Geschichten und Gedankensplitter

 

Die Stadt- und die Landmaus

 

Eine Landmaus hatte ihre Freundin, eine Stadtmaus, zu sich eingeladen und empfing sie in ihrer sehr bescheidenen Wohnung aufs freundlichste. Um ihren Mangel der sehr verwöhnten Städterin nicht merken zu lassen, hatte sie alles, was das Landleben Gutes bot, herbeigeschafft und aufgetischt. Da waren frische Erbsen, getrocknete Traubenkerne, Hafer und auch ein Stückchen Speck, wovon die Landmaus nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten aß.

Mit großer Genugtuung überschaute sie ihre Tafel und unterließ nicht, ihrer Freundin unablässig zuzusprechen.

Aber die Stadtmaus, durch die vielen gewohnten Leckereien verwöhnt, beroch und benagte die Speisen nur sehr wenig und stellte sich der Höflichkeit halber so, als wenn es ihr schmecke, konnte aber doch nicht umhin die Gastgeberin merken zu lassen, daß alles sehr wenig nach ihrem Geschmack gewesen sei.

"Du bist eine recht große Törin", sprach sie zu ihr, "daß du hier so kümmerlich dein Leben fristest, während du es in der Stadt so glänzend führen könntest wie ich. Gehe mit mir in die Stadt unter Menschen, dort hast du Vergnügen und Überfluß." Die Landmaus war bald entschlossen und machte sich zum Mitgehen bereit.

Schnell hatten sie die Stadt erreicht, und die Städterin führte sie nun in einen Palast, in welchem sie sich hauptsächlich aufzuhalten pflegte; sie gingen in den Speisesaal, wo sie noch die Überbleibsel eines herrlichen Abendschmauses vorfanden.

Die Stadtmaus führte ihre Freundin nun zu einem prachtvollen, mit Damast überzogenen Sessel, bat sie, Platz zu nehmen, und legte ihr von den leckeren Speisen vor. Lange nötigen ließ sich die Landmaus nicht, sondern verschlang mit Heißhunger die ihr dargereichten Leckerbissen.

Ganz entzückt war sie davon und wollte eben in Lobsprüche ausbrechen, als sich plötzlich die Flügeltüren öffneten und eine Schar Diener hereinstürzte. um die Reste des Mahles zu verzehren.

Bestürzt und zitternd flohen beide Freundinnen, und die Landmaus, unbekannt in dem großen Hause, rettete sich noch mit Mühe in eine Ecke der Stube.

Kaum hatte sich die Dienerschaft entfernt, als sie auch schon wieder hervorkroch und noch vor Schrecken zitternd zu ihrer Freundin sprach:

"Lebe wohl! Einmal und nie wieder! Lieber will ich meine ärmliche Nahrung in Frieden genießen, als hier bei den ausgesuchtesten Speisen schwelgen und stets für mein Leben fürchten müssen."

 

 

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Was diese Geschichte mir sagt:

Es ist eine Äsopische Fabel (Äsop, griechischer Dichter, 600 vor Chr.)

Sie lehrt, dass Genügsamkeit und Zufriedenheit glücklicher macht als Reichtum und Überfluss unter großen Sorgen. Die Fabel korrespondiert im übrigen mit Horaz. Bei Horaz sorgen jedoch Molosserhunde für den Schrecken.

 

 

 

Die Insel der Gefühle

 

Vor ganz langer Zeit existierte eine wunderschöne kleine Insel, auf der alle Gefühle der Menschen zu Hause waren:
Der Humor und die gute Laune, die Traurigkeit und die Einsamkeit, das Glück und das Wissen und all die vielen anderen Gefühle.

Natürlich lebte auch die Liebe dort.

Eines Tages wurde den Gefühlen mitgeteilt, dass die Insel sinken würde. Also machten alle ihre Schiffe startklar, um die Insel zu verlassen. Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick warten, denn sie hing sehr an ihrer Insel.

Bevor die Insel sank, bat die Liebe die anderen Gefühle um Hilfe:

Der Reichtum verließ auf einem luxuriösen Schiff die Insel.
Die Liebe fragte: "Reichtum, kannst du mich mitnehmen?"
"Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich viel Gold und Silber. Da ist kein Platz mehr für dich."

Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam.
"Stolz, bitte, kannst du mich mitnehmen?"
"Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen", antwortete der Stolz, "hier ist alles perfekt und du könntest mein Schiff beschädigen".

Als nächstes fragte die Liebe die Traurigkeit:
"Traurigkeit, bitte nimm mich mit."
"Oh Liebe", sagte die Traurigkeit, "ich bin so traurig, dass ich allein bleiben muss."

Auch die gute Laune fuhr los, aber sie war so zufrieden, dass sie nicht hörte, dass die Liebe sie rief.

Plötzlich rief eine Stimme:
"Komm Liebe, ich nehme dich mit".
Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie ganz und gar vergaß den Retter nach seinem Namen zu fragen.

Später fragte die Liebe das Wissen:
"Wissen, kannst du mir sagen, wer mir geholfen hat?"
"Ja", antwortete das Wissen, "es war die Zeit."

"Die Zeit?" fragte die Liebe, "Warum hat mir die Zeit geholfen?"
Und das Wissen antwortete:
"Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist."

 

 

 

Die Nachtigall und die Rose Oscar Wilde (1854-1900)

 

Das ist sicher eine meiner Lieblingsgeschichten. Wer mich versteht, würde sich wohl auch von dieser Geschichte angesprochen fühlen. Wer dabei nichts fühlt, könnte mich nie verstehen.

Oh, sie lehrt so vieles. Sie lehrt uns, nicht unbedacht das Wort Liebe auszusprechen, denn der Preis dafür mag teuer und schmerzvoll sein. Man sollte sich nicht leichtfertig in eine Beziehung begeben, sondern mit dem Gegenüber sprechen, es von seinen Plänen und Hoffnungen reden lassen, auch von etwaigen Bedrückungen. Man sollte wissen, ob die Person, zu der man sich hingezogen fühlt, noch Platz hat, in ihrer Seele……Platz für Neues, für Inspiration. Liebe ist zu wertvoll, dass sie zu Wertlosem wird. Die Nachtigall hat ihren Preis bezahlt, Tand war dem Mädchen wichtiger. Die Rose, das Spiegelbild der Liebe wurde in die Gosse geworfen und ein Karrenrad fuhr drüber. Die Nachtigall hat für alles mit ihrem Leben bezahlt.

"Sie würde mit mir tanzen, hat sie gesagt, wenn ich ihr rote Rosen brächte!" rief der junge Student.
"Aber in meinem Garten ist keine rote Rose."
Die Nachtigall hörte ihn aus ihrem Neste in der Steineiche
und sie guckte durch die Blätter und wunderte sich.
"Es gibt keine einzige rote Rose in meinem ganzen Garten !"
rief er aus und seine schönen Augen füllten sich mit Tränen.
"Ach, von welchen kleinen Dingen hängt das Glück zuweilen ab.
Ich habe alles gelesen, was die weisen Männer geschrieben haben,
alle Geheimnisse der Philosophie sind mir offenbar,
und weil ich keine rote Rose habe, ist mein Leben verpfuscht."

"Da ist endlich ein treuer Liebhaber", sagte die Nachtigall.
"Jede Nacht habe ich von ihm gesungen, obzwar ich ihn nicht kannte.
Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt

und nun sehe ich ihn von Angesicht.
Sein Haar ist dunkel wie die blühende Hyazinthe
und seine Lippen sind rot wie die Rose seiner Wünsche.
Aber Leidenschaft gab seinem Gesicht die Farbe des bleichen Elfenbeins
und die Sorge setzte die Siegel auf seine Brauen."
"Der Prinz gibt morgen abend einen Ball", murmelte der junge Student,
"und die, die ich liebe, wird dort sein.
Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen,
bis der Morgen anbricht.
Wenn ich ihr eine rote Rose bringe,
werde ich sie in meinen Armen halten
und ihre Hand wird in meiner Hand liegen.
Aber es gibt keine rote Rose in meinem Garten
und so werde ich einsam dasitzen und sie wird an mir vorübergehen.
Sie wird sich um mich nicht kümmern und mein Herz wird brechen."
"Das ist wirklich ein treuer Liebhaber", sagte die Nachtigall.
"Was ich besinge, leidet er.
Was Freude für mich ist, ist Schmerz für ihn. Liebe ist wirklich eine wundervolle Sache.
Liebe ist kostbarer als Smaragd und wertvoller als der feinste Opal.
Man kann sie nicht kaufen um Perlen und Granatäpfel
und sie ist auf dem Markte nicht zu haben.
Sie ist den Händlern nicht feil
und sie kann auf der Goldwage nicht gewogen werden."
"Die Musiker werden in der Galerie sitzen", sagte der Student,
"und sie werden die Saiten ihrer Instrumente streichen und die,
die ich liebe,
wird tanzen zum Ton der Harfen und Violinen.
Sie wird so leicht tanzen, daß ihre Füße nicht den Boden berühren werden,
und die Hofleute in den bunten Kleidern werden sich um sie drängen.
Aber mit mir wird sie nicht tanzen,
denn ich habe keine rote Rose um sie ihr zu geben",
und er warf sich ins Gras und vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte.

"Warum weint er denn?" fragte ein kleines Eidechslein,
das mit dem Schwänzlein in der Luft vorüber rannte.
"Warum weint er denn?" sagte ein Schmetterling,
der hinter einem Sonnenstrahl einhertanzte.
"Warum weint er denn?"
flüsterte ein Gänseblümchen zu seinem Nachbarn mit seiner weichen, tiefen Stimme.
"Er weint um eine rote Rose!" sagte die Nachtigall.
"Um eine rote Rose?" riefen alle, "wie lächerlich!"
Und die kleine Eidechse, die ein bißchen zynisch angelegt war,
platzte mit Lachen heraus.
Aber des armen Jungen
und sie saß schweigend in ihrem Baum
und dachte über das Geheimnis der Liebe nach.
Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel zum Fluge und erhob sich in die Luft.
Sie flog wie ein Schatten durch den Hain und segelte wie ein Schatten durch den Garten.
In der Mitte des Grasplatzes stand ein schöner Rosenbaum,
und als sie ihn erblickte, flog sie darauf zu und setzte sich auf ein Zweiglein.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "
und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Baum schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind weiß, so weiß wie der Schaum des Meeres
und weißer als der Schnee auf den Bergen
. Aber geh zu meinem Bruder,der um die alte Sonnenuhr wächst,
vielleicht wird er dir geben , was du wünschest."
So flog denn die Nachtigall zum Rosenstrauch,
der um die alte Sonnenuhr rankte.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Strauch schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind gelb," antwortete er,
"so gelb wie das Haar der Meermädchen, die auf einem Bernsteinthron sitzen,
und gelber als die Narzissen,
die auf den Wiesen blühen, bevor der Schnitter kommt mit seiner Sense.
die Nachtigall verstand den geheimnissvollen Kummer des armen Jungen

und sie saß schweigend in ihrem Baum
und dachte über das Geheimnis der Liebe nach.
Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel zum Fluge und erhob sich in die Luft.
Sie flog wie ein Schatten durch den Hain und segelte wie ein Schatten durch den Garten.
In der Mitte des Grasplatzes stand ein schöner Rosenbaum,
und als sie ihn erblickte, flog sie darauf zu und setzte sich auf ein Zweiglein.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "
und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Baum schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind weiß, so weiß wie der Schaum des Meeres
und weißer als der Schnee auf den Bergen
. Aber geh zu meinem Bruder,der um die alte Sonnenuhr wächst,
vielleicht wird er dir geben , was du wünschest."
So flog denn die Nachtigall zum Rosenstrauch,
der um die alte Sonnenuhr rankte.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Strauch schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind gelb," antwortete er,
"so gelb wie das Haar der Meermädchen, die auf einem Bernsteinthron sitzen,
und gelber als die Narzissen,
die auf den Wiesen blühen, bevor der Schnitter kommt mit seiner Sense.
Aber geh zu meinem Bruder, der unter dem Fenster des Studenten steht,

vielleicht wird er dir geben, was du wünschest."

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch,
der unter dem Fenster des Studenten wuchs.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie,
"und ich werde dir singen mein süßestes Lied."
Aber der Strauch schütelte den Kopf.
"Meine Rosen sind rot," sagte er,
"so rot, wie die Füße der Taube und röter als die korallnen Fächer,
die die Meerflut in tiefer Höhle auf- und niederbewegt.
Aber der Winter hat meine Adern erstarrt
und der Frost hat meine Knospen geknickt
und der Sturm hat meine Zweige gebrochen
und so werde ich dieses Jahr keine Rosen mehr tragen."
"Eine rote Rose ist alles, was ich haben will," sagte die Nachtigall.
"Eine einzige rote Rose. Gibt es denn keinen Weg, sie mir zu schaffen?"

"Es gibt einen Weg," antwortete der Rosenstrauch,
"aber er ist so schrecklich, daß ich kaum wage, ihn dir zu sagen."
"Sag ihn mir nur," sagte die Nachtigall, "ich fürchte mich nicht."
"Wenn du eine rote Rose haben willst," sagte der Strauch,
"so forme sie aus Tönen im Licht des Mondes
und färbe sie mit deinem eigenen Herzblut.
Du mußt mir dein Lied singen, indes ein Dorn sich in deine Brust drückt.

Die ganze Nacht mußt du singen für mich
und der Dorn muß dein Herz durchbohren.
Und dein Lebensblut muß durch meine Adern fließen und mein werden."

"Sterben ist ein großer Preis für eine rote Rose," rief die Nachtigall,
"und das Leben ist allen teuer.
Es ist so schön, im grünen Walde zu sitzen und zu sehen,
wie die Sonne im goldenen Wagen herauffährt
und wie der Mond kommt mit seiner Perlenkutsche.
Süß sind die Glockenblumen, die im Tale versteckt sind, und das Heidekraut,
das auf dem Hügel blüht.
Aber Liebe ist mehr als Leben,
und was ist das Herz eines Vogels im Vergleich
mit dem Herzen eines Menschen!"
Und so breitete sie die braunen Flügel zum Fluge aus
und erhob sich in die Luft.
Sie flog wie ein Schatten durch den Garten
und segelte wie ein Schatten durch den Hain.
Der junge Student lag noch immer im Grase, wo sie ihn verlassen hatte
und die Tränen waren in seinen schönen Augen noch nicht getrocknet.

"Werde glücklich," rief die Nachtigall, "du sollst deine rote Rose haben.
Ich will sie formen aus Tönen im Licht des Mondes und mit meinem eigenen Herzblut will ich sie färben.
Alles, was ich von dir verlange, ist, daß du ein treuer Liebhaber werdest, denn die Liebe ist weiser als Philosophie,
so weise diese sein mag, und mächtiger als Kraft,
so mächtig diese sein mag. Flammenfarbig sind ihre Flügel
und von der Farbe der Flamme ist ihr Leib.
Ihre Lippen sind süß wie Honig und ihr Atem ist gleich Weihrauch."
Der Student blickte auf und hörte zu, aber er konnte nicht verstehen,
was die Nachtigall ihm sagte,
denn er wußte nur die Dinge, die in den Büchern geschrieben stehen.

Aber der Eichbaum verstand jedes Wort und wurde sehr traurig,
denn er liebte die kleine Nachtigall,
die ihr Nest in seinen Zweigen gebaut hatte.
"Sing mir noch ein letztes Lied," wisperte er.
"Ich werde sehr einsam sein, wenn du fort bist."
So sang denn die Nachtigall dem Eichbaum,
und ihre Stimme war dem Wasser gleich, das aus dem Felsenquell sprudelt.

Als sie ihr Lied geendet hatte, stand der Student auf
und zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche.
"Sie hat Technik," sagte er zu sich selbst, als er aus dem Haine schritt,
"das ist unleugbar; aber hat sie auch Gefühl?
Ich glaube kaum. Sie gleicht den meisten Künstlern: alles ist Stil,
nichts innerliches Gefühl.
Sie möchte sich für andere nicht aufopfern.
Sie denkt ausschließlich an ihre Musik und jedermann weiß,
daß die Künste egoistisch sind.
Aber man muß zugeben, daß sie einige schöne Töne in der Kehle hat.
Jammerschade, daß sie keinen tieferen Sinn haben
und praktisch nichts bedeuten!"
Und er ging in sein Zimmer und legte sich auf sein Bett
und begann über seine Liebe nachzudenken;
und nach kurzer Zeit schlief er ein.

Und als der Mond am Himmel stand, flog die Nachtigall zum Rosenstrauch
und drückte ihre Brust gegen den Dorn.
Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepreßt,
und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte.
Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust,
und ihr Lebensblut sickerte weg von ihr.

Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe
in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens.
Und an der Spitze des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose,
Blatt reite sich an Blatt wie Lied auf Lied.
Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluß hängt,
bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel des Dämmers.
Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel,
wie das Schattenbild einer Rose im Teiche,
so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.

Der aber rief der Nachtigall zu,
daß sie sich fester noch gegen den Dorn presse.
"Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst bricht der Tag an,
bevor die Rose vollendet ist."

Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn,
und lauter und lauter wurde ihr Lied,
denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft
in der Seele von Mann und Frau.

Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose,
wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams,
wenn er die Lippen seiner Braut küßt.
Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen,
und so blieb das Herz der Rose weiß,
denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben.
Und der Strauch rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn drücke.
"Drück fester, kleine Nachtigall", rief er,
"sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist."

Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn,
und der Dorn berührte ihr Herz,
und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter,
bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied,
denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt,
von der Liebe, die auch im Grabe nicht stirbt.
Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels.
Rot war der Gürtel ihrer Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz.

Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer,
und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern,
und ein leichter Schleier kam über ihre Augen.
Schwächer und schwächer wurde ihr Lied,
und sie fühlte etwas in der Kehle.
Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen.

Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen
und verweilte am Himmel.
Die rote Rose hörte es und zitterte ganz vor Wonne
und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind.
Das Echo trug es in seine Purpurhöhle in den Bergen
und weckte die schlafenden Schäfer aus ihren Träumen.
Es schwebte über das Schilf am Fluß, und der trug die Botschaft dem Meere zu.

"Sieh, sieh", rief der Rosenstrauch, "nun ist die Rose fertig";
aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras,
mit dem Dorn im Herzen.

Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und schaute hinaus.
"Welch ein seltsames Glück," rief er, "da ist ja eine rote Rose.
Ich habe in meinem ganzen Leben keine ähnliche Rose gesehen.
Sie ist so schön, daß sie sicher einen langen lateinischen Namen hat." Und er lehnte sich zum Fenster hinaus und pflückte sie.
Dann setzte er sich einen Hut auf und rannte hinüber
zum Hause des Professors, mit der Rose in der Hand.

Des Professors Töchterlein saß im Torweg und
wand blaue Seide auf eine Haspel und ihr kleiner Hund lag zu ihren Füßen.
"Sie sagten mir, daß sie mit mir tanzen würden,
wenn ich Ihnen eine rote Rose brächte," sagte der Student.
"Hier ist die schönste rote Rose der ganzen Welt.
Sie werden sie heute nacht an ihrem Herzen tragen
und wenn wir zusammen tanzen,
wird sie Ihnen sagen, wie sehr ich Sie liebe."

Aber das junge Mädchen runzelte die Stirne.
"Ich glaube nicht, daß die Rose zu meiner Toilette passen wird,"
antwortete sie.
"Und überdies hat mir der Neffe des Kammerherrn
einige echte Juwelen geschickt
und jedermann weis, daß Juwelen mehr kosten als Blumen."

"Sie sind wirklich höchst undankbar," sagte der Student ärgerlich
und er warf die Rose auf die Straße, wo sie in die Gosse fiel,
und ein Karrenrad fuhr darüber hinweg.

"Undankbar?" sagte das Mädchen. "Sie gebrauchen starke Ausdrücke,
mein Herr. Und überdies, wer sind Sie eigentlich?
Nur ein Student. Ich glaube nicht einmal, daß Sie silberne Schnallen an Ihren Schuhen haben
wie der Neffe des Kammerherrn."
Und sie stand von ihrem Stuhle auf und ging ins Haus.

"Liebe ist doch ein dummes Ding," sage der Student, als er heimging.
"Sie ist nicht halb soviel nütze als Logik,
denn sie beweist nichts und erzählt einem immer Geschichten von Dingen,
die doch nicht eintreffen, und macht einen an Dinge glauben,
die doch nicht wahr sind.
Alles in allem ist sie sehr unpraktisch
und heutzutage heißt praktisch sein alles.
ich kehre zur Philosophie zurück und werde Metaphysik studieren."

So ging er denn auf sein Zimmer und suchte ein dickes und staubiges Buch hervor und begann zu lesen.

 

 

 

Der Wasserträger

 

 

Ein Wasserträger hatte zwei große Töpfe, die an beiden Enden des Stockes hingen, den er über der Schulter trug. Ein Topf hatte einen Riss, der andere war in Ordnung. Am Ende des Weges vom Bach bis zum Haus war der rissige Topf nur noch halbvoll mit Wasser.
Und so ging es 2 Jahre lang.
Der vollkommene Topf war natürlich stolz auf seine Leistung, während der arme zerbrochene Tontopf sich wegen seiner schlechteren Leistung elend fühlte.
Nach 2 Jahre Bitternis sprach er den Wasserträger eines Tages an:
- Ich schäme mich weil das Wasser auf dem Rückweg versickert.
Der Wasserträger antwortete ihm:
-Hast du bemerkt dass die Blumen nur an deiner Seite wachsen und blühen?
Die Blumen können wachsen, weil ich immer von deinem Fehler gewusst und an dieser Seite des Pfades Blumensamen ausgestreut habe. Du hast sie am Rückweg täglich gegossen. Ich pflücke diese wunderschönen Blumen seit 2 Jahren, um mit ihnen meinen Tisch zu schmücken.
Wärest du nicht so, wie du bist, würde mein Haus nicht in dieser Wonne erstrahlen!

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Die Geschichte lehrt mich, dass es manchmal länger dauert, bis der Schmerz weggenommen wird. Auch dass es sich lohnt, rückblickend so lange den Schmerz ertragen zu haben.

Sie lehrt mich auch, dass es keine endgültige absolute Wahrheit gibt. Bei der ersten oberflächlichen Betrachtung könnte man meinen, es sei das wichtigste, soviel Wasser als möglich zu befördern. Plötzlich stellte sich aber heraus, dass weniger Wasser mehr sein kann. Die Menschen streben aber immer nach der absoluten Wahrheit, dies ist ein Fehler, der Wasserträger hat dies erkannt. Sein Ziel war nicht das Ziel der Vielen, gerade der Teil des Wassers, der dem Topf am meisten Schmerzen bereitete, war für den Wasserträger die Ursache für dessen größtes Glück.

Sie lehrt mich auch, dass man über kleinere Fehler hinwegschauen kann, man kann daran arbeiten. Ich muss mir öfters darüber im Klaren werden, dass Fehler zum Dasein gehören.