigem Kreislauf Leben aus Leben entsteht, somit die Natur des Todes nichts Schreckliches hat.

 

 „Schließlich: wenn die Natur die Stimme plötzlich erhöbe, selber einem von uns dies vorhielt mit folgenden Worten: > was hast so sehr Du Grund, o Sterblicher, dass du zu düstren Klagen huldigst? Was bejammerst den Tod und beweinst du? Denn wenn das Leben dir lieb gewesen, das früher geführte, und nicht alle Genüsse, in lecke Gefäße geschüttet, gleichsam, flossen hindurch und danklos wurden zunichte, warum gehst du nicht fort als ein Gast des Lebens, gesättigt, und ergreifst nicht, o Tor, mit Gleichmut sichere Ruhe? Wenn aber, was du genossen, verschwendet, ging dir zugrunde und das Leben dir leid, was willst du mehr noch hinzutun, dass es schlecht wieder ganz vergehe und danklos versinke, setztest nicht lieber ein Ende des Lebens und damit der Mühe?“

 

3.3.5 „De rerum natura III, 952“ -Wer das Leben verschwendet hat, bekommt nicht mehr, wenn er jammert-

 

Hier spricht die Natur immer noch zum alten Menschen, der das gute Leben in ein löchriges Gefäß geschüttet hat, es entrinnen ließ, den bevorstehenden Tod bejammert und dann noch meint, es sei noch so vieles unbeendet. Die Natur weist diese Menschen scharf zurecht, sie würden immer begehren, was nicht da sei, während sie das Vorhandene missachten würden. Allgemein könnte dies auch der Sinnsatz sein, das Alter nicht zu bejammern, nicht immer mehr zu wollen und mit dem Zugeteilten zufrieden zu sein:

„Wenn aber älter er schon und betagter so sich beklagte

und seinen Tod erbärmlich bejammerte mehr, als es billig,

schrie sie mit Recht dann nicht lauter und schölte mit heftiger Stimme?

Weg mit den Tränen, du Schlund, und bezähme das Heulen!

Alles, was köstlich im Leben, hast du gehabt und verwelkt nun.

Aber weil stets du begehrst, was nicht da, was da ist, missachtest,

unvollendet ist dir und unhold das Leben entronnen,

und es stellte dir wider Erwarten der Tod sich zu Häupten,

ehe du satt und erfüllt von den Dingen scheiden vermöchtest“

 

Hier erkenne ich eine deutliche Parallele zu Demokrit /Fragment 292:

 „Toren haschen nach dem Abwesenden, das Gegenwärtige dagegen, wenn es auch vorteilhafter ist als das ihnen Entgangene, lassen sie umkommen.“

 

3.3.6. „De rerum natura III, 96“ -Zeit zu gehen, das Neue steht vor der Tür, Leben ist nur Nießbrauch, nicht Besitz- 

 

III, 96:

„Denn es weicht verdrängt von der Frische der Dinge das Alter immer, und notwendig ist`s zu  ergänzen eins aus dem anderen; niemand wird in die Tiefe gestürzt und des Tartarus Dunkel: Stoff wird gebraucht, dass herauf sich die spätren Geschlechter entwickeln. Alle jedoch werden sie , wenn das Leben gelebt ist, dir folgen. So wie du sind sie vordem versunken und werden versinken; so wird eins aus dem andren immer von neuem entstehen, keiner erhält zum Besitz das Leben, alle zum Nießbrauch“

 

3.3.7  „De rerum natura III, 972“ Da wir uns nicht vor der Zeit vor der Geburt fürchten, trifft dies auch auf den Tod zu

 

Lukrez führt hier das Wesentliche an. Wer schon fürchtet sich vor einer Zeit vor der Geburt. Soweit diese Betrachtung in keiner Beziehung Furcht auslöst, weshalb sollte dies gerade für die Zeit nach der Geburt gelten. Verschiedene religiöse Sichtweisen haben aber dazu gerade beigetragen durch Gespensterbegriffe wie Strafgericht, Fegefeuer etc.

 

Text:

 

„Denke desgleichen daran, wie nicht vergangenes Alter ewiger Zeit betraf uns damals, bevor wir geboren. Dies stellt nun die Natur als Spiegel der kommenden Zeiten uns vor Augen nach unserm Tod, wenn alles zu Ende.“

Diese Diatribe in neues Deutsch übersetzt könnte so lauten:

„Bedenke doch nur, dass die ganze vor unserer Geburt vergangene zeit uns überhaupt nicht berührte. Daraus können wir gleichsam wie in einem Spiegel erkennen, was uns die zukünftige Zeit nach unserem Tode bedeutet“.

 

3.4  Marcus Tullius Cicero (106 vor Chr. - 43)

 

3.4.1  Cicero in  „cato major de senectute"

 

Cicero schrieb diesen Dialog seinem Freund Atticus. Aus Ciceros Schrift Cato Major de senectute erfühle ich dessen tiefe Reife einer minimalistischen Anthropologie, seine Gewissheit, dass der Mensch sich im Gleichklang mit der Natur zu bewegen habe.

Einer antiken Vorliebe gemäß, lässt er darin das Gespräch von Verstorbenen führen, dafür wählt er das Jahr 150 vor Christus. Die Teilnehmer sind Cato, der selbst 85 Jahre alt wurde, Laelius und Scipio. In der Schrift war Cato 84 Jahre alt. Thematisch verfolgt Cicero in seinem Werk genau den entgegengesetzten Weg der Jammerer über das Alter, in dem er die vier Hauptvorwürfe gegen das Alter widerlegt, was im trefflich gelungen ist.

 

3.4.1.1 Kapitel II, 5

 

Darin zeigt er mit dem Hinweis auf das Naturgesetz die Vorliebe für die stoische Philosophie und schreibt dem Alter bereits am Anfang die Eigenschaft eines Übels ab.

 „Cato: Ihr bewundert da, Scipio und Laelius, wie ich glaube, etwas, was gar nicht schwierig ist. Wer nämlich keine Kraft zu einem sittlich guten und glückseligen Leben in isch trägt, dem ist jedes Lebensalter eine Last; wer aber alles Gute von sich selbst verlangt, dem kann nichts, was das Naturgesetz zwangsläufig mit sich bringt, als ein Übel erscheinen. Dazu gehört in erster Linie das Alter; alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber; so inkonsequent und unlogisch sind sie, die Toren. Sie sagen, das Alter schleiche sich schneller heran, als sie gedacht hätten. Doch zunächst mal: Wer hat sie denn genötigt, sich in ihrer Berechnung zu irren? Wieso sollte den der Mann schneller ein Greis werden als das Kind ein Mann? Ferner: Inwiefern wäre ihnen denn das Alter im achthundertsten Lebensjahr eine weniger schwere Last als im achtzigsten? Eine durchlebte Altersstufe, dauert sie auch noch so lange, würde ja doch, wenn sie verflossen wäre, einen Dummkopf über sein Greisenalter nicht hinwegtrösten können. Wenn ihr nun meine Weisheit zu bewundern pflegt (ich wollte sie wäre eurer guten Meinung und meines Beinamens würdig!), so wisset: Sie besteht darin, dass ich der Natur als der Führerin wie einer Gottheit folge und mich ihr zu beugen weiß; es ist unwahrscheinlich, dass sie, nachdem sie alle anderen >Akte< des Lebens so gut geordnet hat, den letzten >Aufzug< wie ein ungeschickter Dichter vernachlässigt haben sollte. Es war für sie jedoch unumgänglich, irgendeinen Schlusspunkt zu setzen; es musste etwas geben, was wie bei Baum- und Feldfrüchten nach angemessener Reifezeit gleichsam welkt und abfällt."

 

3.4.1.2  Kapitel III, 7   

 

Darin entlarvt er die Ursache, weshalb das Alter so häufig angeklagt wird:

„Nein, nein! Schuld an allen derartigen Klagen hat der Charakter des Menschen, nicht das Alter. Wer nämlich im Alter anspruchslos, leutselig und freundlich ist, der kann es ganz gut aushalten. Misslaune jedoch und unfreundliches Wesen machen das Leben zur Qual, ganz gleich, wie alt man ist."

Hier stelle ich jedoch die Frage, inwieweit Cicero durch Catos Mund eine Anleihe an Platons politeia gemacht hat, da Kephalos im 1. Buch doch genau das gleiche dem Sokrates sagte.

 

3.4.1.3  Kapitel V,4

 

„Bei umfassender Betrachtung komme ich nämlich auf vier Gründe, aus denen man das Alter für ein Unglück hält: Erstens, weil es uns in zunehmendem Maße verwehre, Großes zu leisten; zweitens, weil es den Körper entkräfte; drittens, weil es uns fast jede Sinnenfreude nehme, und viertens, weil es dem Tode nahe sei. Die Bedeutung und Berechtigung eines jeden dieser Gründe wollen wir nun, wenn es euch recht ist, untersuchen.

 

3.4.1.4  Kapitel V,15-VII,26 -Widerlegung des ersten Grundes, im Alter könne man nichts Großes leisten-

 

Cato bezeichnet diesen Einwand als null und nichtig, weil gerade alte Menschen Persönlichkeiten waren, die im Sinne des Gemeinwohls Großes geleistet haben. So verweist er auch darauf, dass gerade wegen der Vorzüge des Alters die Vorfahren bereits die höchste Ratsversammlung den Rat der Alten (Senat) genannt haben. Gleichwohl gestand er in 19 zu, dass im Alter das Gedächtnis nachlasse, jedoch nur, wenn man es nicht übe, oder auch, wenn man von Natur ein Schwachkopf ist.

 

3.4.1.4.1, Auszug aus 17:

 

„Bei großer Leistung kommt es nicht auf Kraft, Behendigkeit und Schnelligkeit des Körpers an, sondern darauf, dass man klug ist , Ansehen genießt und etwas zu sagen hat: Vorzüge, die man im Alter nicht nur nicht einbüßt, sondern gewöhnlich sogar in zunehmendem Maße hat. "

 

3.4.1.4.2, Auszug aus 22:

 

„Wie steht es nun in hohem Alter mit den Rechtsgelehrten, wie mit den Oberpriestern, den Auguren, den Philosophen? Wie vieles haben sie im Gedächtnis! Nur eifriges Interesse braucht weiterzuwirken, dann bleiben die Geisteskräfte im Alter erhalten und zwar nicht nur bei berühmten Männern, die auf hohe Staatsämter zurückblicken können, sondern auch bei denen, die ein stilles Privatleben führen."

 

3.4.1.4.3, Auszug aus 26:

 

Auszug aus 26, hier wird ausgeführt, dass man auch noch im Alter dazu lernen könne:

„Gibt es nicht auch welche, die ihre Kenntnisse noch bereichern? So rühmt sich z.B. Solon, wie wir wissen, in einem Vers, indem er sagt, während er alt werde, lerne er täglich Neues hinzu. So war es auch bei mir: ich habe noch im Alter Griechisch gelernt und mich mit solcher Gier auf die griechische Literatur gestürzt, wie wenn ich einen schon lange andauernden Durst hätte stillen wollen.

 

3.4.1.5. Kapitel VIII, 26-XI, 38 Widerlegung des zweiten Grundes „Weil es den Körper entkräftet"

 

Im IX Kapitel lässt Cicero aus Catos Mund für mich maßgebende Dinge aussprechen, nämlich dass nicht die Veränderung des körperlichen Leistungsvermögens zu bedauern sei, sondern es vielmehr auf die realistische Einschätzung der Möglichkeiten des jeweiligen durch das Alter bedingten Zustandes ankomme.

„Und ich vermisse auch heute noch nicht die Kraft der Jugend -dies nämlich war der zweite Punkt in der Reihe der >Nachteile< des Alter- so wenig wie ich als Junger die Stärke des Stiers oder eines Elefanten hätte haben wollen. An das Vorhandene soll man sich halten und alles, was man tut, nach Maßgabe seiner Kräfte tun."

Er sieht die Aufgabe, den Charakter des gerade gelebten Lebensalters zu erkennen und zu respektieren. Er drückt sich dazu in Bezug auf die Veränderung der Körperkräfte wie folgt aus:

Gebrauche dieses Naturgeschenk, solange Du es hast; hast Du es dann nicht mehr, dann sollst Du es auch nicht zurückersehnen, es müsste denn sein, dass man es seinem Alter schuldig wäre, als Jüngling die Kindheit, als Älterer dann die Jugend zurückzuwünschen. Das Leben hat jedoch seinen ganz bestimmten Ablauf und der Weg der Natur ist nur einer und zwar ein gerader. Jedes Lebensalter hat infolge der zeitlichen Entwicklung seinen eigenen Charakter; die Schwäche des Kindes, das Draufgängerische des jungen Mannes, der Ernst in bereits gesetzterem Alter und die Reife des hohen Alters haben etwas Naturgemäßes, das man zur rechten Zeit erkennen muss"

Gleichwohl ertönt aber auch sein Ruf, die Erscheinungen des Alters nicht ohne gesunde Gegenwehr zu erdulden:

„Es heißt, dem Alter entgegenzutreten, Laelius, Scipio, und seine Gebrechen durch Umsicht aufzuwiegen, gegen das Alter anzukämpfen, wie gegen eine Krankheit, nur der Gesundheit leben, Sport nur in bescheidenen Grenzen betreiben, und nur soviel essen und trinken, dass die Kräfte ersetzt, nicht aber unterdrückt werden. Man soll jedoch nicht nur den Körper stärken, sondern noch vielmehr die Denkkraft, den Geist. Denn auch die Geisteskräfte schwinden im hohen Alter, falls man nicht, wie bei einer Lampe, Öl nachträufelt. Körperlich wird man durch laufende Überanstrengung schwerfällig, der Geist aber wird nur dadurch frisch erhalten, dass man ihn betätigt."

 

3.4.1.6. Kapitel XII, 39 - XVIII, 65 Widerlegung des dritten Grundes „es beraubt den Menschen fast jeden Vergnügens"

 

Darin wird das Nachlassen sinnlicher Begierden nicht als Ungemach, sondern als Geschenk angesehen, da nun der Geist sich frei entfalten könne.

 

3.4.1.7  Kapitel XIX, 65 - XXIII, 84 -Widerlegung des vierten Grundes „es ist nahe am Tod"-

 

Die Einsicht, die uns Cicero über Cato hier vermittelt, vermag vielen Menschen als Einstiegspforte dazu dienen, das Alter nicht mehr als bedrohlich zu empfinden. Er legt insbesondere dar, dass jede Stufe des Alters in gleicher Weise vom Tod bedroht ist. Ich empfinde beim Lesen der Zeilen großen Respekt vor der aus ihnen sprechenden tiefen inneren Reife.

 

3.4.1.7.1  Kapitel XIX, 67:

 

„Wir haben nun noch den vierten Punkt zu behandeln, der Menschen in meinem Alter offensichtlich ganz besonders bedrückt und aufregt: das Nahen des Todes, der sicherlich vom hohen Alter nicht mehr weit sein kann. Bedauernswert ist ein alter Mensch dann, wenn er in seinem ganzen langen Leben nicht begriffen hat, dass man auf den Tod nicht achten soll! Denn entweder kann er uns völlig gleichgültig sein - wenn er nämlich die Seele gänzlich austilgt; oder wir dürfen ihn uns sogar wünschen, nämlich dann, wenn er die Seele an irgendeinen Ort entrückt, wo ihr ewiges Leben beschieden ist; eine dritte Möglichkeit ist doch wohl nicht denkbar? Wozu also die Angst, wenn ich nach dem Tode nicht unglücklich oder sogar glückselig werde?"

Damit, dass man auf den Tod nicht achten solle, meinte er, dass man ihn nicht fürchten solle. Cato spricht auch aus, der bevorstehende Tod sei kein Grund, deswegen das Alter anzuklagen, der Tod bedrohe alt und jung gleichermaßen.

 

3.4.1.7.2  Kapitel XIX, 68:

 

„.....dass der Tod in gleicher Weise jedes Lebensalter bedroht. Man wendet ein:

Der junge Mensch besitzt aber doch die Hoffnung, lange zu leben, eine Hoffnung, die man als alter Mensch nicht mehr haben kann. Es ist eine unüberlegte Hoffnung. Denn nichts ist dümmer als Ungewisses für gewiß, Falsches für wahr zu halten.

Man hält dem entgegen:

Im Alter hat man ja nicht einmal einen Grund hoffen. Aber man ist um soviel besser daran als in der Jugend, als man das, was man jung nur erhoffen kann, im Alter ja schon erreicht hat; als Junger wünscht man sich ein langes Leben, als Alter hat man bereits lange gelebt."

......Stunden, Tage, Monate, Jahre schwinden dahin, und die Vergangenheit kehrt nie zurück, und was noch kommt, kann man nicht wissen: Jeder soll zufrieden sein, mit der Zeit, die ihm zum Leben gegeben ist".

 

3.4.1.7.3  Kapitel XIX ,70 und 71 (auch ein kurzes Leben kann beglücken)

 

In den Kapiteln 70 und 71 lässt Cicero den Cato vortragen, dass auch eine kurze Lebenszeit beglückend sein kann.

In seiner Betrachtung stellt er eine Verbindung zu Gegebenheiten der Landwirtschaft und den Jahreszeiten dar.

Er sieht im Alter die Jahreszeit, in der geerntet wird, ein erinnerndes Zurückblicken an all das vom jeweiligen Menschen in seinem Leben geschaffene Gute. Der Tod alter Menschen sei wie das Abfallen des ausgereiften und zeitigen Obstes. Diese Sichtweise kommt mir sehr entgegen, sie ist einfach, einfühlsam und spricht mich in einem außerordentlichen Maße an. Später wird der Gedanke dann von Marcus Aurelius in der Metapher der Olive aufgegriffen.

 

 „Eine kurze Lebenszeit ist nämlich lange genug, um sittlich gut und anständig zu leben. Ist sie aber doch länger geworden, dann braucht man dies ebenso wenig zu bedauern, wie ein Bauer es bedauert, dass auf den lieblichen Frühling Sommer und Herbst gefolgt sind. Der Frühling ist ja sozusagen ein Bild für Jugend, er weist hin auf die kommenden Früchte, die übrigen Jahreszeiten sind für das Abschneiden und Ernten der Früchte da. Die Ernte aber, die man im Alter hat, ist, wie ich schon oft sagte, eine reiche Erinnerung an all das Gute, das man früher geschaffen hat. Unter das Gute aber ist all das zu rechnen, was menschlichem Wesen gemäß ist. Ist es aber nun nicht völlig menschlichem Wesen gemäß, dass alte Menschen sterben müssen? Widerfährt es jungen Menschen, so ist dies durchaus gegen die menschliche Natur, die sich dann aufbäumt. Daher kommt mir der Tod junger Leute vor wie das Ersticken eines gewaltigen Feuers mit einer Flut von Wasser; sterben aber alte Leute, so kommt gleichsam ein Feuer, das sich aufgezehrt hat, von selbst, ohne Gewalt, zum Erlöschen; und wie das Obst nur mit Mühe von den Bäumen abgepflückt werden kann, solange es noch grün ist, dagegen aber abfällt, sobald es zeitig und ausgereift ist, so nimmt jungen Leuten nur Gewalt, alten Menschen dagegen ihre Reife das Leben fort. Auf diese Reife freue ich mich so sehr, dass ich, je näher ich dem Tode komme, glaube, gleichsam -Land in Sicht- zu haben und endlich nach langer Seefahrt in einen Hafen zu gelangen."

 

3.4.1.7.4  XX, 74  - sich früh mit dem Tod beschäftigen -  

 

Cicero lässt den Cato ferner ausführen, dass man sich schon in der Jugend mit dem Tod auseinandersetzen soll.

 

„Aber man muss von Jugend auf darauf vorbereitet sein, den Tod so gleichgültig zu nehmen, eine geistige Vorbereitung, ohne die niemand in seinem Inneren ruhig sein kann. Der Tod ist nämlich gewiß, ungewiß nur, ob er gerade heute kommt. Wenn man nun den Tod, der zu jeder Stunde droht, fürchtet, wie soll man dann innerlich stark sein können?“

 

Die Forderung, sich bereits früh mit dem Tod auseinanderzusetzen, verwundert nicht, sondern entspricht gerade der stoischen Tradition des „praemeditation malorum", das Nachdenken über das größtmögliche Übel, den Tod. Dies wird später von Seneca in epistula 107,4 fortgeführt. Seneca sieht es so, dass man fremdes Leid auf sich selbst beziehen solle, um dadurch innerlich auf kommendes Leid vorbereitet zu sein. Wieder etwas später wird diese Sichtweise von Marcus Aurelius in seinem Werk „Selbstbetrachtungen" niedergeschrieben. Er meint über die praemeditatio malorum: Dies bringt die Vollkommenheit des Charakters mit sich, jeden Tag, als ob er der letzte wäre, zu durchleben und weder sich aufzuregen, noch abgestumpft zu sein, noch zu heucheln. Damit ist die Verbindung zu carpe diem hergestellt.

 

3.4.2  Marcus Tullius Cicero in “de finibus bonorum et malorum”

 

 

In seiner Schrift „Fünf Bücher über das höchste Gut und Uebel“ spricht es Cicero in Kapitel XI, §32 an, dass Menschen, die vom Alter gebeugt sind, über die Annäherung des Todes in der Regel erschüttert werden, da es Trennung und Abschied bedeutet. Hiervon seien auch die Weisen, die den Tod wünschen, nicht zwangsweise ausgeschlossen. In Kap. XV, § 49  führt er aus, dass ein starker und erhabener Sinn den Tod als Übel verachten könne.. Die Verwendung des Wortes „verachten“ war der terminus technici seiner Zeit für „keine Angst davor zu haben“.

Cicero befindet sich auch in Kapitel 15 im Einklang mit dem epikurischen Lukrez, soweit dieser in de rerum natura vernehmen lässt, die Furchtlosigkeit vor der Zeit nach dem Tode sollte der Furchtlosigkeit der vorgeburtlichen Zeit entsprechen. 

 

3.4.2.1. Kap. XI, § 32:

 

„Selbst von dem Weisen, der zu sterben beschlossen hat, muss man annehmen, dass ihn die Trennung von den Seinigen und der Abschied von dem Tageslicht erschüttert. Hauptsächlich erhellt aber die Macht der Natur hier daraus, dass Viele selbst ein Bettlerleben ertragen, nur um zu leben, und dass Menschen, die vom Alter niedergebeugt sind, sich über die Annäherung des Todes ängstigen....."

 

3.4.2.2. Kap. XV, § 49  - Die Zeit nach dem Tod ängstigt so wenig wie die Zeit vor Geburt

 

„So wie die Todesfurcht den ganzen Zustand eines ruhigen Lebens verwirrt, und so wie es jämmerlich ist, wenn man den Schmerzen unterliegt oder sie nur mit gedrücktem oder schwächlichem Sinne erträgt, und wie ob dieser Geistesschwäche Viele ihre Eltern, Viele ihre Freunde, Manche ihr Vaterland, die Meisten aber sich selbst gänzlich ins Verderben gestürzt haben, so hält sich umgekehrt ein starker und erhabener Sinn frei von aller Angst und Sorge und verachtet selbst den Tod; denn wer davon getroffen wird, ist eben nur so daran, als wie vor seiner Geburt. Ein solcher ist bereit, Schmerzen zu ertragen, denn er weiss, dass die grössten mit dem Tode enden, dass die kleinen viele Pausen der Ruhe haben und dass man Herr der mässigen Schmerzen werden kann, so dass die erträglichen ausgehalten werden können, und bei den härteren man mit Seelenruhe das Leben, wenn es nicht gefällt, wie ein Theater verlassen kann."

 

3.5 Lucius Annaeus Seneca, (4 v.Chr. bis 65), Vertreter der Späten Stoa

 

3.5.1 Epistula morales 4, seneca ad lucilium, liber primus, 1.Buch (Otto Apelt Übersetzung 1924)

 

Seneca führt hier den mir selbst verinnerlichten maßgebenden Gedanken an, dass man den Tod nicht fürchten müsse, da er den Menschen überhaupt nicht betrifft.

„Schaue nur wacker vorwärts, und du wirst einsehen, dass manches eben deshalb weniger zu fürchten ist, weil es reichliche Furcht erweckt. Ein Übel, welches das letzte ist, ist nicht groß. Der Tod kommt zu dir, zu fürchten wäre er, wenn er bei dir verweilen könnte: Aber entweder ist er noch nicht zur Stelle oder er ist vorüber. Anders kann es nicht sein."

 

3.5.2. Epistula morales 12, seneca ad lucilium (Otto Apelt Übersetzung 1924)

 

Seneca überrascht mal wieder. Er betrachtet die Zustände auf seinem Landgut und stellt fest, dass das Gebäude baufällig geworden ist und Schäden hat. Den Sohn seines Verwalters hat er auch nicht mehr erkannt, die Bäume sind verkümmert. Dann stellt er fest, dass das Alter die Ursache sei, schließlich habe er zwischenzeitlich ja auch ein hohes Alter. Dann beschrieb er die Vorteile des Alters und kommt dabei zum Ergebnis, dass das Obst am besten schmecke, wenn seine Zeit zu Ende gehe. Dies als Spiegel ansehend, bekundet er seine Zuneigung zum Alter, soweit es sich abwärts kehrt, aber noch nicht im jähen Sturz begriffen ist. Aber auch darüber hinaus meint er, dass auch das am äußersten Rande stehende Alter noch seine Reize habe. Welch Unterschied sich hier etwa zu einem Sophokles zeigt.

 

Text:

 

"Wohin ich mich auch wende, überall finde ich Beweise meines hohen Alters. Bei einem Besuche meines Landgutes in der Nähe der Stadt beklagte ich mich über die Kosten des baufälligen Gutshauses. Der Verwalter erklärte mir, daran sei nicht etwa seine Nachlässigkeit schuld, er lasse es an nichts fehlen, aber das Landhaus sei alt. Dies Landhaus ist unter meinen Händen ausgebaut worden! Worauf muss ich mich gefasst machen, wenn Steine, die nicht älter sind als ich, schon mürbe werden?

In gereizter Stimmung ergreife ich den nächsten Anlass, meinen Ärger kundzugeben. "Es liegt am Tage", sage ich, "diese Platanen ermangeln der sorglichen Pflege: sie haben kein Laub. Wie knotig und dürr sind die Äste, wie verkümmert und ungepflegt die Stämme! Dem wäre nicht so, wenn der Boden ringsum gehörig gelockert und bewässert würde". Er schwört bei meinem Schutzgeist, er tue alles, lasse es in keinem Stücke an der nötigen Sorgfalt fehlen, aber die Platanen seien alt. Unter uns gesagt, ich selbst hatte sie gepflanzt, hatte ihr erstes Laub gesehen.

Ich wende mich nun der Tür zu und frage: "Wer ist dieser stumpfe Gesell, der mit Recht seinen Platz am Eingang erhalten hat? Er blickt schon hinaus (nach dem Grabe). Wo hast du ihn denn aufgelesen? Was fandest du für ein Vergnügen daran, eine fremde Leiche aufzunehmen?" Da rief jener: "Kennst du mich nicht? Ich bin Felicio, den du mit den Bilderchen zu beglücken pflegtest. Ich bin der Sohn deines Verwalters Philositus, dein Liebling". "Er ist rein verrückt", sage ich. "Ist er schon als Bübchen mein Liebling geworden? Wohl möglich: die Zähne fallen ihm eben jetzt aus."

Ich muss meinem Landgut dankbar sein: es hat mir, wohin ich auch die Blicke richtete, mein hohes Alter zum Bewusstsein gebracht. Nehmen wir es also freudig hin und schenken ihm unsere Liebe. Es bietet eine Fülle von Genuss, wenn man es nur von der richtigen Seite anfasst. Das Obst schmeckt am besten, wenn seine Zeit zu Ende geht; das Knabenalter zeigt seinen größten Reiz im letzten Abschnitt; dem Zecher schmeckt der letzte Zug am besten, der zum Untertauchen führt und der Trunkenheit die Krone aufsetzt.

 

Den größten Reiz, den jede Art von Lust in sich schließt, verspart sie auf das Ende. Am reizvollsten ist das Alter, das sich bereits abwärts kehrt, aber noch nicht zu jähem Sturz. Aber auch das am äußersten Rande stehende Alter hat meines Erachtens noch seine Reize; oder es tritt an die Stelle des Reizvollen eben das Glück, nichts zu bedürfen. Welche Wonne, seiner Begierden Herr geworden zu sein und ihnen den Laufpass gegeben zu haben!

 

"Aber es hat doch sein Missliches, den Tod vor Augen zu haben", erwiderst du.

 

Erstens muss er dem Jüngling nicht weniger vor Augen stehen als dem Greis. Denn wir werden nicht nach Alterslisten abgerufen. Sodann ist doch niemand so alt, dass man ihm einen Vorwurf machen könnte, wenn er noch einen weiteren Tag erhofft. Ein Tag aber ist eine Stufe des Lebens. Das ganze Leben besteht aus Teilen und setzt sich aus Kreisen zusammen, von denen immer ein größerer die kleineren umschließt. Einer von ihnen umfasst und begrenzt alle; er reicht vom Tag der Geburt bis zu dem des Todes; ein zweiter umschließt die Jahre der Jünglingszeit; ein dritter umspannt die ganze Kindheit. Es gibt ferner einen selbständigen Jahreskreis, der alle Zeiten umfaßt, aus deren Vervielfältigung sich das Leben zusammensetzt. Den Monat umspannt ein engerer Kreis. Der engste Kreis gehört dem Tag, doch auch dieser erstreckt sich vom Anfang bis zum Ende, vom Aufgang bis zum Untergang.

 

Daher sagt Heraklit - der Dunkle, wie er wegen der Dunkelheit seiner Sprache hieß -: "Ein Tag gleicht allen". Das hat der eine so, der andere anders aufgefasst. Der eine deutete es auf die gleiche Stundenzahl, und das ist nicht unrichtig, denn wenn der Tag ein Zeitraum von vierundzwanzig Stunden ist, dann müssen alle Tage einander gleich sein, weil, was der Tag verloren hat, durch die Nacht ersetzt wird.

Ein anderer sagt: ein Tag gleicht allen Tagen in Hinsicht auf seine Beschaffenheit; denn auch die längste Zeitspanne hat nichts an sich, was sich nicht auch an jedem einzelnen Tage fände, Licht und Dunkelheit. Und auch die wechselnden Weltperioden zeigen in dieser Beziehung keinen Unterschied (vom Einzeltag), nur die Länge (bei vermehrter Zahl der Einzeltage) und Kürze (des Einzeltages) macht den Unterschied.

 

Daher muss man mit jedem Tage auf das gewissenhafteste verfahren, als wäre er der letzte der Reihe und bringe die Summe der Lebenstage zum Abschluss.

 

Pacuvius, der Syrien vollständig für sich ausbeutete, ließ sich, wenn er durch wüstes Zechen und Schmausen sich gleichsam selbst das Totenopfer gebracht hatte, in der Weise in sein Schlafgemach tragen, dass bei Musikbegleitung unter dem Jubel der Buhlknaben gesungen ward: (Ich habe gelebt, ich habe gelebt)!

Und kein Tag verging, wo er nicht so sein Leichenbegängnis hielt. Was er im Bewußtsein seiner Schlechtigkeit tat, das wollen wir bei gutem Gewissen tun, und jedesmal, wenn wir uns zur Ruhe legen, froh und heiter zu uns sagen: Ja, ich habe gelebt und den Lauf des Schicksals vollendet! Fügt die Gottheit noch den morgenden Tag hinzu, so sei er mit Freude in Empfang genommen. Der ist der Glücklichste und der unbedingt sichere Herr seiner selbst, der dem morgenden Tag ohne Bangen entgegensieht. Wer sagen kann: ."ich habe gelebt", der erhebt sich täglich zu neuem Gewinn.

Doch es ist Zeit, meinen Brief zu beschließen. "So soll er also", sagst du, "ohne irgendwelche Spende an mich gelangen?" Erspare dir die Furcht: er bringt etwas mit. Etwas? Nein, ich müßte sagen: viel. Denn gibt es einen trefflicheren, herrlicheren Spruch als den, den ich diesem Briefe für dich mitgebe? "Schlimm ist es, in Not zu leben, aber in Not zu leben nötigt nichts". Und so ist's in der Tat. Viele Wege zur Freiheit, kurz und gangbar, eröffnen sich allerseits. Danken wir Gott, dass niemand unbedingt an das Leben gefesselt ist. Es liegt in unserer Macht, die Not selbst zu Boden zu treten."

 

3.5.3. Epistula morales 26, seneca ad lucilium (Otto Apelt Übersetzung 1924)

 

Seneca beschäftigt sich in epistula morales 26 damit, das Leben als Vorbereitung auf den Tod zu begreifen und sterben zu lernen. Er zählt sich zum Zeitpunkt des Abfassens des Briefes zu den körperlich Verfallenen und am äußersten Ende stehend, beglückwünscht sich aber gleichzeitig, da er seinen Geist noch frei von der Unbill des Alters sieht, mit dem sein Körper zu ringen hat. Das Einschwören auf diese Gestimmtheit lässt sich am besten mit seinem Trostspruch in 26,10 beschreiben „meditare mortem!“, „Gedenke des Todes“. Auch möchte er damit klarstellen, dass man kein Sklave des Lebens mehr ist, wenn man zum Sterben bereit ist, da man dann ja auch die Furcht vor dem Tod verloren hat. Ich möchte meinen, hier eindeutige Parallelen zwischen Platon und Seneca zu erkennen, lässt uns Phaidon doch auch wissen, „Philosphieren heißt Sterben lernen“.

 

Text:

 

„(1) Es ist nicht lange her, dass ich dir sagte, ich stehe mitten im Greisenalter. Jetzt, fürchte ich, bin ich schon darüber hinaus. Jetzt wäre schon ein anderes Wort passend für diese meine Jahre, wenigstens für diesen meinen körperlichen Zustand; denn unter Greisenalter versteht man eine Zeit der Erschlaffung, nicht des Gebrochenseins. Zähle mich zu den körperlich Verfallenen, die am äußersten Ende stehen.

 

(2) Gleichwohl darf ich es wagen, mir vor dir Glück zu wünschen: Mein Geist fühlt sich frei von der Unbill des Alters, mit der mein Körper zu ringen hat. Nur meine Fehler und die Werkzeuge meiner Fehler sind alt geworden. Mein Geist ist frisch und froh, dass er nicht mehr viel mit dem Körper zu schaffen hat. Er hat sich eines großen Teils seiner Bürde entledigt. Er frohlockt und macht sich zu meinem Gegner in der Frage über das Greisenalter. Das, sagt er, sei seine Blütezeit. Glauben wir ihm; gönnen wir ihm den Genuß seines Glückes.

 

(3) Er gibt die Anweisung, darüber nachzudenken und ins klare zu kommen, was ich von dieser Seelenruhe und Maßhaltung der Weisheit verdanke und was dem Alter,und genau zu prüfen, ob, wenn ich etwas nicht tue, daran die mangelnde Kraft oder der mangelnde Wille schuld sei, und wenn ich es nicht tun will, so freue ich mich, wenn ich zugleich es nicht tun kann. Denn was gäbe es zu klagen, was wäre es für ein Unglück, wenn dasjenige zu Ende geht, was nichts anderes verdiente als aufzuhören?

 

(4) »Es ist aber doch«, sagst du, »ein höchst empfindliches Übel, zusammenzuschrumpfen, dahinzuschwinden und, um das bezeichnendste Wort zu wählen, zu verwesen. Denn wir sind nicht mit einem Schlag zu Fall gebracht und hingestreckt worden: Stück um Stück schwinden wir dahin. Jeder Tag entzieht uns etwas von unserer Kraft.« Was gäbe es denn für einen besseren Ausgang, als allmählich durch die lösende Macht der Natur dem Ende anheim zu fallen? Nicht, als wäre ein einmaliger Schlag und ein plötzlicher Austritt aus dem Leben ein Unglück; aber das allmähliche Verschwinden ist doch vergleichsweise ein lind er Abgang. Ich wenigstens prüfe mich, als wäre nun die Probe zu bestehen und als wäre jener Tag erschienen, der über mein ganzes Leben das entscheidende Urteil fällen soll, und rede so zu mir:

 

(5) »Nichts ist es, was ich bis jetzt in Wort und Tat geleistet habe. Es sind nichtige und trügerische Unterpfänder meiner Gesinnung, mit reichlichem Blendwerk umhüllt: Der Tod soll mir erst zeigen, wie weit ich es in der Besserung gebracht habe. Ohne Zagen mache ich mich also bereit für jenen Tag, wo ich ohne alle Ausflüchte und Schönfärberei über mich entscheiden soll, ob ich nur in Worten oder auch in meinem Innern tapfer bin, ob es etwa Heuchelei und Schauspielerei gewesen sei, was ich an trotzigen Worten gegen das Schicksal im Munde geführt.

 

(6) Berufe dich nicht auf das Urteil der Menge: Es ist stets unzuverlässig und schwankt von einer Seite zur anderen. Berufe dich nicht auf deine wissenschaftlichen Bestrebungen, die du dein Lebtag betrieben: Der Tod wird über dich das Urteil fällen. Meiner Meinung nach zeigen deine Abhandlungen und gelehrten Gespräche, und was du aus den Lehren der Weisen an Kernsprüchen gesammelt, und deine gewählte Sprache nicht die wahre Kraft deiner Gesinnung. Denn auch die Zaghaftesten führen mitunter eine kecke Sprache. Was du geleistet, wird sich dann zeigen, wenn die Seele dir entweicht. Ich füge mich in dein Verlangen; ich scheue das Gericht nicht«.

 

(7) So rede ich mit mir; aber auch mit dir will ich damit zugleich geredet haben. Du bist jünger. Doch was macht das aus? Die Jahre werden nicht einzeln abgezählt. Es ist ungewiß, wo der Tod dich erwartet; erwarte ihn also, wo du auch bist.

 

(8) Schon wollte ich schließen, und meine Hand eilte zur Unterschrift: aber die Opferhandlung will ihren Abschluß haben, und dieser Brief verlangt sein Reisegeld. Du brauchst dir nicht erst gesagt sein zu lassen, bei wem ich meine Anleihe machen werde; du kennst den Geldschrank, den ich benutze. Warte noch ein Weilchen, und die Bezahlung wird aus eigenen Mitteln bestritten. Vor der Hand wird Epikur noch herhalten, der sagt: »Gedenke des Todes«, oder, wenn du das lieber hörst, gedenke zu den Göttern überzugehen. Der Sinn ist klar: »Es ist eine herrliche Sache, sterben zu lernen«.

 

(9) Du hältst es vielleicht für überflüssig, das zu erlernen, dessen Anwendung sich auf einen einzigen Fall beschränkt. Eben das ist es, was es uns zur Pflicht macht, darauf zu denken. Immer muss man das erlernen, von dem wir durch keine Erfahrung erproben können, ob wir es auch wissen.

 

 (10) »Gedenke des Todes«! Wer so spricht, heißt uns der Freiheit eingedenk sein. Wer sterben gelernt hat, hat verlernt, Sklave zu sein. Er ist über jede äußere Gewalt erhaben oder wenigstens außerhalb derselben. Was wollen gegen ihn Kerker und Gewahrsam und Riegel? Er hat freien Ausgang. Nur eine Kette gibt es, die uns gefesselt hält, das ist die Liebe zum Leben. Wir wollen sie nicht von uns weisen, aber wir müssen ihren Druck mindern, damit, wenn die Entscheidung eintritt, uns nichts zurückhalte und hindere, bereit zu sein, das ohne Zögern zu tun, was einmal doch geschehen muss.“

 

3.5.4. Von der Seelenruhe (de tranquillitate animi), Antwort Senecas auf die Anfrage des Serenus

 

Dieser Dialog Senecas ist seinem Freund Annaeus Serenus gewidmet, der Seneca bittet, ihm bei der Wiedererlangung der Seelenruhe behilflich zu sein. Dabei geht es bei Serenus um die Frage, ob er sich für ein Leben in Stille und Zurückgezogenheit oder für eine politische Laufbahn entscheiden soll. Seneca legte ihm die stoischen Positionen dar, die unter anderem auch die Vorstellung über den Tod umfassen.  

 

„Furcht vor dem Tode ist dem Lebendem für überhaupt nichts gut. Wer sich aber seit Anbeginn seinem Schicksal verbunden weiß, wird prinzipiengetreu leben und so -geisteskräftig wie er ist- gleichzeitig erreichen, dass ihn nichts Kommendes unvorbereitet trifft. Er ist gefasst auf alles, was einem so zustoßen kann. Und indem er alle Übel für möglich hält, nimmt er ihren Angriffen die Wucht, die für bewusst Vorbereitete eben nicht überraschend kommt, die Sorglosen, die mit glücklichen Zufällen rechnen, hingegen schwer trifft.“

 

3.6 Epiktet, Vertreter der jüngeren Stoa ( 50 - 138), Handbüchlein der Moral 

 

3.6.1 Nr.5  - nicht die Dinge beunruhigen den Menschen, sondern die Meinung darüber

 

Er sah im Tod nichts Furchtbares und beschrieb dies unter Nr. 5 seiner Schrift „Handbüchlein der Moral, das im Mittelalter dann oft als Trostschrift Verwendung fand:

 

„Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über dieselben beunruhigen die Menschen. So ist der Tod an und für sich nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so vorgekommen; vielmehr ist die vorgefasste Meinung von ihm, dass er etwas Schreckliches sei, das Schreckhafte. Wir wollen daher, wenn wir von etwas gehindert, beunruhigt oder betrübt werden, niemals andere anklagen, sondern uns selber, nämlich unsere Meinung davon. Seines Unglücks wegen andere anklagen, ist die Art der Ungebildeten, sich selbst die der Anfänger, weder sich noch andere die der gründlich Gebildeten".

 

3.6.2  Nr. 11 - mit dem Verlust wird nur etwas zurückgegeben-

 

In Nr. 11 legt er dar, wie man mit Verlust umgehen solle und beschrieb darin, wie man den Tod des Kindes oder der Frau sehen könne. Den Charakter als Trostschrift erkennt man daran, dass er dem vom Verlust Betroffenen den Schmerz nehmen möchte. Ist diese epiktische Wundsalbe für den schmerzenden Verlust aber auch für die Wirklichkeit gedacht?

 

 „Sag nie von einer Sache: “Ich habe sie verloren“, sondern: „Ich habe sie zurückgegeben.“ Dein Kind ist gestorben? Es wurde zurückgegeben. Deine Frau ist gestorben? Sie wurde zurückgegeben. „Man hat mir mein Grundstück gestohlen. Nun, auch das wurde zurückgegeben. „Aber es ist doch ein Schuft, der es mir gestohlen hat.„ Was schert es dich, durch wen es der Geber von dir zurückforderte? Solange er  es dir zur Verfügung stellt, behandle es als fremdes Eigentum wie die Reisenden ihre Herberge.

 

3.6.3  Nr. 21  meditatio mortis    - sich mit dem Tod beschäftigen -

 

Epiktet führt bei der Forderung des sich täglich in Erinnerung bringenden Todes die stoische Linie fort - die hierin durchaus mit der epikurischen Denkweise korrespondiert-, hierdurch die Furcht vor dem Tode zu verbannen und das Leben zu genießen.

„Tod, Verbannung und alles andere, was furchtbar erscheint, halte dir täglich vor Augen, vor allem aber den Tod, und du wirst niemals schäbige Gedanken haben oder etwas maßlos begehren.“

 

3.7  Marcus Aurelius, Vertreter der jüngeren Stoa (121 - 180), römischer Kaiser und Philosoph, Selbstbetrachtungen oder Wege zu sich selbst

 

Marc Aurels Reflexionen beschreiben einen Höhepunkt der abendländischen Kultur und haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Laut Cicero (tuskulanische Gespräche 5,10) soll Sokrates die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt haben. Marcus Aurelius sollte dann aber das Verdienst zukommen, dem Menschen das richtige Maß im Verhältnis zum Kosmos gegeben zu haben. Der römische Kaiser, zu seiner Zeit fast zwanzig Jahre der mächtigste Mensch seiner damaligen Welt, zeigte an vielen Stellen seiner Schrift für den Menschen die Notwendigkeit auf, sich seiner Stellung und Verantwortung im Räderwerk der Natur bewusst zu sein und insgesamt ein für die damalige Zeit seltenes Bild einer minimalistischen Anthropologie.

Insbesondere verwies er häufig auf die Vergänglichkeit, die Veränderung des Menschen und auf den Tod als naturgemäße Erscheinung. Im Neunten Buch fordert er sogar dazu auf, für den Tod eine Freude zu entwickeln, da die Natur den Tod gewollt vorgesehen habe. Deshalb brauche man auch keine Angst und Furcht davor haben. Gerade wer versucht Marcus Aurelius als Vertreter der stoischen Philosophie zu verstehen, versteht auch die Herkunft des horazischen „carpe diem", denn nur wer sich der Vergänglichkeit bewusst ist, vermag die qualitative Realitätswahrnehmung des Augenblicks zu erkennen. Aus einem tiefen Respekt gespeist, möchte ich mich den aurelischen Gedanken detaillierter widmen, wobei ich auch hier der Versuch nicht widerstehen konnte, manchen Kapiteln in der Überschrift eigene Stichworte beizufügen:

 

3.7.1 Selbstbetrachtungen, Zweites Buch, geschrieben in Carnuntum

 

3.7.1.1 Kap 12 - Sterben ist nicht nur natürlich, sondern auch nützlich

 

M.A. führt darin aus, dass der Tod eine heilsame und nützliche Wirkung der Natur sei. Dies könne man mit dem analytischen Verstand leicht erkennen. Die Stoiker gingen davon aus, dass alles Natürliche eine göttlliche Wirkung des Logos, der allumfassenden schöpferischen Vernunft sei. Das Natürliche brauche man aber nicht zu fürchten.

Text:

„Wie schnell alles verschwindet: In der Welt die Lebewesen selbst, in der Ewigkeit die Erinnerung an sie. So ist es mit allem Wahrnehmbaren. Wie billig, verächtlich, schmutzig, vergänglich und tot diese Dinge sind -das zu verstehen, liegt im Bereich unseres vernünftigen Denkens. Damit begreift man auch, was die Leute wert sind, deren Meinungen und Stimmen Ansehen verschaffen, was das Sterben ist und dass man, wenn man es für sich allein betrachtet und die ihm anhaftenden Vorstellungen mit analytischem Verstand auflöst, annehmen wird, dass es nichts anderes ist als ein natürlicher Vorgang. Wenn aber jemand einen natürlichen Vorgang fürchtet, ist er ein Kind. Das Sterben ist freilich nicht nur ein natürlicher Vorgang, sondern auch ein nützlicher für Natur."

 

3.7.1.2 Kap 14  -der alte und der junge Mensch verlieren beim Tod nur den Augenblick

 

Man kann diese Zeilen als Trost für Hinterbliebene ansehen, deren Familienangehörige sehr jung gestorben sind.  Vielfach wird doch immer wieder erwähnt,  jener Mensch war ja erst so und so viele Jahre alt, der Tod kam ja viel zu früh! Marcus Aurelius sah das nicht so, für ihn verlieren der junge und der alte Mensch beim Tod beide das gleiche, nämlich nur den jeweiligen Augenblick. Das ist auch der ultimative Reduktionismus bei dem Gedanken des „carpe diem“.

 

Text:

 

„Und wenn du dreitausend Jahre lebtest, selbst dreißigtausend, so erinnere dich dennoch, daß keiner ein anderes Leben verliert als das, was er wirklich lebt, und kein anderes lebt, als das, was er verliert. Das längste Leben kommt also mit dem kürzesten auf eins hinaus. Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für alle von gleicher Dauer, welche Ungleichheit es auch in der Dauer des Vergangenen geben mag, und den man verliert, erscheint nur wie ein Augenblick; niemand kann weder die Vergangenheit noch die Zukunft verlieren, denn wie sollte man ihm das rauben können, was er nicht besitzt? Man muß sich also diese beiden Wahrheiten merken, die eine, daß alles sich im ewigen, unveränderlichen Kreislauf befindet, und daß es von keiner Wichtigkeit ist, dieselben Dinge hundert oder zweihundert Jahre oder eine grenzenlose Zeit zu beobachten; die andere, daß der im höchsten Lebensalter und der sehr jung Sterbende beide das gleiche verlieren. Sie verlieren nur den gegenwärtigen Zeitpunkt, weil sie nur diesen allein besitzen und weil man das, was man nicht besitzt, nicht verlieren kann.“

 

3.7.1.3 Kap. 17  - sich vergegenwärtigen, dass der Tod nichts Schlechtes ist

 

Ferner führt er im Kapitel 17 aus, wie die Philosophie dem Menschen behilflich sein kann. Zur Bewältigung des bevorstehenden Todes sei heitere  Gelassenheit erforderlich und vor allem die Heranbildung eines Bewusstseins, dass der Tod nichts Schlechtes ist.

Text:

„außerdem das, was geschieht und zugeteilt wird, hinnehme, als ob es irgendwie von dort komme, woher er selbst gekommen ist, schließlich den Tod mit heiterer Gelassenheit erwarte, als ob er nichts anderes sei als die Trennung der Grundbestandteile, aus denen jedes Lebewesen besteht. Wenn es aber für die Grundbestandteile selbst nicht schlimm ist, dass sich jedes einzelne ununterbrochen in ein anderes verwandelt -warum fürchtet man dann die Verwandlung und Trennung in die Grundbestandteile? Das ist doch natürlich. Nichts aber ist schlecht, was natürlich ist.“

 

3.7.2 Viertes Buch

 

3.7.2.1  Kapitel 3  - alles was Du siehst, verändert sich-

 

„Alles was Du siehst, verändert sich in Kürze und wird bald nicht mehr sein. Und denk dauernd daran, bei wie vielen Dingen du selbst schon Veränderungen erlebt hast. Die Welt ist Wandlung. Das Leben ist subjektive Einstellung und Einbildung"

 

3.7.2.2  Kapitel 17   

 

„Handle nicht so, als ob du tausende von Jahren leben würdest. Dein unabwendbares Schicksal steht schon fest. Solange du lebst, solange es dir möglich ist, werde gut."

 

3.7.2.3  . Kapitel 35

„Alles ist nur von kurzer Dauer: Was sich erinnert und was in der Erinnerung festgehalten wird“

 

3.7.2.4  . Kapitel 36

 

„Betrachte ununterbrochen alles, was durch Verwandlung entsteht, und gewöhne dich daran zu bedenken, dass die Natur des Weltganzen nichts so sehr liebt, wie das Seiende zu verwandeln und neues von ähnlicher Gestalt zu erzeugen. Denn jedes Seiende ist gewissermaßen schon ein Same dessen, was aus ihm hervorgehen wird."

 

3.7.2.5  Kapitel 37

 

„Bald wirst Du tot sein und bist immer noch nicht einfach und natürlich, frei von der Angst, von außen geschädigt zu werden, und versöhnlich gegenüber allen und Du konzentrierst dein Denken noch nicht ausschließlich auf die Verwirklichung der Gerechtigkeit."

 

3.7.2.6   Kapitel 47

 

Darin legt er dar, dass es nicht von großer Bedeutung ist, ob der Tod in vielen Jahren oder schon morgen kommt.

„....so bedenke auch, dass es nicht von großer Bedeutung ist, ob es erst in vielen Jahren oder morgen der Fall ist."

 

3.7.2.7   Kapitel 48

 

Darin greift er den Gedanken von Cicero (de senectute, XIX 70,71) und Lukrez (de rerum natura, liber tertius, 935) auf und macht mit dem Leben und dem bevorstehenden Tod eine vergleichende Betrachtung mit der Reife der Baumfrüchte. Während Cicero das Alter mit der Reife des Obstes und Lukrez mit einem gesättigten Gast vergleicht, macht Aurel nun eine Anleihe bei den Oliven.

„Führe dir aber auch einen nach dem anderen deiner eigenen Bekannten vor Augen. Der eine hat den anderen beerdigt und war dann selbst an der Reihe, und so weiter. Das alles geschah in kurzer Zeit. Kurz und gut: Stets das Menschliche betrachten als eine Erscheinung, die nur einen Tag dauert und belanglos ist, gestern noch ein Tropfen Schleim, morgen Mumie oder Asche. Diese winzige Zeitspanne also in Übereinstimmung mit der Natur durchlaufen und dann heiter auszuspannen, wie eine Olive, die reif vom Baum fiele, die Erde priese, die sie hervorbrachte, und dem Baum dankte, der sie wachsen ließ."

 

3.7.3 Sechstes Buch

 

3.7.3.1  Kapitel 2

 

„Kümmere Dich nicht darum, ob du frierend oder schwitzend deine Pflicht tust, todmüde oder gut ausgeschlafen, beschimpft oder gelobt, sterbend oder bei einer anderen Tätigkeit. Denn einer der Vorgänge, die zum Leben gehören, ist auch das Sterben. Es genügt also, dass man auch dabei das unabänderlich Gegebene richtig in den Griff bekommt."

 

3.7.3.2  Kapitel 28:

 

„Der Tod ist die Beendigung der sinnlichen Eindrücke, der Bewegung durch die Triebe, der geistigen Wanderschaft und des Dienstes am Fleisch."

 

3.7.3.3  Kapitel 48

 

Aurelius erkennt, dass man mit seiner Zeit, seiner Lebenszeit zufrieden sein soll und stellt hierzu wieder eine vergleichende Betrachtung mit dem Körpergewicht an.

„Du ärgerst dich doch wohl nicht, dass du so und soviel Pfund wiegst und nicht dreihundert? So darfst du dich also auch nicht darüber ärgern, dass du nur so und so viele Jahre zu leben hast und nicht mehr. Denn wie du mit dem dir bestimmten Umfang deines (leiblichen) Seins zufrieden bist, so sei es auch mit dem Umfang der Zeit."

 

3.7.3.4  Kapitel 56

 

„Wie viele von denen, mit denen ich in den Kosmos eingetreten bin, sind schon fortgegangen."

 

3.7.4  Siebtes Buch

 

3.7.4.1 Kapitel 6

 

Aurelius beschreibt mit einem Satz das Vergessen.

„Wieviele hochberühmte Leute sind schon lange vergessen. Wieviele, die diese gerühmt haben, sind seit langer Zeit nicht mehr da."

 

3.7.4.2 Kapitel 18

 

Aurelius versucht hier wieder die Angst des Menschen vor Veränderung zu widerlegen. Er legt einfühlsam dar, dass Existenz überhaupt nur möglich ist, weil es Veränderung gibt. Am Beispiel des Holzes führt er auf, dass man das Badewasser nur wärmen kann, wenn man es verbrennt, damit verändert. Dies entspreche dem Weltganzen. Die Veränderung des Menschen hin zum Verfall entspreche aber genauso dem Weltganzen:

„Jemand fürchtet Veränderung? Was kann denn überhaupt ohne Veränderung geschehen? Was ist der Natur des Weltganzen willkommener oder vertrauter? Kannst Du selbst überhaupt baden, wenn das Holz sich nicht verändert? Kannst Du dich ernähren, wenn die Nahrung sich nicht verändert? Kann überhaupt eine nützliche Sache ohne Veränderung ihren Zweck erfüllen? Siehst du denn nicht, dass deine eigene Veränderung dem vergleichbar ist und gleichermaßen notwendig für die Natur des Weltganzen?"

 

3.7.4.3 Kapitel 21

 

„Nahe ist die Zeit, wo du alles vergessen hast, nahe ist die Zeit, wo alle dich vergessen haben."

 

3.7.4.4 Kapitel 25

 

„Alles, was du siehst, wird die Natur, die das Weltganze durchwaltet, bald verändern und sie wird anderes aus ihrem Sein erzeugen und wiederum anderes aus dem Sein jener anderen Dinge, damit der Kosmos immer wieder neu ist."

 

3.7.5 Achtes Buch

 

3.7.5.1 Kapitel 5

 

„Zuerst lass dich nicht verwirren. Denn alles wird im Sinne der Natur des Weltganzen geschehen, und in kurzer Zeit wirst du ein Nichts und nirgends sein wie Hadrian und Augustus. "

 

3.7.5.2Kapitel 8

 

„Die Natur des Weltganzen hat folgende Aufgabe: Was hier ist, dorthin zu stellen, zu verändern, von hier hochzuheben und dorthin zu tragen. Alles ist Veränderung, so dass man keine Angst vor etwas Neuem zu haben braucht. Alles ist vertraut, aber auch die Zuteilungen des Schicksals sind gleich.

 

3.7.5.2 Kapitel 21

 

„Dreh den Körper um und sie her , wie er ist, wenn er alt, krank und ein Opfer seiner Unzucht geworden ist. Kurzlebig ist der Lobende und der Gelobte, der Erwähnende und der Erwähnte. Darüber hinaus findet dies aber auch nur in einem Winkel dieser Weltgegend statt, und nicht einmal hier sind sich alle einig, ja nicht einmal eine einzelne Person mit sich selbst, und die ganze Erde ist nur ein Punkt."

 

3.7.5.3 Kapitel 25

 

Marcus Aurelius bringt zum Ausdruck, dass alle Menschen das gleiche Schicksal trifft. Er verbindet dies mit einer antiken  „Kränkung der Menscheit“, ein Begriff, der erst sehr viel später mit Gallileo aufkam. Die Kränkung durch Marcus Aurelius geschah durch die Schlussfolgerung aus Kapitel 25 des Achten Buches, der Mensch sei nur eine Eintagesfliege.

 

Lucilla trug den Verus zu Grabe, dann starb Lucilla, Secunda den Maximus, dann Secunda. Epitynachanos den Diotimos, dann Epitynachanos. Antonius die Faustina, dann Antonius. Und so weiter. Celer den Hadrian, dann ging es Celer ebenso. All die scharfsinnigen Leute, die Wahrsager oder die aufgeblasenen Gestalten, wo sind sie?. So kluge Köpfe wie Charax, der Platoniker Demetrius, Eudaimon und andere Leute dieses Schlages. Alles nur Eintagsfliegen, schon lange tot. Einige sind nicht einmal für kurze Zeit im Gedächtnis geblieben, andere in die Welt der Mythen übergegangen, wieder andere schon wieder aus der Mythenwelt verschwunden. Daran also denken, dass zwangsläufig die Mischung, aus der du bestehst, zerfallen oder dein Lebenshauch erlöschen oder entschwinden und sich anderswohin begeben wird."

 

3.7.5.4 Kapitel 28

 

Marcus Aurelius definiert hier den Tod als die Beendigung der drei existenziellen Funktionen des Menschen.

„Der Tod ist die Beendigung der sinnlichen Eindrücke, der Bewegung durch die Triebe, der geistigen Wanderschaft und des Dienstes am Fleisch.“

 

3.7.6 Neuntes Buch

 

3.7.6.1 Kapitel 3 -den Tod als natürlichen Vorgang erwarten-

 

„Verachte nicht den Tod, sondern habe deine Freude an ihm, da auch er etwas von dem ist, was die Natur will. Denn wie das Jungsein, das Älterwerden, das Wachsen und Blühen, das Zähnebekommen, das Wachsen des Bartes, das Grauwerden, das Zeugen, Schwangersein, Gebären und die übrigen natürlichen Vorgänge geschehen, die die Jahreszeiten deines Lebens mit sich bringen, so geschieht eben auch die Auflösung. Also entspricht es dem Wesen eines vernunftbestimmten Menschen, dass er weder ganz versessen auf den Tod ist, noch ungestüm nach ihm verlangt, noch hochmütig mit ihm umgeht, sondern ihn erwartet als einen natürlichen Vorgang. Und wie du darauf wartest, wann endlich das Kind aus dem Leib deiner Frau herauskommt, so musst du auch auf die Stunde warten, in der deine Seele aus dieser Hülle herausfallen wird."

 

3.7.6.2 Kapitel 19 - alles ist dem Wandel ausgesetzt-

 

Hier wieder der Gedanke Heraklits, der sich durch die Zeiten schlängelt.

„Alles ist dem Wandel ausgesetzt. Auch du selbst befindest dich in dauernder Veränderung und gewissermaßen in einem Prozess des Vergehens wie auch der gesamte Kosmos.

 

3.7.6.3 Kapitel 21  -den Tod als natürliche Veränderung akzeptieren-

 

„Das Aufhören einer Tätigkeit, eines Wunsches, das Ende und der Tod sozusagen einer Vorstellung, das ist nichts Schlimmes. Wende dich jetzt deinem Lebenslauf zu: deiner Kindheit, der Zeit, als du ein Junge warst, deiner Jugend, dem höheren Alter. Denn auch jede Veränderung auf diesen Altersstufen ist ein Tod. Ist das etwa furchtbar? Geh nun über zu deinem Leben unter deinem Großvater, unter deiner Mutter und unter deinem Vater. Aber auch wenn du viele andere Verluste, Veränderungen und Formen des Aufhörens findest, so frag dich doch: „War das etwa schlimm?" So ist dann auch das Aufhören, das Ende und die Verwandlung deines Lebens nichts Schreckliches."

 

3.7.6.4 Kapitel 32  -Relation menschliches Leben und Kosmos-

 

„Viel Überflüssiges von dem, was dir lästig ist, kannst du loswerden, weil es nur aufgrund deiner Annahme vorhanden ist, und du wirst dir schon jetzt viel Platz schaffen, indem du den gesamten Kosmos mit deinem Geist umfasst, die Ewigkeit begreifst und die schnelle Veränderung der einzelnen Teile jeder Sache bedenkst (und siehst), wie kurz die Zeit von der Entstehung bis zur Auflösung ist, aber unendlich der Zeitraum vor der Entstehung und ebenso grenzenlos die Zeit nach der Auflösung."

 

3.7.6.5 Kapitel 33

 

„Alles was du siehst, wird äußerst schnell vergehen, und diejenigen, die zusehen, wie es vergeht, werden auch selbst sehr schnell vergehen.

 

3.7.6.7 Kapitel 35  -Verlust ist nur Veränderung-

 

„Verlust ist nichts anderes als Veränderung. Daran hat die Natur des Weltganzen ihre Freude, in deren Sinne alles geschieht. Seit Ewigkeit geschah es in gleicher Weise, und es wird ebenso für alle Ewigkeit in immer wieder anderer Form so sein"

 

3.7.7. Zehntes Buch

 

3.7.7.1 Kapitel 19

 

Darin zeigt er den kleinen Menschen auf, der sich selbst mit vermeintlicher Wichtigkeit begibt, den Wunsch hat, sich zu erhöhen, bald aber nicht mehr sein wird. Auch ist es wieder eine Mahnung an den Menschen, dass der Tod am Ende aller Dinge steht.

„Stell dir vor, wie sie sind, wenn sie essen, schlafen, sich bespringen und bespringen lassen, sich entleeren usw. Dann, wie sie den großen Mann spielen, wie sie angeben oder ihren Zorn zeigen oder von oben herab andere fertigmachen. Aber vor wie vielen Leuten und aus welchen Gründen haben sie ein paar Tage zuvor noch gebuckelt? Und in Kürze werden sie dort sein, wohin alle gehen müssen.“

 

 

3.7.7.2 Kapitel 34  - Menschen sind wie die Blätter des Windes; die Dinge nicht so verfolgen als ob sie ewig währen würden-

 

 

In 10,34 eine vergleichende Betrachtung, die schlicht, aber einprägsam ist. Er vergleicht die Menschen mit Blättern, die im Frühling entstehen und im Herbst absterben.

 

„Wer von den richtigen Grundüberzeugungen gebissen worden ist, dem genügt auch das kürzeste, beiläufig aufgelesene Wort zur Erinnerung an die Freiheit von Schmerz und Furcht, wie z.B.: Blätter, die der Wind auf der Erde verstreut, so ist das Menschengeschlecht. Blättchen aber sind auch deine Kinder, Blättchen sind auch diejenigen, die dir in voller Überzeugung ihre Zustimmung zeigen und dich loben oder umgekehrt: dich verwünschen oder ohne Worte tadeln und spotten. Blättchen sind ebenso diejenigen, die unseren Nachruhm weitertragen werden. Denn all diese Blättchen „entstehen in der Frühlingszeit“. Dann hat sie der Wind abgeschüttelt. Dann lässt der Wald andere an ihrer Stelle wachsen. Die Kurzlebigkeit ist allen gemeinsam. Doch du fliehst und verfolgst alles so, als ob es ewig existieren würde. Nur noch kurze Zeit, und du wirst die Augen schließen. Aber um den Menschen, der dich hinausgetragen hat, wird bald ein anderer trauern.“

 

3.7.8. Zwölftes Buch

 

3.7.8.1 Kapitel 1  - keine Angst vor dem Tode zu haben und in Übereinstimmung mit der Natur zu leben

 

In 12,1 scheint es mir, liefert er eine Zusammenfassung seines eigenen Lebenszieles und weist wiederum daraufhin, keine Angst vor dem Tode  zu haben.

 

„Wenn du nun , sobald du am Ende deines Lebens stehst, alles übrige zulässt und nur das leitende Prinzip deiner Seele und das Göttliche in dir für wertvoll hältst und keine Angst davor hast, einmal dein Leben zu beenden, sondern nur davor, dass du niemals begonnen hast, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben, dann wirst du ein Mensch sein, würdig des Kosmos, der dich erzeugte, und aufhören, ein Fremder in deinem Vaterland zu sein, dich über die Dinge, die täglich geschehen, zu wundern, als ob sie unvorhersehbar seien, und von allem Möglichen abhängig zu sein.“

 

 

3.7.8.2 Kapitel 3  - im Jetzt leben ohne Vergangenheit und Zukunft-

 

Marcus Aurelius zeigt in einem sehr langen Satz wieder einen Hinweis auf das später von Horaz geschaffene carpe diem. Marcus Aurelius zeigt auf, wie man die restliche Zeit bis zum Tode in Ruhe und Heiterkeit leben kann, wenn man alles von sich fernhält, was in der Zukunft liegt oder in der Vergangenheit war.

 

„und alles von deiner Zeit fernhältst, was in der Zukunft liegt oder in der Vergangenheit war, und wenn du dich selbst in eine Form bringst, wie der empedoklische „Sphairos, der kugelförmige, über die ringsum herrschende Einsamkeit von frohem Stolz erfüllt“, und wenn du nur darauf aus bist zu leben, wo du jetzt lebst, d.h. in der Gegenwart, dann wirst du die Zeit, die dir bis zum Tode noch bleibt, in Ruhe, Heiterkeit und versöhnt mit der innewohnenden göttlichen Kraft verbringen.“

 

3.7.8.3 Kapitel 21  -Verlust ist naturgemäße Veränderung-

 

12,21 ist eine der Stellen, die die Veränderung zum Gegenstand haben. In der Psyche des Menschen kann Veränderung gleichwohl als Verlust definiert werden. Soweit dies schmerzt, ist es für mich von tragender Bedeutung, dass man das Wesen der Veränderung als naturgemäß, als vernünftig geordnete Natur definieren muss. Sollte diese Verinnerlichung gelingen, kann dies dann zur Verringerung des Schmerzes über den Verlust beitragen.

„Wisse, dass du in Kürze niemand und nirgendwo sein wirst und dass auch keines von den Dingen, die du jetzt siehst und keiner der jetzt lebenden Menschen mehr sein werden. Denn alles muss sich verwandeln, sich verändern und zerstört werden, damit anderes danach entstehen kann.“

 

3.7.8.4 Kapitel 23 - das Ende des Lebens im rechten Augenblick-

 

In 12,23 führt Marcus Aurelius auf, dass der Tod im Kairos, also der Tod im rechten Augenblick, etwas Gutes sei, somit ein Gut ist. Wenn der vom Weltganzen gesetzte Tod im rechten Zeitpunkt aber etwas Gutes ist, kann er nicht gleichzeitig etwas Schlimmes, Hässliches oder Schändliches sein. Da er im rechten Augenblick auch für das Weltganze nützlich ist, ist er auch schön.

 

„Eine beliebige Tätigkeit, die zur rechten Zeit aufhört, nimmt keinen Schaden, insofern sie aufgehört hat. Und ebenso wenig hat derjenige, der diese Handlung vollzog, dadurch dass sie beendet wurde, irgendwie Schaden genommen. Ebenso wird auch der aus allen Tätigkeiten bestehenden Einheit , dem Leben, wenn es zur rechten Zeit aufhört, nichts Schlimmes zuteil -nur darurch, dass es zu Ende ist. Wer diese Einheit jemals zur rechten Zeit auflöste, erfuhr nichts Schlimmes. Den rechten Zeitpunkt und die Grenze setzt die Natur, bisweilen auch die individuelle Natur, wenn es um das Ende im Alter geht, grundsätzlich aber die Natur des Weltganzen. Während sich deren Teile verändern, bleibt der Kosmos als ganzer immer jung und kraftvoll.

Was dem Ganzen nützlich ist, ist aber stets und in jeder Hinsicht schön und kommt zur rechten Zeit. Demnach ist das Aufhören des Lebens für niemanden etwas Schlimmes, weil es nichts Hässliches oder Schändliches ist, wenigstens wenn es ungewollt und nicht zum Schaden der Gemeinschaft ist. Es ist vielmehr etwas Gutes, wenn es zur rechten Zeit für das Ganze geschieht, ihm nützlich ist und in Übereinstimmung mit ihm erfolgt.“

 

3.7.8.5  Kapitel 35

 

„Wenn nur das ein Gut ist, was zu seiner Zeit geschieht, und wenn es gleich ist, ob es mehr oder weniger viele Taten sind, die man auf vernünftige Weise erbracht hat, und wenn es keinen Unterschied bedeutet, den Kosmos für längere oder kürzere Zeit zu betrachten, dann ist auch der Tod nicht furchtbar.“

 

3.8  Michel de Montaigne, französischer Moralist und Skeptiker  (1533 - 1592)

 

Dieser tiefe Geist des mittelalterlichen französischen Denkens ließ in die Holzbalken der Decke seines Schlosses 57 Sprüche antiker Denker einbrennen. Er hinterließ 107 Essays, darunter -unter Anspielung auf Cicero-  das Werk „Philosophieren heißt Sterben lernen“

Er reist in diesem Essay durch die Zeit und untermalt seine eigenen Gedanken durch die Hinterlassenschaft der alten Zeit. Einige interessante Einzelthemen des Essays habe ich der Übersichtlichkeit wegen mit eigenen Überschriften versehen und möchte diese im Kontext des Hauptthemas ansprechen. Ich habe verschiedene Übersetzungen der Essays gelesen. Dabei werden im Original Dichtungs- und Prosazitate aus nichtfranzösischen Sprachen -vorwiegend dem Latein -zitiert. Ich zitiere hier aus dem führenden Gesamtwerk Michel de Montaigne- Essays -Goldmann Verlag 11/2002, Hans Stilett. Montaignes Zitate sind darin bereits in Deutsch übersetzt.

 

3.8.1  Philosphieren heißt Sterben lernen

 

3.8.1.1  Der Tod macht alle gleich

 

„So beschwerlich kann doch nicht sein, was uns nur einmal begegnet. Ist es denn vernünftig, sich vor einer so kurzen Sache so lange zu fürchten? Langes Leben, kurzes Leben - der Tod macht beide völlig gleich; denn Dinge, die nicht mehr sind, haben weder Länge noch Kürze“

 

3.8.1.2  Der Tod ist ein Teil der Ordnung

 

„Wie auch immer - die Natur zwingt uns, zu sterben. Verlasst diese Welt, sagt sie, wie ihr eingetreten seid. Denselben Weg, den ihr ohne Furcht und Schrecken vom Tod zum Leben gegangen seid, geht ihn zurück nun vom Leben zum Tod! Euer Tod ist ein Teil der Ordnung des Alls, er ist ein Teil des Lebens in der Welt.“

 

3.8.1.3.  Man lebt und stirbt gleichzeitig

 

Montaigne zitiert Marcus Manilius, einen im 1. Jahrhundert lebenden römischen Dichter und Astrologen, der in 5 Büchern sein Werk „Astronomica“ entstehen ließ.

 

„Nascentes morimur, finisque ab origine pendet“ - „mit unserer Geburt beginnt unser Sterben, der Anfang enthält das Ende“

 

„Dies euer Dasein, das ihr genießt, gehört zu gleichen Teilen dem Tod und dem Leben. Mit dem Tag euerer Geburt brecht ihr auf, zu sterben wie zu leben. Jede Stunde die ihr lebt, raubt ihr dem Leben - ihr lebt auf seine Kosten.“

An einer späteren Stelle kommt er zum Ergebnis, dass der letzte Tag nicht anders ist, als die Tage vorher, deshalb brauche man ihn auch nicht zu fürchten. Dabei lässt er Saturn, den Gott der Zeit und der Dauer zu den Menschen sprechen und diesen klar machen, dass man jeden Tag ein Stück stirbt. Somit lebt und stirbt der Mensch gleichzeitig.

 

 „Ich lehrte den Thales, den ersten eurer Weisen, dass Leben und Sterben gleichviel sind: daher er dem, der ihn fragte, warum er denn nicht sterbe, mit großer Weisheit antwortete: Weil es gleichviel ist. Das Wasser, die Erde, die Luft und das Feuer und die andern Teile dieses meines Baues sind ebenso gut Werkzeuge deines Todes wie deines Lebens.

Warum fürchtest du deinen letzten Tag?

Er trägt nicht mehr zu deinem Tode bei als jeder andere. Der letzte Schritt macht nicht die Müdigkeit: Er tut sie nur kund. Alle Tage gehen zum Tode, der letzte langt an.“

 

3.8.1.2  Der Tod betrifft den Menschen nicht

 

Diese Passage folgt der Tradition des Epikur, Epiktet und Lukrez.

„Der Tod ist minder zu fürchten als nichts, wenn es etwas Geringeres gäbe als nichts. Es betrifft euch weder als Tote noch als Lebende: als Lebende, weil ihr seid; als Tote, weil ihr nicht mehr seid. Niemand stirbt vor seiner Stunde. Was ihr an Zeit hinter euch lasst, kam auch ebenso wenig zu wie die Zeit, die vor eurer Geburt verstrich, und berührt euch ebenso wenig.“

 

3.8.1.3  Das Wertvolle im Leben liegt nicht in der Dauer, sondern im Gebrauch

 

„Wo immer euer Leben endet, da ist es ganz vollendet. Die Nützlichkeit des Lebens ist nicht in der Länge; sie ist im Gebrauch: mancher hat lange gelebt, der doch wenig gelebt hat; achtet darauf, solange ihr da seid. Es liegt an eurem Willen, nicht an der Zahl der Jahre, dass ihr genug gelebt habet.

 

3.8.1.4  Weshalb den Tod beklagen, da man über ihn ja gar nichts weiß

„Was frommt es euch, euch zu sperren, da ihr nicht zurückweichen könnt? Ihr habt deren genug gesehen, denen es wohl bekam, zu sterben, da sie dadurch großem Elend entrannen. Aber habt ihr schon jemand gesehen, dem es übel bekam? Und doch ist es gar einfältig, etwas zu verdammen, das ihr weder durch eigene noch fremde Erfahrung kennt.“

 

3.8.1.5  Ein Leben kann vollendet sein, obwohl das Alter noch nicht vollendet ist

 

„Warum beschwerst Du dich über mich und über dein Los? tun wir dir unrecht? Ist es an dir oder an uns, dich zu leiten? Wenn auch dein Alter noch nicht vollendet wäre, dein Leben ist es. Ein kleiner Mensch ist ganzer Mensch; wie ein Großer. Weder der Mensch noch sein Leben wird nach Ellen gemessen.“

 

3.9  Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)

 

Schopenhauer gilt als der Philosoph des Pessimisus. Ich sehe dies überhaupt nicht so, soweit es um die separate Betrachtung geht, wie bejahend er die Todesgewissheit und die Todesfurcht therapiert. Dabei sind erste psychoanalatysche Gedankengänge ersichtlich, die einen Freud erahnen lassen.

 

3.9.1  Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, Ergänzungen zum vierten Buch, Kapitel 41 - Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich (Zürcher Gesamtausgabe 1977; Erstausgabe 1819)

 

Sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ erschien 1819, die zweite vermehrt Auflage dann 1844 und die dritte, verbesserte und beträchtlich vermehrte Auflage im Jahre 1859, ein Jahr vor seinem Tod. In diesem Werk versuchte er in der Nachfolge großer antiker Philosophen dem Menschen die Angst vor dem Tode zu nehmen. Gleichzeitig wendet er sich gegen religiöse Indoktrination.

 

3.9.1.1  Hinsichtlich der Todesfurcht unterscheidet sich der Mensch nicht vom Tier, nur hinsichtlich der Todesgewissheit

 

„Das Thier lebt ohne eigentliche Kenntniß des Todes: daher genießt das thierische Individuum unmittelbar die ganze Unvergänglichkeit der Gattung, indem es sich seiner nur als endlos bewußt ist.

Beim Menschen fand sich, mit der Vernunft, nothwendig die erschreckende Gewißheit des Todes ein..... „

 

Das ist ein klarer Ausspruch ohne Schnörkel, so sehe ich es auch. Die Todesgewissheit ist der Preis für des Menschen Vernunft, für die Größe seines Gehirns. Schopenhauer sieht eingangs des Kapitel 41 die nur beim Menschen die Todesgewissheit, die  Todesfurcht als Gegenspieler des blinden Willens zum Leben jedoch bei Mensch und Tier.

 

„In der That ist die Todesfurcht von aller Erkenntniß unabhängig: denn das Thier hat sie, obwohl es den Tod nicht kennt.

Alles, was geboren wird, bringt sie schon mit auf die Welt. Diese Todesfurcht a priori ist aber eben nur die Kehrseite des Willens zum Leben, welcher wir Alle ja sind. Daher ist jedem Thiere, wie die Sorge für seine Erhaltung, so die Furcht vor seiner Zerstörung angeboren: diese also, und nicht das bloße Vermeiden des Schmerzes, ist es, was sich in der ängstlichen Behutsamkeit zeigt, mit der das Thier sich und noch mehr seine Brut vor Jedem, der gefährlich werden könnte, sicher zu stellen sucht.

Warum flieht das Thier, zittert und sucht sich zu verbergen? Weil es lauter Wille zum Leben, als solcher aber dem Tode verfallen ist und Zeit gewinnen möchte. Eben so ist, von Natur, der Mensch.

Das größte der Uebel, das Schlimmste was überall gedroht werden kann, ist der Tod, die größte Angst Todesangst......“

 

3.9.1.2  Das Heilmittel gegen die Todesgewissheit ist die Natur und nicht die Religion

 

Schopenhauer mündet spätestens an dieser Stelle in eine ernst zu nehmende Religionskritik ein. Er kritisiert de facto die religiöse Indoktrination des Kleinkindes, man komme aus dem Nichts, dürfe aber mit der christlichen Taufe auf ein ewiges Leben hoffen. In der Folge von solch einer Beinflussung könne der Mensch im gereiften und selbstkritischeren Stadium dann nicht mehr erkennen, dass das Heilmittel für die Todesgewissheit nicht von einer Religion, sondern von der Natur selbst komme. Mich erinnert die begriffliche Erwähnung bereits stark an den Pantheismus. Schopenhauer geht mit seiner Religionskritik meines Erachtens einen Schritt weiter als Kant.

 

„Es ist in der That eine bedenkliche Sache, dem Menschen in dieser wichtigen Hinsicht schwache und unhaltbare Begriffe durch frühes Einprägen aufzuzwingen, und ihn dadurch zur Aufnahme der richtigeren und standhaltenden auf immer unfähig zu machen. Z.B. ihn lehren, daß er erst kürzlich aus Nichts geworden, folglich eine Ewigkeit hindurch Nichts gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Andern, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle. Schopenhauer sollte jedoch noch deutlicher werden

Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehn, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte.“

 

3.9.1.3  Das Nichtsein vor der Geburt entspricht dem Nichtsein nach dem Tode

 

Da sind sie wieder, die Gedanken zur Beurteilung der Zeit vor der Geburt als Medizin dafür, vor der Zeit nach dem Tode als Nichtsein eben keine Angst haben zu müssen. Schopenhauers führt damit die Reihe von Epikur, Lukrez, Marcus Aurelius und Montaigne fort.

 

Text:

„Wenn was uns den Tod so schrecklich erscheinen läßt der Gedanke des Nichtseyns wäre; so müßten wir mit gleichem Schauder der Zeit gedenken, da wir noch nicht waren. Denn es ist unumstößlich gewiß, daß das Nichtseyn nach dem Tode nicht verschieden seyn kann von dem vor der Geburt, folglich auch nicht beklagenswerther. Eine ganze Unendlichkeit ist abgelaufen, als wir noch nicht waren; aber das betrübt uns keineswegs. Hingegen, daß nach dem momentanen Intermezzo eines ephemeren Daseyns eine zweite Unendlichkeit folgen sollte, in der wir nicht mehr seyn werden, finden wir hart, ja unerträglich. Sollte nun dieser Durst nach Daseyn etwa dadurch entstanden seyn, daß wir es jetzt gekostet und so gar allerliebst gefunden hätten? Wie schon oben kurz erörtert: gewiß nicht; viel eher hätte die gemachte Erfahrung eine unendliche Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese des Nichtseins erwecken können. Auch wird der Hoffnung der Seelen-Unsterblichkeit allemal die einer »bessern Welt« angehängt, – ein Zeichen, daß die gegenwärtige nicht viel taugt. – Dieses allen ungeachtet ist die Frage nach unserm Zustande nach dem Tode gewiß zehntausend Mal öfter, in Büchern und mündlich, erörtert worden, als die nach unserm Zustande vor der Geburt.“

 

Im gleichen Kapitel führt Schopenhauer weiter dazu aus:

 

Theoretisch ist dennoch die eine ein eben so nahe liegendes und berechtigtes Problem, wie die andere: auch würde wer die eine beantwortet hätte mit der andern wohl gleichfalls im Klaren seyn. Schöne Deklamationen haben wir darüber, wie anstößig es wäre, zu denken, daß der Geist des Menschen, der die Welt umfaßt und so viele höchst vortreffliche Gedanken hat, mit ins Grab gesenkt würde; aber darüber, daß dieser Geist eine ganze Unendlichkeit habe verstreichen lassen, ehe er mit diesen seinen Eigenschaften entstanden sei, und die Welt eben so lange sich ohne ihn habe behelfen müssen, hört man nichts.

Dennoch bietet der vom Willen unbestochenen Erkenntniß keine Frage sich natürlicher dar, als diese: eine unendliche Zeit ist vor meiner Geburt abgelaufen; was war ich alle jene Zeit hindurch? – Metaphysisch ließe sich vielleicht antworten: »Ich war immer Ich: nämlich Alle, die jene Zeit hindurch Ich sagten, die waren eben Ich.« Allein hievon sehn wir auf unserm, vor der Hand noch ganz empirischen Standpunkt ab und nehmen an, ich wäre gar nicht gewesen.

Dann aber kann ich mich über die unendliche Zeit nach meinem Tode, da ich nicht seyn werde, trösten mit der unendlichen Zeit, da ich schon nicht gewesen bin, als einem wohlgewohnten und wahrlich sehr bequemen Zustande. Denn die Unendlichkeit a parte post ohne mich kann so wenig schrecklich seyn, als die Unendlichkeit a parte ante ohne mich; in dem beide durch nichts sich unterscheiden, als durch die Dazwischenkunft eines ephemeren Lebenstraums. Auch lassen alle Beweise für die Fortdauer nach dem Tode sich eben so gut in partem ante wenden, wo sie dann das Daseyn vor dem Leben demonstriren, in dessen Annahme Hindu und Buddhaisten sich daher sehr konsequent beweisen.“

 

3.10  Friedrich Wilhelm Nietzsche (1850 - 1900)

 

Nietzsches Darlegungen laufen darauf hinaus, zu vermeiden, dass der Tod in einer Art Überfall kommt, deshalb sei man gut beraten, sich darauf vorzubereiten, den Tod als Fest zu feiern. Nun, diese besondere Sichtweise habe ich auch nur bei Nietzsche gelesen. Ihm selbst blieb dies verwehrt. Interessant wäre gewesen, ob er selbst bei einem anderen Verlauf seines Alters das geschriebene Wort hätte in die Tat umsetzen können. Hier sei noch anzumerken, dass sich die Auffassung von Nietzsche trefflich als Begründung für den Freitod heranziehen lässt.

 

3.10.1  Zarathustra 1. Teil (1882) „Vom freien Tode", den Tod als Fest feiern

 

Im ersten Teil des Zarathustra, entstanden in Nietzsches größter Not und psychischer Bedrängnis nach der Trennung von Lou, in der er bekannte, das Leben nur noch schaffend ertragen zu können, seine Gedanken zum Tode. Dabei beschäftigte er sich in der Rede „Vom freien Tode" mit dem Zeitpunkt und der Art des Todes.

 

„Viele sterben zu spät, und einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: stirb zur rechten Zeit! Stirb zur rechten Zeit; also lehrt es Zarathustra. Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit sterben? Möchte er doch nie geboren sein!"

 

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Todes führt Zarathustra fort:

 

„Wichtig nehmen alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht"

 

Nietzsche deutet also an, dem bevorstehenden Tod könne der Betroffene durchaus ein Fest weihen.

Die Erwähnung der rechten Zeit für den Tod erinnert an Kairos, die Lehre der Stoiker vom rechten Zeitpunkt. In den weiteren Ausführungen nimmt Zarathustra vorweg, was Nietzsche dann in seinem im Jahre 1889 veröffentlichen Spätwerk Götzen-Dämmerung „Streifzüge eines Unzeitgemäßen" ausformuliert.

 

3.10.2 Götzen-Dämmerung im Kapitel „Streifzüge eines Unzeitgemäßen" Nr. 36 (Moral für Ärzte),

 

Hier erklärt nun Nietzsche sieben Jahre später, in Zarathustra bereits angedeutet, wie man den Tod als Fest ausrichtet. Diesem Art des Freitods gewährt Nietzsche damit eine epikurische heitere Freude mit der Gefahr der Steigerung in hedonistische Dimensionen.

Nietzsche sieht es als Feiglingstod, wenn man bewusst in eine Situation kommt, die einen Tod unter den verächtlichsten Bedingungen zeitigt. Er widerspricht Aristoteles letztlich in vollem Umfange, der in der Nikomachischen Ethik den Freitod aus Schmerzgründen als feige bezeichnete. Nietzsche überrascht, insofern er den aus freien Stücken gewählten Tod, zelebriert in einer Art lustiger Familienfeier, bevorzugt.

 

Nietzsche sieht es offenbar als Tugend an, sich zu suizidieren, sobald man der Mitwelt eine schwer erträgliche Last zu werden droht. Er formuliert dies so:

 

„Wenn man sich abschafft, thut man die achtungswürdigste Sache, die es giebt: man verdient beinahe damit, zu leben ... Die Gesellschaft, was sage ich! das Leben selber hat mehr Vortheil davon, als durch irgend welches „Leben" in Entsagung, Bleichsucht und andrer Tugend —, man hat die Andern von seinem Anblick befreit, man hat das Leben von einem Einwand befreit".

 

Damit verfolgt er die gleiche Richtung wie David Hume, on suicid, 1757. Hume meinte dazu:

 

„Aber man setze den Fall, dass es nicht mehr in meiner Macht steht, das Interesse der Gesellschaft zu fördern, dass ich ihr eine Last bin, dass mein Leben eine andere Person verhindert, der Gesellschaft viel mehr zu nützen: in solchem Fall muss mein Verzicht auf das Leben nicht bloß schuldlos, sondern löblich sein"

 

Nietzsche kommt meines Erachtens zu dieser Auffassung nicht leichtfertig, so er doch diejenigen verdammt, die behaupten, das Leben sei nur Leiden, nachlesbar in „Also sprach Zarathustra" in der Rede von den Predigern des Todes. Damit meint er wohl mindestens auch Schopenhauer.

 

„Auf eine stolze Art sterben, wenn es nicht mehr möglich ist, auf eine stolze Art zu leben. Der Tod, aus freien Stücken gewählt, der Tod zur rechten Zeit, mit Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen: so dass ein wirkliches Abschiednehmen noch möglich ist, wo Der noch da ist, der sich verabschiedet, insgleichen ein wirkliches Abschätzen des Erreichten und Gewollten, eine Summirung des Lebens — Alles im Gegensatz zu der erbärmlichen und schauderhaften Komödie, die das Christenthum mit der Sterbestunde getrieben hat. Man soll es dem Christenthume nie vergessen, dass es die Schwäche des Sterbenden zu Gewissens-Nothzucht, dass es die Art des Todes selbst zu Werth-Urtheilen über Mensch und Vergangenheit gemissbraucht hat! — Hier gilt es, allen Feigheiten des Vorurtheils zum Trotz, vor Allem die richtige, das heisst physiologische Würdigung des sogenannten natürlichen Todes herzustellen: der zuletzt auch nur ein „unnatürlicher," ein Selbstmord ist. Man geht nie durch jemand Anderes zu Grunde, als durch sich selbst. Nur ist es der Tod unter den verächtlichsten Bedingungen, ein unfreier Tod, ein Tod zur unrechten Zeit, ein Feiglings Tod. Man sollte, aus Liebe zum Leben —, den Tod anders wollen, frei, bewusst, ohne Zufall, ohne Überfall ... Endlich ein Rath für die Herrn Pessimisten und andere décadents. Wir haben es nicht in der Hand, zu verhindern, geboren zu werden: aber wir können diesen Fehler — denn bisweilen ist es ein Fehler — wieder gut machen. Wenn man sich abschafft, thut man die achtungswürdigste Sache, die es giebt: man verdient beinahe damit, zu leben ... Die Gesellschaft, was sage ich! das Leben selber hat mehr Vortheil davon, als durch irgend welches „Leben" in Entsagung, Bleichsucht und andrer Tugend —, man hat die Andern von seinem Anblick befreit „

 

3.10.3  Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

 

In der Einleitung überrascht Nietzsche mit einem minimalistischen Weltbild und beschreibt das kurze Sein der Erde im gesamten Sein des Kosmos, wobei er der Existenz des Menschen nur eine Momentaufnahme zukommen lässt.

 

„In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der »Weltgeschichte«; aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben. - So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben.“

 

3.11  Rainer Maria Rilke in seinem Brief vom 22. Oktober 1923 an Clair Goll

 

Die Zeilen Rilkes stellen für mich ein reifes geistiges Bild eines Menschen dar, der nicht -wie so oft- den Tod  in einer verklausulierten Sprache behandelt, sondern in einem anrührenden Brief.  Rilke gibt darin klar zu erkennen, dass der Tod nicht ausserhalb einer Reihe von Ereignissen steht, sondern zum Leben gehört.

 

„Siehst Du, ich meine, dass Du nun, da Dir zum ersten Mal zugemutet wird, im Tod des unendlich Nächsten den Tod zu erleiden, den ganzen Tod............dass jetzt der Augenblick da ist, da Du am Fähigsten bist, das reine Geheimnis wahrzunehmen, das, glaube es mir, nicht des Todes sondern des Lebens ist. Jetzt heißt es, ........den Tod ........zum Leben hinzunehmen, als ein nicht mehr Abzulehnendes, nicht länger Verleugnetes. Reiß es an dich, dieses Entsetzliche .........schreck es nicht ab, indem Du vor ihm (wie alle anderen ) erschrickst. Geh mit ihm um, oder .........halt wenigstens still, so dass es ganz nahe kommen kann, das immer verjagte Wesen des Todes, ums sich dir anschmiege. Denn dies ist, siehst Du, der Tod geworden bei uns, dies immer Verscheuchte, das sich nie mehr zu erkennen geben konnte.“

 

So wird Rilke auch von Sartre in seinem Hauptwerk „Sein und Nichts“ interpretiert. In der Übersetzung Rohwolt, 11. Auflage 2005 lässt Sartre wissen:

„In diesem Sinne bemüht sich Rilke zu zeigen, dass das Ende jedes Menschen seinem Leben ähnelt, weil das ganzue individuelle leben Vorbereitung dieses Endes gewesen ist;......“

Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem antiken praemeditatio malorum ist dabei unverkennbar, meine ich.

 

3.12  Herrmann Hesse (1877 - 1962), deutscher Lyriker

 

Hermann Hesse hat 1400 Gedichte geschrieben, viele seiner Werke sprechen die Einsamkeit des Menschen , die Vergänglichkeit und den Ruf des Lebens an, all dies mit einer sanften Stimme.

 

Mit der Vergänglichkeit beschäftigt sich sein Werk „Stufen" Ganz besonders entdecke ich in der vierten Zeile mit der Formulierung „zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern" das bekannte Wort aus dem Alten Testament „alles hat seine Zeit ( „Der Prediger" Salomon 3. Kap., Vers 1-9).

Auch meine ich, eine Fortschreibung des stoischen Gedankenguts im Satz „an keinem wie an einer Heimat hängen" zu erkennen, soweit er beschreibt, man solle nicht zu sehr an den Dingen haften. Es ist wohl auch eine Mahnung, sich nicht allzusehr mit den Ketten der Vergangenheit zu beschäftigen bzw. es erst gar nicht zuzulassen, dass sich die Vergangenheit als Kette erweist.

Anthropologisch erscheint mir auch der Ruf des Nach-Vorne-Schreitens, er spricht ja die Bereitschaft zum Aufbruch an und meint damit die Lebensstufen. Das ist ja auch eine Eigenart, die den Menschen schon immer vorwärts getrieben hat, frei nach dem Wahlspruch „per aspera ad astra" oder unterwegs zu den Sternen. Nach Hesses Lesart soll also das Alter die Fähigkeit zur Veränderung nicht behindern.

Neben Horaz finde ich auch eine Sentenz aus Senecas Ausspruch in

epistula morales 12, dass auch das höchste Alter noch seine Reize habe, soweit Hesse sogar noch in der Todesstunde die Botschaft „neuer Räume" für möglich hält. Mit dieser Äußerung sehe ich ihn in der Hierarchie der Optimisten Hesse an erster Stelle.

 

 „Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

 

4 neutrale Einstellung gegenüber dem Alter dem Tod und der Vergänglichkeit

 

4.1 Altes Testament, 4.Buch Moses Kapitel 90

 

In Satz 4 wird die Ewigkeit Gottes gegenüber der Vergänglichkeit der Menschen wie folgt beschrieben:

„Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt."

In Satz 10 erfahren wir das Höchstalter und die vergebliche Mühe, die der Mensch in dieser Zeitspanne unternimmt:

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn`s hoch kommt, sind`s achtzig Jahre und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon."

 

4.2 Solon (600 v. Chr.)

 

Bei Solon fällt zunächst seine Zeiteinteilung auf, er bemisst nach „Jahrsiebten" Danach sieht er die Alterspforte im neunten Jahrsiebt, mithin bei 56 Jahren.

„Knabe zuerst ist der Mensch, unreif: da wirft er der Zähne Hag, der dem Kinde entspross, von sich im siebenten Jahr. Wenn zum anderen Mal Gott schloss die Sieben der Jahre, Zeichen der Mannheit dann keimen, der nahenden, auf. Während der dritten umkraust sein Kinn – noch wachsen die Glieder – Wolliger Flaum, da der Haut Blüte im Wandel verwich. Nun in den vierten empor zu hohem vollem Gedeihen. Reift die Stärke, in ihr zeigt was tauge der Mann. Mit den fünften gedeiht ihm die Zeit, der Freite zu denken Und dass in Söhnen ersteh fürderhin währender Stamm. Während der sechsten da breitet der Geist allseits sich ins Rechte, Nimmer zu unnützem Tun treibt ihn hinfort noch der Mut. Sieben Siebenerjahre und acht: im vollen Gedeihen Stehen Zunge und Geist: vierzehn an Jahren zusamt. Noch in den neunten ist tauglich der Mann, doch lässiger zeigen gegen das volle Gedeihn Zunge fortan sich und Witz. Wer in die zehnten gelangte, die zehnten nach Maßen vollendend, Kaum zur Unzeit wärs, träf ihn die Neige des Tods."

 

4.3 Altes Testament, Buch Psalmen, Psalm 14 bis 16 (ca. 500 v.Chr.) 

 

Ohne darauf einzugehen, ob und welche Teile der vor- oder nachexilischen Zeit zuzuordnen sind, beschreibt der alttestamentarische Teil des jüdischen Glaubens die Bedeutung des Menschen im Gesamten und die Vergänglichkeit. Dies natürlich mit der Zielrichtung der religiösen Demut, die von den Gläubigen abverlangt wird.

„(14) Denn er weiß, was wir für Gebilde sind; er denkt daran; Wir sind nur Staub. (15) Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. (16) Fährt der Wind darüber, ist sie dahin; der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr.“

 

4.4 Demokrit, Vorsokratiker 470 - 360 v.Chr.), Fragmente

 

Nach meiner Auffassung diagnostiziert Demokrit sowohl das Negative als auch das Positive des Alters aus der Sicht seiner Zeitgenossen, selbst jedoch eigentlich wertfrei.

a) Aus den ethischen Schriften

„Die Menschen in ihrer gewöhnlichen Todesfurcht scheuen sich, an die Todesstunde zu denken und ihr Testament niederzuschreiben. Sie werden dann von ihr völlig überrumpelt und gezwungen, noch rasch sich doppelte Portionen einzustopfen“

b) Sprüche

„205. Toren wünschen sich das Leben, da sie den Tod fürchten statt des Alters.

206. Toren wünschen sich das Alter aus Furcht vor dem Tode

294. Kraft und Schönheit sind Vorzüge der Jugend, die des Alters aber ist Blüte der Besonnenheit.

295. Der Greis ist einmal jung gewesen, ob der Jüngling aber das Greisenalter erreichen wird, ist noch ungewiß. So ist das abgeschlossene Gut besser als das noch in der Zukunft liegende und unsichere.

296. Alter ist eine Verstümmelung bei ganzem Leibe: alles hat es, und allem fehlt etwas“

 

4.5 Aristoteles (384 -322 v.Chr.), Nikomachische Ethik, 3. Buch Kapitel 9 und 10 (115a, Übersetzung Olof Gogon),

 

Ich habe mich dazu entschlossen, Aristoteles der Gruppe der Betrachtenden zuzuordnen, die sich gegenüber dem Tod neutral verhalten. Diese Zuordnung ist jedoch nicht  ganz leicht. Er sieht im Tod einerseits das Furchtbare. Dieses Schlimme sei jedoch für den Tapferen, zu denen jeder gehören könne, zu bewältigen. Dadurch relativiert sich seine Einstellung zum Bereich des Neutralen hin.

Er meint, im Grundsatz fürchte sich der Mensch vor dem Schlimmen, Furchterregenden, also auch vor dem Tod.

Gleichwohl sieht er dies offenbar im Kontext mit den Tugenden, zu denen er auch Tapferkeit rechnet. Aristoteles untersucht im Dritten Buch NE in Kapitel 9 wie sich der Tapfere gegenüber dem Tod verhalten soll und welche Art von Tod für den Tapferen am besten sei.

Dabei sieht er die Möglichkeit, dass sich der Tapfere zwar auch vor dem Tod fürchtet, ihn aber aushalten kann und zwar um des Endziels der Tugend willen, dem Guten nämlich.

Soweit sogar ein edler Tod bevorstehe, ist er gegenüber dem Tod unerschrocken und gegenüber allem, was ihn diesem näher bringt. Der edle Tod ist etwa der Tod im Krieg, während er den Tod auf dem Meer oder durch Krankheit verabscheut. Diese Sichtweisen sind in heutiger Zeit nur noch schwer nachzuvollziehen, dennoch haben sie in unserem Kulturgebiet wohl noch bis Anfang des letzten Jahrhunderts fast uneingeschränkt gegolten. Die Menschen der Nationen sind in den Ersten Weltkrieg gezogen mit Hurrageschrei, frei nach Horaz (Oden III, 2, 13) „Dulce et decorum est pro patria mori“,  „Süß und ehrenvoll ist's, fürs Vaterland zu sterben“.

Dazu fällt mir ein Ausspruch meiner Großmutter ein, die einen Sohn für das „Vaterland“ verloren hat. Sie sagte mir zu diesem Thema „Der Krieg ist für die Reichen, die Armen stellen die Leichen“

Für die Jetztzeit empfinde ich diesen Ausspruch einfach nur grandios daneben, für welches „Vaterland“ sollte eine Mutter heute einen Sohn opfern wollen?

 

4.5.1 Nikomachische Ethik, Kapitel 9

 

„Als erstes sei von der Tapferkeit gesprochen. Dass sie eine Mitte ist im Hinblick auf Furcht und Zuversicht, ist bereits klar geworden. Was wir fürchten, ist offensichtlich das Furchterregende; dieses ist, allgemein gesagt, das Schlimme. Darum wird auch die Furcht bestimmt als die Erwartung eines Schlimmen. Wir fürchten nun zwar alle Übel, wie Schande, Armut, Krankheit, Freundlosigkeit, Tod, aber die Tapferkeit scheint sich nicht auf alle zu beziehen. Denn einige Übel zu fürchten ist sogar Pflicht und gut, sie nicht zu fürchten ist schlecht, etwa die Schande. Denn wer sie fürchtet ist ein ordentlicher und anständiger Mensch, wer sie nicht fürchtet dagegen schamlos. Von einigen wird er aber wohl tapfer genannt in einem übertragenen Sinne, sofern er mit dem Tapfereren eine gewisse Ähnlichkeit besitzt; denn auch der Tapfere kennt keine Furcht. Armut dagegen und Krankheit soll man wohl nicht fürchte, und überhaupt all das nicht, was, was nicht von der Schlechtigkeit herrührt und nicht durch einen selbst veranlasst ist.....

Welches ist also das Furchtbare, dem der Tapfere entgegentritt? Etwa die schlimmsten Dinge? Denn keiner ist eher imstande, das Schreckliche zu ertragen. Das Furchtbarste ist aber der Tod. Denn er ist die Grenze, und es scheint für den Toten weder Gutes noch Schlechtes mehr zugeben. Indessen scheint es der Tapfere auch nicht mit Tode in jeder Form zu tun zu haben; etwa mit demjenigen auf dem Meere oder in Krankheiten. In welcher Form also? Etwa demjenigen in der edelsten Form? Das wäre derjenige im Kriege. denn hier ist die Gefahr am größten und am ruhmvollsten. Dazu stimmen auch die Ehren, die in den Demokratien und bei den Fürsten den im Kampfe Gefallenen zuerkannt werden. Tapfer im wesentlichen Sinne hieße dann, wer unerschrocken ist vor einem edlen Tode und vor allem, was den Tod unmittelbar nahe bringt, wie das vor allem im Kriege geschieht. Auch auf dem Meere und in Krankheiten wird der Tapfere unerschrocken sein, aber nicht so wie die Seeleute; denn die einen glauben an keine Rettung und verabscheuen einen derartigen Tod, die andern aber sind zuversichtlich auf Grund ihrer Erfahrung. Außerdem erweist sich die Tapferkeit dort, wo eine Abwehr möglich oder wo der Tod ehrenvoll ist; aber bei einem derartigen Untergang ist keines von beidem der Fall.

 

4.5.2 Nikomachische Ethik, Kapitel 10

 

Das Furchterregende ist nicht für alle Menschen dasselbe; wir sprechen auch von einem solchen, das über das Menschliche hinausgeht. Dieses ist nun furchtbar für jeden, der vernünftig ist. Was aber menschlicherweise furchterregend ist, ist verschieden nach seiner Größe und nach dem Mehr oder Weniger. Dasselbe gilt auch für jenes, was Mut macht. Der Tapfere ist unerschrocken nach dem Maße des Menschen. Er wird nun auch die menschlicherweise furchterregenden Dinge fürchten; aber so wie es Pflicht ist und wie es die Vernunft will, wird er sie tragen um des Guten willen. Denn das ist der Endzweck der Tugend. Man kann auch diese Dinge mehr oder weniger fürchten und auch Dinge, die nicht furchtbar sind fürchten, als ob sie es wären.. Die möglichen Fehler bestehen also darin, dass man fürchtet, was man nicht soll oder wie man es nicht soll und dergleichen mehr. Dasselbe gilt auch in Bezug auf die Zuversicht. Wer also aushält und fürchtet, was man soll und weswegen man es soll und wie und wann, und wer in derselben Weise Zuversicht hat, der ist tapfer. Der Tapfere nämlich leidet und handelt, wie es angemessen ist und wie es die Vernunft will. Ziel aber bei jeder Tätigkeit ist das Handeln auf Grund eines bestimmten Verhaltens. Das gilt auch für den Tapferen. Die Tapferkeit ist aber etwas Gutes. Derart ist auch der Endzweck, und alles wird durch den Endzweck bestimmt. Um des Guten willen also harrt der Tapfere aus und tut, was der Tapferkeit gemäß ist....“

 

4.6 Plinius secundus, epistula I,12 (23 - 79)

 

Plinius beklagt hier den selbst gewählten Tod seines guten Freundes Corelius Rufus und sieht hier dessen erreichtes Alter von 67 Jahren als hohes Alter an.

„Ich weiß, welch treuen Freund, welch großen Mann ich in ihm verloren habe. 67 Jahre alt ist er geworden, selbst für Kerngesunde ein recht hohes Alter, gewiß! Er hat sich endlosem Siechtum entzogen, richtig! Er ist heimgegangen, während seine Lieben noch am Leben waren und der Staat wieder aufblühte, der ihm mehr galt als alle seine Lieben; auch das weiß ich."

 

4.7 Trostsprüche, memento mori und andere

 

Hier handelt es sich um einen Mahnspruch, der bereits im antiken Rom Verwendung fand. Die Trostsprüche erinnern in erstere Linie an die Vergänglichkeit und die schnell dahinfließende Zeit. Hinter dem siegreichen Feldherrn im alten Rom, der üblicherweise in einem Triumphzug gefeiert wurde, stand ein Sklave, hielt ihm einen Lorbeerkranz über den Kopf und mahnte den Triumphator ständig mit den Worten memento mori : bedenke, dass Du sterben musst. Gebräuchlich waren auch memento te hominem esse: bedenke, dass Du ein Mensch bist und respice post te, mominem te esse memento: Sieh dich um; denke daran, dass auch du nur ein Mensch bist. Epiktets „meditatio mortis“, das tägliche Bedenken des Todes sollte als Trostspruch gedacht sein. Dies sollte im größten Triumph zur Demut mahnen. Diese Sinnsprüche haben jedoch auch schon Vorgänger, etwa im Alten Testament, 4. Buch Moses, Kapitel 89, Vers 12 „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen , auf dass wir klug werden"

 

4.8 Johann Wolfgang von Goethe in seinem Gedicht „ Das Alter"

 

Hier nimmt er den Topos der Altersanklagen auf, aber neutral, lediglich diagnostizierend. Gegenmittel führt er in diesem Gedicht nicht an.

 „Das Alter ist ein höflich Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt's, er sei ein grober Gesell.“

 

I4.9 Friedrich Schiller (Über das Erhabene,1794)

 

Nach Schiller ist der Mensch ein Wesen, welches „will", deshalb würde ihn der Tod als das einzig Schreckliche wie ein Gespenst begleiten. Der Tod sei das einzige, was, er muss und nicht will, er erleidet ihn als Gewalt.

Dem moralisch gebildeten Menschen gegenüber übt die Natur mit dem näherkommenden Tode keine Gewalt aus, da er mit ihr übereinstimmt.

„Kein Mensch muss müssen", sagt der Jude Nathan zum Derwisch und dieses Wort ist in einem weiteren Umfang wahr, als man demselben vielleicht einräumen möchte. Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein Prärogativ ist bloß, dass er mit Bewusstsein und Willen vernünftig handelt. Alle andern Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feiger Weise erleidet, wirft seine Menschheit hinweg. Aber dieser Anspruch auf absolute Befreiung von allem, was Gewalt ist, scheint ein Wesen vorauszusetzen, welches Macht genug besitzt, jede andere Macht von sich abzutreiben. Findet er sich in einem Wesen, welches im Reich der Kräfte nicht den obersten Rang behauptet, so entsteht daraus ein unglücklicher Widerspruch zwischen dem Trieb und dem Vermögen. In diesem Fall befindet sich der Mensch. Umgeben von zahllosen Kräften, die alle ihm überlegen sind und den Meister über ihn spielen, macht er durch seine Natur Anspruch, von keiner Gewalt zu erleiden. Durch seinen Verstand zwar steigert er künstlicher Weise seine natürlichen Kräfte und bis auf einen gewissen Punkt gelingt es ihm wirklich, physisch über alles Physische Herr zu werden. Gegen alles, sagt das Sprichwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinn ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur einen Fall gibt, wo er schlechterdings muss, was er nicht will. Dieses einzige Schreckliche, was er nur muss und nicht will, wird wie ein Gespenst ihn begleiten und ihn, wie auch wirklich bei den meisten Menschen der Fall ist, den blinden Schrecknissen der Phantasie zur Beute überliefern; seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkt gebunden ist. Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten: Denn er Mensch ist das Wesen, welches will. Dies ist auf zweierlei Weise möglich: Entweder realistisch, wenn der Mensch der Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrscht; oder idealistisch, wenn er aus der Natur heraus tritt und so, in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet. Was ihm zu dem ersten verhilft, heißt physische Kultur. Der Mensch bildet seinen Verstand und seine sinnlichen Kräfte aus, um die Naturkräfte, nach ihren eigenen Gesetzen, entweder zu Werkzeugen seines Willens zu machen oder sich vor ihren Wirkungen, die er nicht lenken kann, in Sicherheit zu setzen. Aber die Kräfte der Natur lassen sich nur bis auf einen gewissen Punkt beherrschen oder abwehren; über diesen Punkt hinaus entziehen sie sich der Macht des Menschen und unterwerfen ihn der ihrigen. Jetzt also wäre es um seine Freiheit getan, wenn er keiner andern als physischen Kultur fähig wäre. Er soll aber ohne Ausnahme Mensch sein, also in keinem Fall etwas gegen seinen Willen erleiden. Kann er also den physischen Kräften keine verhältnismäßige physische Kraft mehr entgegensetzen, so bleibt ihm, um keine Gewalt zu erleiden, nichts anders übrig, als: Ein Verhältnis, welches ihm so nachteilig ist, ganz und gar aufzuheben und eine Gewalt, die er der Tat nach erleiden muss, dem Begriff nach zu vernichten. Eine Gewalt dem Begriff nach vernichten, heißt aber nichts anders, als sich derselben freiwillig unterwerfen. Die Kultur, die ihn dazu geschickt macht, heißt die moralische.

Der moralisch gebildete Mensch, und nur dieser, ist ganz frei. Entweder er ist der Natur als Macht überlegen, oder er ist einstimmig mit derselben. Nichts, was sie an ihm ausübt, ist Gewalt: „

 

4.10 Matthias Claudius ( 1740-1815, deutscher Dichter und Lyriker) in seinem Gedicht „Der Mensch"

 

Claudius sieht die Altersgrenze bei etwa 80 Jahren

 „Empfangen und genähret
vom Weibe wunderbar,
kömmt er und sieht und höret
und nimmt des Trugs nicht wahr;
gelüstet und begehret
und bringt sein Tränlein dar;
verachtet und verehret,
hat Freude und Gefahr;
glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
hält nichts und alles wahr;
erbauet und zerstöret
und quält sich immerdar;
schläft, wachet, wächst und zehret;
trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
wenns hoch kommt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
und er kömmt nimmer wieder.“

 

4.11 Wilhelm Busch in seinem Gedicht „Wenn ich dereinst"

 

Wilhelm Buscs spricht im Gedicht „Wenn ich dereinst" die heraufkommende Einsamkeit an, die keine großen Pläne mehr zulässt, sondern nur noch die kurze Rückschau auf die Vergangenheit, was zurückliegt. Ich finde dieses Gedicht sehr traurig.

„Wenn ich dereinst ganz alt und schwach,
Und's ist mal ein milder Sommertag,
So hink ich wohl aus dem kleinen Haus
Bis unter den Lindenbaum hinaus.
Da setz ich mich denn im Sonnenschein
Einsam und still auf die Bank von Stein,
Denk an vergangene Zeiten zurücke
Und schreibe mit meiner alten Krücke
Und mit der alten zitternden Hand
So vor mir in den Sand.“

 

5. Meine persönliche Sicht zum Tod

 

Für mich ist der Tod im wesentlichen gekennzeichnet durch Nicht-Wissen, versehen mit dem prognostischen Merkmal des Seins zum Ende hin.

Ich sehe den Tod als Folge der Überschreitung einer höchstpersönlichen ultimativen Schnittstelle und gleichzeitig als Erfüllungsakt der kosmischen Ordnung.

Der Tod geht mich nichts an, weil er mich nicht mehr berührt. Im Leben ist er mir fremd und wenn ich tot bin, bin ich nicht mehr.

Dieses Nicht-mehr-Sein ab dem Tod ist in der gedanklichen Folge des Epikur, Lukrez, Cicero, Michel de Montaigne und Schopenhauer seinem Wesen nach für mich gleichgewichtig mit dem Noch-nicht-Sein der Zeit vor meiner Geburt.

Es ist für mich wichtig, meine Gedanken an dieser Stelle hier auszusprechen, dass für beide Betrachtungen das gleiche Maß an Beschwer oder Nichtbeschwer vorliegt. Da ich für die Zeit vor meiner Geburt aber gerade keine Beschwer empfinde, sondern eher ein Gefühl der Leichtigkeit, trifft dies auch für die Zeit nach meinem Tod zu.

Dieses Begreifen sieht mich in einer Lichtung des Denkens, wo ich mich eingebunden in den Kreislauf zwischen Werden und Vergehen sehe, somit auch dem Alter und dem bevorstehenden Tod positiv gegenüber stehe, da beides naturgewollt ist.

Die positive Auseinandersetzung mit der Wesenhaftigkeit des Todes impliziert die Kraft, das Leben nicht als eine Zeit bis zum Tod, sondern als Zeit der Reife und Vollendung meines eigenen größten Kreises zu sehen.

Diese Sichtweise ermöglicht es mir auch, Freude für das noch kommende höchstpersönliche Sein zu entwickeln, sollte dies auch nur ein einziger Augenblick sein.

Wenn sich die Jahresringe hingezogen haben werden, möchte ich mich mit einer heiteren Freude und Gelassenheit des Guten in meinem Leben erinnern. Dazu gehört auch, dass sich im rechten Augenblick das Gefäß meines Lebens entleert, um im lukrezischen Sinne meine Erdenzeit wie ein gesättigter Gast nach einem Gastmahl oder im ciceroischen und aurelischen Sinne wie eine reife abfallende Baumfrucht zu beenden.

 

Sollte ich sogar noch in der Todesstunde, so wie Hermann Hesse es formulierte, die Botschaft neuer Räume spüren, wäre es wohl ein großes und besonderes Glück.

 

In diesem rechten Zeitpunkt werde ich mich nicht dagegen wehren, dass das Leben als sanfte Welle am Strand ankommend, nach einem letzten dankbaren Blick zurück, in einem leisen Wellenschlag versandet, um ins Elysium hinüberzuwechseln, dem Ort, wo sich die Gesänge der Morgendämmerung mit den Farben und Klängen des Abendrot vermählen.

Dann, wenn sich das Leben und der Tod die Hände reichen, wird auch das Ende des Freundschaftsvertrages mit mir selbst sein und das ist gut so.

 

Valete