Rudi Kölmel im Mai 2004 i.d.F. vom 21.01.2016

 

quo vadis homo sapiens

1. Fragestellung

Viel wurde schon darüber gedacht und auch niedergeschrieben, ob Homo sapiens überleben oder zugrunde gehen wird. Mir erscheint die Thematik zu komplex, eine Aussage wird mit heutigem Wissen nicht machbar sein, prognostische Aussagen sind in etwa so spekulativ, wie den genauen Inhalt einer Leberwurst analysieren zu wollen oder zu befürchten, am 11.11 um 11.11 Uhr vor der Kaiserstraße 11 von einem Meteor getroffen zu werden.

Eines spricht für das Überleben, der Überlebenswille. Ob der jedoch ausreicht, wird sich erweisen.

Die Schieflagen, in die sich der Mensch hineinmanövriert, werden immer deutlicher. Änderungen müssen immer am Beginn des Zyklus ansetzen, dies sind die heutigen Kinder, sie sind die Chancen. Wo aber Chancen vorhanden sind, sind auch die Risiken nicht weit. Um nun die Chancen nutzen zu können, muss man aber in der Art einer Bestandsaufnahme die Risiken aufzeigen und bewerten.

Damit beschäftigt sich auch die Wissenschaft und einige ihrer herausragendsten Personen, etwa Martin Heidegger (Existenzphilosoph) und Konrad Lorenz (Ethologe und Nobelpreisträger von 1973) und viele andere.

 

2. Reizflutung durch Medien

Als ganz besonders begünstigende Umstände für das Einbiegen in die Zielgerade, die zum „inneren Geistestod" führt, sehe ich die konsumistische Reizflutung des menschlichen Geistes durch die neuzeitlichen Medienlandschaften, in der es Eltern zulassen, dass ihre sich gerade in der Reifung befindlichen Kinder in Schein- und Trugwelten geführt werden, deren Folgen dann die Sucht nach immer neueren und stärkeren Reizen ist.

Wir haben jedoch die Chance, den kommenden Generationen von Jugend auf, eine erhellende Prägung zu geben, sie wegzuführen von den schattierenden Indoktrinationen einer sich immer mehr als Normalität präsentierenden lug- und trugbehafteten Glitzerwelt.

Beispielhaft seien hier die sogenannten Realityshows genannt, mit denen die nach Einschaltquoten heischenden Anbieter den indoktrinationswilligen konsumistischen Bundesbürger gleichsam einem Schweinetrog abfüttern. Dass es keine „Reality" ist, merkt er allmählich nicht mehr, er lebt dann irgendwann in Gedanken selbst in diesem Kunstprodukt, er wird süchtig nach einer real nicht existierenden Welt. Gerade die Hinwendung großer Bevölkerungsteile an die von den medialen Großlandschaften durchkonstruierten Dummprägungsplattformen macht besorgt.

Das Ausmaß der medialen Durchdringung des Menschen lässt Tele-Existenzen entstehen, die überwiegend nicht mehr in der Lage sind, die angebotenen Inhalte oder auch Nichtinhalte (neudeutsch: content) als Medium oder Chance zu begreifen, sondern diese meistens als unhinterfragte vermeintliche Wirklichkeit abbilden. Dies lässt dann die Frage entstehen, wo uns diese Trunkenboldigkeit der Hingabe an einen ungebremsten Informationskonsum noch hintreibt, führt uns dies in unbeflogene Höhen oder in eine abstumpfende Ablösung.

Eigentlich ist es im Sinne der Nachwirkung des aufklärerischen Freigeistes das Wesen des neuzeitlichen Subjektes „homo sapiens", sich in Erinnerung seiner Selbstmächtigkeit drangvoll von fremdbestimmten Vermittlungen freizumachen. Kant sollte uns auch gelehrt haben, sich nicht als Projektionsfläche für unhinterfragte Positionen des Kollektivs zu machen. Als Kollektiv sehe ich die Summe eines pulsierenden, sich in der Ausdehnung befindlichen, weltweiten Vereinnahmungsmechanismus, so etwas wie die Außenstation der Borg, „wer nicht aufpasst, wird assimiliert". Dies Kollektiv könnte aus dem Gebinde der elektronischen und digitalen Medien, wie Fernseher, Computer, Internet, Radios, Handys und den Unmengen der uneigentlichen (nicht qualtitativen) Printmedien bestehen.

Die Botschaft des Kollektivs läuft darauf hinaus, beim Subjekt zu implementieren, der Konsum des Dargebotenen sei bereits Lebensgrundlage, wie Essen, Trinken und Schlafen und ohne diesen Konsum sei keine Autonomie des Selbst mehr möglich.

Die fehlenden Filter des Subjekts führen dann zum Bewusstsein, diese Botschaft sei Wahrheit und Wissen (episteme). Das „Cogito ergo sum - Ich denke, also bin ich"" eines Descartes verkommt zum „Ich sehe und höre und glaube, also bin ich". Die per Knopfdruck erreichbare Vielfalt birgt die Gefahr in sich, dass das Subjekt seinen Standort nicht mehr lotet, es verliert sich zwischen dem Kanonendonner am Hindukusch, Bombenattentaten in der Moskauer U-Bahn, dem Zigarrenkonsum der Praktikantin eines amerikanischen Präsidenten und irgendwelchen gottgleichen Äußerungen irgendwelcher vermeintlich gottgleichen Politiker.

Die Anbieter haben erreicht, was beabsichtigt war.

Die Zuschauer werden zum „Laternenanzünder" im Sinne der Erzählung des „Kleinen Prinzen" von Antoine de Saint-Exupery. Der Laternenanzünder zündet abends brav die Laterne an, versinnbildlicht mit dem Einschaltknopf am Fernsehapparat. Morgens macht er die Laterne wieder aus und er gefällt sich in dieser Rolle. Auch darin, bei sich bietender nächster Gelegenheit, den Knopf wieder zu drücken.

Kinder erhalten die Prägung von den Eltern. Eltern, die bereits selbst am Tropf der geisteseinnebelnden Medienindustrie hängen, können diese Funktion nicht mehr erfüllen. Ich möchte nicht mehr besänftigend wirken, deshalb schreibe ich es jetzt, bevor ich mir es noch einmal anders überlege.

Ich bewege mich da, ich bin mir dessen bewusst, auf einem sehr hypothetischen Feld, deshalb muss ich zur Verdeutlichung ein Beispiel aus der Natur bemühen. Viele als Schädlinge apostrophierte Wesen dieser Erde werden bei der Lebensmittelerzeugung immer neueren und stärkeren Spritzmitteln ausgesetzt, dennoch werden sie allmählich immun. Genauso ergeht es den Menschen.

Nach dem was sich da zusammenbraut, laufen wir in die Gefahr, dass verdummte Wesen die von ihnen wiederum gezeugten Wesen dann auch nur noch dumm prägen können.

Innerhalb kürzester Zeit droht die Dummheit zum tradierten Wert der Menschheit zu mutieren, die dann von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, wie die alten Mythen vor der Erfindung der Schrift. Diese Entwicklung geht schleichend einher mit der Gefahr, dass dann nicht mehr Werte, sondern Unwerte weitervermittelt werden.

Trotz sich fortentwickelnder Fähigkeiten im Umgang mit Technik, verinnerlicht der Mensch nicht mehr, was mit ihm geschieht, er verlangt nach immer stärkeren Reizen, er wird immer bereitwilliger gegenüber der nach oben hin offenen Richterskala der Vereinnahmung.

Diese Bedingungswelt, in der viele Kinder aufwachsen, wird in der Summe einiger Generationen, sollte kein Einhalt oder keine Umkehr stattfinden, zu einer Verödung der menschlichen Substanz führen.

Der Mensch, denke ich, ist auf dem besten Wege, sich selbst zu einem retardierten, geistig verarmten Mängelwesen kleinzuzüchten und er merkt es noch nicht einmal.

Jedenfalls wird daran sein technomorph ausgerichtetes Denken auch nichts ändern, jene Spezies, die glaubt , jeder technische Fortschritt sei automatisch als Fortschritt der Menschheit anzusehen.

3. Chance Humanismus?

Es stellt sich die Frage ob der Humanismus in der Lage ist, das toxische Gebräu aus Indoktrination, Konsum, globaler kultureller Rückentwicklung und dem Verlust der Schutzmechanismen des Aggressionspotentials zu entgiften?

Ich meine nein. Dem Humanismus scheint es wie einer aussterbenden Tierrasse zu ergehen.

Das was sich jetzt darstellt, ist gerade das Ergebnis des Humanismus.

Superhumanisten würden jedoch wohl sagen wollen, am Ende des Humanismus würde das Böse ausgerottet sein.

Betrachten wir die Geschehnisse seit der Zeit der alten Griechen mal im Schnellgang. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften seit den Vorsokratikern haben sich die Menschen in den humanistischen Zug gesetzt, der sie aus der Barbarei führte. Nun ist es einfach so, dass jede Bewegung eine Gegenbewegung auslöst. Das klerikale, rückwärtsgewandte mittelalterliche scholastische Denken hatte als Gegenbewegung den Keim der Renaissance in sich. Die dachten damals, es gehe so weiter, falsch gewettet, die Renaissance trug bereits den Keim des Absolutismus in sich. Auch der Absolutismus hatte als Gegenbewegung dann den Keim der Aufklärung in sich. Dies war schon immer so, auch jenseits des Abendlandes, etwa in der indischen Philosophie. Der die vedische Kultur ablehnende Buddhismus war die Antwort des forschenden, fragenden und neugierigen Menschen auf die herrschenden in sich gekehrten Geheimlehren. Die gewaltige Gegenbewegung der die vedische Kultur bejahenden orthodoxen Systeme (Astikas = Jasager) führten nahezu zum Verschwinden des Buddhismus in Indien.

Kurz nach einer Phase der Rückbesinnung, an deutschen Gymnasien waren gerade die große Literaten angesagt, schossen die Stahlgewitter zweier Weltkriege, die neuzeitlichen Trompeten von Jericho, das schöne Gebäude des Humanismus sturmreif.

Verwilderung brach durch die mühsam errichteten Barrieren. Der anthropologische Zivilisationsprozess hatte urplötzlich keinen Dampf mehr im Kessel, der Zug ruckelte, blieb stehen und legte den Rückwärtsgang ein. Im Tauziehen zwischen der Tendenz zur Verwilderung des anthropologischen Affen namens Mensch und dem Wunsch nach weiterer Zähmung durch Humanismus hatte die Barbarei einen großen Sieg errungen.

So meint Sloterdijk in „Regeln für den Menschenpark", die Ära des neuzeitlichen Humanismus sei als Schul- und Bildungsmodell abgelaufen. Es lasse sich nicht länger die Illusion aufrechterhalten, politische und ökonomische Großstrukturen lassen sich nach dem amiablen Modell der literarischen Gesellschaft organisieren. Die Entwilderung des Menschen sieht er seit dem Zweiten Weltkrieg in vollem Gange.

Diese apodiktische Festmachung an dem Merkmal „Ende des Zweiten Weltkrieges" scheint mir persönlich aber äußerst fragwürdig, weil die Zeit davor und der Zweite Weltkrieg doch gerade die vorläufige Kulmination des Entwilderungsprozesses, der Barbarei, der Bestialisierung und Verrohung darstellte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam nämlich erst wieder eine kurze Gegenbewegung, geboren aus dem Existenzialismus eines Jaspers oder Heideggers. Die Menschen hatten Existenzsorgen, die Horte des Wissens, die Schulen, waren ganz auf Rückbesinnung in Richtung alter Werte bemüht. Ganz allgemein war es auch für viele Menschen eine Zeit der Besinnung. Mit dem exponentiell gestiegenen Wirtschaftswachstum begann dann aber schon überfallartig die schnell-lebige Zeit, die Zeit des rechnerischen Denkens.

Es war die beginnende Zeit des Anhäufens von Eigentum, des Auch-Haben-Müssens, es fing bei vielen mit dem ersten Fernsehgerät an, das erste Auto, die ersten sogenannten Tonbandgeräte und so weiter, Mäßigung war nicht mehr angesagt.

Obwohl der Zweite Weltkrieg eine Brandmarkung des Menschen darstellte, ein Umdenken fand nicht statt. Koreakrieg, Vietnamkrieg, Genozide wie etwa durch das Polpotregime und die serbisch-kosovarische Auseinandersetzung sowie die Geschehnisse zwischen Hutsi und Tutsi zeigen bereits wieder deutlich auf, dass die Barbarei kein Ende hat.

Der Humanismus als Zähmungsregulativ des im Hintergrund arbeitenden Trojanischen Pferdes mit dem Namen „Rückkehr in die Barbarei", ist zahnlos geworden.

Es scheint mir, als sei ein kleines quirliges Hündchen in die Jahre gekommen, welches nun im betagten Alter keine großen Ausgänge mehr mag, sondern einfach nur noch seine Ruhe will.

Dieser Bewegung entgegenzusteuern geht uns alle an.

4. Wertesystem der Tugenden

Auch der Substanzverlust des Wertesystems muss aufgefüllt werden. Hier meine ich die Tugenden, von denen die bedeutendsten griechischen und römischen Philosophen sprachen. Beispielhaft seien die vier Kardinaltugenden der Stoa, die von Platon abgeleitet sind, genannt, Weisheit, Mut, Gerechtigkeit und Mäßigung. Mit Mäßigung sind auch Begrifflichkeiten wie Zurücknahme und etwa auch Besinnlichkeit verbunden.

5. Technikhörigkeit

Für mich ist neben meiner eigenen Denkarbeit immer auch wichtig, was haben eigentlich andere dazu gesagt, was für ein für und wider gibt es zu diesem Thema. Hier ist gerade die Technikkritik interessant. Dabei ist mir unter anderem Heidegger aufgefallen

5.1 Die Technik und die Kehre 1953, Martin Heidegger, Existenzphilosoph (1989 – 1976)

Angesichts des vor der Tür stehenden Technikbooms ,beginnend mit dem Einzug von Fernsehern in bundesdeutsche Wohnzimmer zu Beginn der 50er sieht Heidegger das Primat der Technik und der Ingenieure über den Geist der Welt, welches durch die von ihm beschriebene Kehre in die Schranken gewiesen werden sollte. Dies war seinerzeit ein reines Brainstorming, welches gegen den Technikpositivismus und den ungezügelten Fortschrittsglauben des „neuen Zeitalters“ keine realistische Chance hatte. Dabei hat er –wie Nietzsche eine fast schon erschreckende Prophetie gezeichnet. Wie wir wissen, hatte Heidegger eigene Sprachschöpfungen, kernig und die eigene Phantasie ankurbelnd. Die vielen Dinge, die der Mensch wegen der Technik plötzlich tun muss, nimmt ihm einen Großteil der Selbstbestimmung und macht auch klar, dass möglicherweise nicht der Mensch das Maß der Dinge ist, sondern die Technik. Der Mensch ist in ein „Gestell“ gestellt. Heidegger sieht in der Technik Gefahr verborgen. Das „Entbergen“ der Gefahr, sobald sie ans Licht tritt, solle nach seiner Auffassung aber auch die Chance einer „Kehre“ offenbaren, die durchaus „jäh“ kommen könne.

Heidegger macht einen Rekurs auf Hölderlins Hymne „Patmos“(1802) „Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch“. Bei allem Pessimismus sieht Heidegger also im Moment des höchsten Existenzialismus die Möglichkeit der Umkehr.

Übertragen wir das auf den Umgang des Menschen mit der Atomkraft, war das „Rettende“ nach Tschernobyl nicht stark genug, für die Bundesrepublik Deutschland nach Fukushima aber vielleicht.

5.2 Konrad Lorenz (1903 – 1989) Ehtologe, Nobelpreis 1973

Sein für mich maßgebendes Hauptwerk „ Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“, erschien im Jahre 1973 und zeitigt -wie Nietzsche im politischen Bereich- eine tiefgreifende Prophetie des „quo vadis“.

Seiner Auffassung gehören folgende Fragenkomplexe dazu:

Struktureigenschaften und Funktionsstörungen lebender Systeme, Überbevölkerung, Verwüstung des natürlichen Lebensraumes, Wettlauf der Menschheit mit sich selbst, Wärmetod des Gefühls, Genetischer Verfall, Abreißen der Tradition und Indoktrinierbarkeit.

Seine Technikkritik formuliert er im Kapitel „Wettlauf der Menschheit mit sich selbst“ so, dass die artspezifischen Konkurrenzmechanismen des Menschen durch die Technik ausgehebelt werden und in eine Eigendynamik zu Lasten der Menschen übergehen.

5.3 Meine Überlegungen

Wichtig scheint mir auch für den Menschen zu sein, ständig sein Verhältnis zur Technik zu überdenken. Heute ist das Denken zu einseitig auf Technik ausgerichtet, es ist schier eine fast technokratische Gesellschaft.

Ich meine dass der Mensch den durch die Technik ausgelösten Bedingtheiten wie ein Betrunkener hinterher taumelt und er sich im Hamsterrad immer schneller drehen muss. Dabei stelle ich fest, dass die Technik selbst (etwa Hochleistungscomputer) zu einem linearen Anstieg des kognitiven Wissens der Menschheit führt. Damit einher, aber nicht davon ausgelöst, geht ein degressiver Verlust der Schutzmechanismen des Aggressionstriebes. Beispielhaft könnte Hochleistungstechnik zu extrem besseren und effektiveren Waffen führen und dadurch die Erstschlagsfähigkeit begünstigen. Bei so einer Konstellation hätte es der Mensch nicht mehr nötig, Schutzmechanismen auszubilden.

Eben aus diesem Ungleichgewicht kann dann das „Böse“ entstehen. Andererseits könnte man aber auch argumentieren, dass Hochleistungstechnik zur Entdeckung wirksamer Medikamente führt. Angesichts der durch Technik ausgelösten Zerstörungen durch Kriege und asymmetrischer ökologischer Schieflagen, scheint mir die Marschrichtung leider bereits –zumindest vorläufig-festgelegt.

Für mich ist aber noch nicht mal die technokratische Vereinnahmung das gefährlichste, sondern die Entfremdung von den Wurzeln.

Viele Menschen verlieren die Grundlage zu einst für das Überleben notwendigen Kulturtechniken, sie verlieren den Urgrund, der ihre Spezies über die Barrieren trieb. Sie überleben, weil vieles nur noch konsumiert zu werden braucht, dies betrifft in erster Linie die Befriedigung des Nahrungstriebs. Durch diesen Substanzverlust begibt er sich im Lichte der Gesamtbetrachtung in irreversible Abhängigkeiten.

Viele werden zu in Kunstwelten lebenden Anspruchsneurotikern. In unserer modernen Welt setzt sich immer mehr der sogenannte „Konvenient-Gedanke" durch. Zuerst wurde er in der Nahrungsmittelindustrie verwendet für vorgekochte und in Plastiktüten verschweißte Nahrung. Längst hat er jedoch fast alle Bereiche des menschlichen Lebens erfasst und den Menschen träge und bequem gemacht.

Immer weniger Menschen wissen und erfahren aus eigenem Tun und Wirken das Entstehen der Dinge, sie wissen gerade noch, wo sie diese erwerben können.

Die unausweichliche Gegenbewegung dieser Entwicklung wird den Menschen auf lange Sicht lebensuntüchtig machen.

Die genannten Schein- und Trugwelten der Medien, der Werbung und der Industrie werden vielen Menschen näher, als grüne Wiesen, die Erzeugung von Lebensmitteln und der Stundengang von Tag und Nacht, näher als das Bewusstsein, selbst ein Bestandteil eines Zyklus zu sein.

Bei all dem Hinterdenken gerate ich in die Gefahr des Verfalls in Agonie, so dass ich nun darüber nachzudenken beginne, völlig neue philosophische Wege für gut zu heißen. Ein solcher Weg, der nur wenige Fußstapfen vor sich hatte ( Platons Staat, Nietzsches Zarathustra vielleicht), wäre die vom Karlsruher Philosophen Peter Sloterdijk in seinem Elmauer Vortrag im Juli 1999 (Philosophie nach Heidegger, über die Regeln vom Menschenpark ) angedachte gentechnische Revision der Menschheit. Wenn schon Entschlüsselung der Gene, Klonzüchtung und Technikhörigkeit, dann bitte gleich die Dummheit und das Böse wegzüchten, dadurch dem Prozess der fortschreitenden „Kleintierzüchtung" und geistigen Vermopsung entgegenwirken.

Dennoch will dies eigentlich wohl keiner, aber als ultima ratio der dead-line durchaus ernst zu nehmen.

Während anfangs noch einige übereifrige Hofberichterstatter versuchten, Slotterdijk als Deutschen mit Blickpunkt auf die oft bemühte und strapazierte "besondere Verantwortung der deutschen Geschichte" in eine missliebige politische Ecke abzudrängen, blieb ihnen 2 Jahre später der Auftritt von Stephan W.Hawking anlässlich des Interviews zur Vorstellung seines neuen Buches -Das Universum in der Nußschale- im Halse stecken. Er bezeichnete die natürliche Auslese zur Reduzierung des Aggressionstriebes als zu langsam, dies erfordere einen gezielten gentechnischen Eingriff in das Erbgut. In seinem Buch stellte er einen solchen Eingriff zwar als nicht erstrebenswert hin, äußerte jedoch, dass er auf jeden Fall kommen werde, ob wir das nun wünschen oder nicht. Er sieht Probleme und Verwerfungen zwischen veredelten und nicht veredelten Menschen voraus. Auf jeden Fall hat spätestens er die Diskussion hoffähig gemacht, die bis heute ungebremst anhält.

Hierbei möchte ich nochmals den Komplex betrachten, ob und auf welchem Wege möglicherweise Nietzsches Übermensch im Sinne eines besseren Menschen, der über sich selbst hinausgeht, geschaffen werden könnte, wo die Ansatzpunkte zu finden sind und wo die Anthropotechniken eigentlich stehen. So fällt mir auf, dass eine Revision immer nur auf der Seite der Gentechnik gesehen wird, dort findet sich auch die Masse des Widerhalls wieder, die nicht verstummenden Kritiken. Dies führt dazu, dass dem noch nicht sehr informierten ersten Betrachter der Problematik der Eindruck vermittelt wird, lediglich aus der Veränderung des Erbgutes oder dem Klonen könne eine bewusste Änderung des Menschseins entstehen.

In der öffentlichen Diskussion gerät eine ganz andere Ecke in Vergessenheit, die Neurologie nämlich. Die Möglichkeiten der Steuerung ergeben sich meines Erachtens mindestens ebenso im Bereich der Hirnforschung, den Neurowissenschaften.

Um das, was sich dort tut, auch nur annähernd begreifen zu können, stelle ich mir die Leistungen des Menschen in der Weltraumfahrt vor. Da hat er in etwa aber nur die Position inne, die ein Mensch hat, wenn er auf einem am Boden liegenden Blatt Papier steht, welches die bisherigen Leistungen des Menschen im Vergleich zu seiner Körpergröße reflektiert. Die Differenz spiegelt wieder, was noch möglich sein wird. Ähnlich sieht es bei den Neurowissenschaften aus.

Führende Hirnforscher warnen schon vor Eingriffen in die Persönlichkeit, mahnen bereits jetzt, die Ergebnisse der Hirnforschung würden zu einer Veränderung unseres Weltbildes führen.

Ich denke, dies wird zu einer weiteren Kränkung der Menschheit führen, ähnlich den Kränkungen durch Kopernikus (1543), Darwin (1859), Freud (1895). Andere Kränkungen werden noch nicht eindeutig zugeordnet, etwa die ethologische durch Heinroth (1910) und die epistemologische durch Lorenz (1941). Bereits jetzt wird aber schon nicht mehr sehr kontrovers diskutiert, dass die Neurobiologie zu einer weiteren Kränkung führen wird.

In der obersten Ebene (welche Areale für welche Leistungen zuständig sind) und untersten neuronalen Organisationsebene (molekulares Geschehen) wird schon viel Arbeit geleistet. Da gibt es schon Positronenemmissionstomographie (PE), Elektroenzephalogie (EEG), Magnetenzephalogie (MEG), funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), diese können jedoch auch nicht die Regeln der mittleren Organisationsebene erklären. Dort sind wir nach der Übereinstimmung der Wissenschaften derzeit gerade auf dem Stand von Jägern und Sammlern. Jedoch besteht auch Übereinstimmung darin, dass sich in den nächsten 30 Jahren wohl das Ein-Mal-Eins des Gehirns entschlüsseln lassen wird, um dann irgend wann einmal die übergeordneten Fragen anzugehen, wo und wie das Bewusstsein entsteht, wie Rationalität und Emotionalität miteinander verwoben sind und so weiter. Derzeit vermag die Wissenschaft es nicht für möglich zu halten, dass eines Tages die Vorhersehbarkeit menschlichen Verhaltens möglich sein wird, da genetische Vorgaben und Prägung nicht fassbar seien. Diese Beruhigungspille mag möglicherweise aber zweckorientiert sein, um dann etwas ungestörter tätig sein zu können.

Ich frage mich nun, wenn ein Bill Gates der Hirnforschung daherkäme, uns ein Programm für Löschen und Beschreiben der neurologischen Festplatte vorlegt, was dann passieren würde. Weshalb sollte die jetzige klassische Neurologie nicht das gleiche Schicksal wie die alten, heute bereits vergessenen Schreibmaschinen, erleiden. Diese Szenarien eröffnen dann einen ganz neuen Reigen.

Das Militär könnte sich dafür interessieren oder die Reichen könnten sich -wie von Hawking beschrieben- veredeln lassen. Diktaturen könnten missliebige Bürger willfährig machen. Andererseits könnten Veranlagungen wie Angst, Panik, Depression, Hass einfach umgeschrieben werden, Psychopharmaka wären entbehrlich. Viele meinen wohl, so etwas könne es bei dem lebenden Organismus "homo sapiens" nicht geben, dazu seien die medizinischen und biologischen Verknüpfungen zu komplex.

Danach gefragt, ob ich dies für möglich halte, antworte ich mit einem etwas mehr als nur vorsichtigem Ja.

Das möchte ich an einem Beispiel der Geschichte erklären. Mein Vater sah als junger Mensch einen Stummfilm im Kino der damaligen 20er Jahre, in der eine Rakete zum Mond flog. So richtig idyllisch und einfach gefilmt. Danach haben sich die Jugendlichen vor dem Kino unterhalten und darüber befunden, so etwas würde es nie geben, niemals. Heute ist mein Vater Geschichte, die Mondlandung, die er erst viel später mit eigenen Augen im Fernsehen anschauen konnte, auch.

Man soll also niemals nie sagen, das sollten wir spätestens seit James Bond wissen.

Ob der Spezies die Zeit bis zur Entschlüsselung des Gehirns gegeben ist, daran zweifele ich jedoch, betrachte ich mir, wie er mit etwas, was er nie beherrschen wird, die Natur nämlich, umgeht.

6. ökologische Schieflagen

Um es gleich vorweg zu nehmen, ich halte die ökologischen Fragen für die dringendsten, denn sie betreffen direkt die Grundlagen des menschlichen Seins.

Auf jeden Fall wird der Mensch seine selbst geschaffenen asymmetrischen Schieflagen als Folge permanenter vorsätzlicher und fahrlässiger Interaktionen, wie Vergiftung des Grundwassers und der Meere, Abholzung tropischer Regenwälder, sterbende Wälder, Ozonloch, Versiegelung von Flächen , Erhöhung der Erdtemperatur und Atomkraft (Tschernobyl), überdenken und korrigieren müssen.

Bedenken kommen mir, wo die Kraft zum Erkennen von Fehlentwicklungen eigentlich noch herkommen soll. Kritiker werden noch allzu gerne als Öko-Stalinisten abgestraft.

Als Beispiel ist die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl am 26.04.1986 bezeichnend, man hätte erwarten dürfen, dass dieses Unglück die Initialzündung für das Andenken der Thematik gewesen wäre, ob sich der Mensch in sophistischer Selbsteinschätzung, das Maß aller Dinge zu sein, sich zum Herrn über die Natur erklären darf.

Die Menschheit hat diese Chance verpasst.

Am 11.03.2011 wurde sie durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima daran erinnert. Die Bundesrepublik Deutschland hat seither die Energiewende ohne Atom beschlossen. Viele bauen weitere Atomkraftwerke.

Die Technikgläubigkeit, die immer auch einhergeht mit maximalistischem Gewinnstreben, hat fast überall wieder die Oberhand gewonnen. Für mich wird immer klarer, dass der Mensch auch nichts Besseres ist, wie ein anthropologischer Affe. Weshalb legt die Menschheit nicht wieder ein Siegel über die Atomkraft?

In Nietzsches Nachlassfragmenten findet sich ein Requiem auf die Zukunft der nuklearen Bedrohung. Obwohl damals die Kernspaltung noch in weiter Ferne stand, darf dies nicht verwundern, war doch Nietzsche nicht nur ein Diagnostiker und Zerstörer, sondern er hatte auch Anlagen zu Prophetie. Er schreibt wie folgt:

Es ist alles glatt und gefährlich auf unserer Bahn, und dabei ist das Eis, das uns trägt, so dünn geworden. Wir fühlen alle den warmen unheimlichen Atem des Tauwinds. Wo wir noch gehen, da wird bald niemand mehr gehen können."

Das Gleiche sehen wir gerade bei der Diskussion zu der Zulässigkeit genmanipulierter Nahrungsmittel.

Wirtschaftliche Erwägungen lassen die Besorgnis des Entstehens schwerer Belastungen für die Nachfolgegenerationen in vielen Teilen der Welt überhaupt nicht aufkommen.

Hoffnungen und Wünsche auf rasch einsetzende Regulative zu den von den Menschen geschaffenen Ungleichgewichten ergeht es wie den Schienbeinen, sie werden oft zu weit hinausgestreckt.

Bei der ökologischen Betrachtung sind auch religiöse Hinterfragungen anzustellen.

Vielleicht wäre es wünschenswert, könnte sich der Mensch etwas mehr den Naturphilosophien, etwa dem pantheistischen Denken der Stoischen Philosophie annähern. Hierbei handelt es sich um ein Denkgebäude, deren oberstes Ordnungsprinzip die Erkenntnis ist, dass die gesetzmäßig vernünftig geordnete Natur göttlich ist (im Sinne einer allumfassenden schöpferischen Vernunft (gr. Logos). Es existiert keine personifizierte Gottheit, die „Tempelbesuche" im Sinne des klassischen Kirchgangs erfordert.

Die oberste Pflicht des Menschen ist die freiwillige Anpassung an die Natur, um so am göttlichen Logos teilzuhaben. Die Ruhe in diesem Denkgebäude befähigt den Stoiker, sich als Teil des Ganzen zu fühlen und sich der weltweiten Verantwortung bewusst zu sein.

Vergleicht man die Naturphilosophien mit den heilsgeschichtlichen „Errungenschaften" monotheistischer Religionen, wird schnell deutlich, welche Denkrichtungen mehr die Interessen der Erde und der ihrer Lebewesen berücksichtigen. Das Christentum mit dem Slogan „macht euch die Erde untertan", doch wohl eher nicht. Dabei möchte ich nicht den Jainismus eines Mahavira (599-527 v.Chr., also Zeitgenosse von Phytagoras), eine philosophische Richtung der nicht-orthodoxen Systeme der klassischen indischen Philosophie als alleinig seligmachendes Heilmittel für eine geschundene Natur hinstellen. Sie töteten nichts Lebendiges, kein Tier darf geschlachtet werden, er filtert sein Wasser, er kehrt den Boden, damit sein Fuß nicht Lebewesen zertrete.

Diese Lehre wurde damals auch als so streng angesehen, dass es keine Massenreligion werden konnte.

Dennoch sollte die Gesellschaft, die Tierarten ausrottet und das Leben der Tiere, jedenfalls der „sogenannten" Nutztiere, gering schätzt, über die tiefe Ehrfurcht nachdenken, die die Jainas gegenüber allem Leben empfinden.

Verschiedene Menschen von Naturreligionen haben, ohne je Bücher gelesen oder geschrieben zu haben, die Irrwege des ausbeuterischen Wesens Mensch früh erkannt und mit wenigen Sätzen beschrieben, so etwa der berühmte anrührende Brief des Häuptlings der Duwamish Indianer, Seattle, an Franklin Pierce, den 14. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Es war auch eine große Mahnansprache an den weißen Mann, er warnte:

Fahret fort, Euer Bett zu verseuchen, und eines Nachts werdet Ihr im eigenen Abfall ersticken."

Was würde er wohl heute sagen, könnte er sehen, wie Säure ins Meer verklappt wird, wie atomare Abfälle mit strahlenden Halbwertzeiten von mehreren tausend Jahren in der Erde, die den Indianern heilig war, vergraben werden.

Es war eine Warnung an den weißen Mann, stellvertretend für die Technik, die damals im Begriff war, substanzmäßige menschliche Errungenschaften über Tausende von Jahren hinweg von der indianischen Rasse angesammelt, zu verdrängen.

Die Kernaussage seines Briefes ist noch nicht so alt, wird jedoch in ihrem Gesinnungswert, dem Bedeutungsgehalt in die Ruhmeshalle der Philosophie, hier der Naturphilosophie Einzug nehmen, gleichbedeutend mit dem carpe diem eines Quintus Horatius Flaccus.

Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann".

Dieser Duwamish Häuptling, der sich selbst „Wilder" nannte, hinterfragte das rechnerische Denken und mahnte das besinnliche Denken an, er mahnte vor dem kurzfristigen Denken und richtete seinen Blick auf die großen Zeitschlaufen, vergebens.

Um meine vorgenannten Ausführungen nicht als ein die Kurzweile vertreibender vorgezogener Aprilscherz erscheinen zu lassen, möchte ich eine lebensbezügliche kleine naturphilosophische Betrachtung über das gegen sich selbst gerichtete Tun des Menschen anstellen und dies mit meiner eigenen Apfelmetapher beginnen:

Solange Menschen bereit sind, vergiftete Äpfel zu kaufen, fährt der Zug rückwärts"

Wie recht Seattle doch hatte und hat, wir vergiften uns selbst, als hätte er es gewusst, dass die Menschen bereits hundert Jahre nach ihm im Besitz von Herbiziden, Fungiziden und Pestiziden sein werden.

Noch lebende Ureinwohner, ob Indianer in Brasilien oder Aborigines in Australien vergiften nichts bewusst, die Menschen in kapitalistischen Systemen tun es. Sie tun es, weil es das Kapital will und das Kapital will es, weil dadurch sogenannter „Mehrwert" geschaffen werden kann. Die systematische Vergiftung zur Reduzierung von Ernteausfällen ist eine Reflexion des rechnerischen Denkens, des Bilanzdenkens.

Frühere Apfelsorten waren relativ resistent und Ernten waren immer irgendwie sicher, die Menschen legten in früheren Zeiten nicht so viel Wert auf das Aussehen der Früchte.

Nach dem ab dem Zweiten Weltkrieg langsam beginnenden Wirtschaftswachstum wollten die Menschen dann nach dem alten Wahlspruch bei den Olympischen Spielen „citius, altius fortius" nicht nur größere, schnellere und schönere Autos, sondern auch wohlgeformtere, schönere und süßere Äpfel. Im Jahre 1955 haben die Menschen die Kreuzung „Golden Delicious" geschaffen. Er erfüllte viele Wünsche, doch seine Schattenseiten sehen die Menschen weder auf dem Markt noch in den Supermarktketten, wo die Teilchen schön verpackt und gewachst in den Kartons liegen

Zur Erreichung dieses Zieles vergiftet der Mensch fast alles, was ihm in den Weg kommt, er zeigt die ganze Palette seiner violenten Struktur, verpackt in schöne Werbebroschüren.

Es wird gegen Apfelblütenstecher, Apfelschalenwickler gespritzt, mehrfach natürlich.

Er neigt zu überreichlichem Fruchtansatz, die Einzelfrüchte wären aus der Sicht der Industrie zu klein, die sogenannte EG-Normgröße wäre nicht erfüllt. Dem Produkt würde man die Marktfähigkeit absprechen. Deshalb werden die Bäume in den Großanlagen durch eine sogenannte Ausdünnungsspritzung für wenige Tage physiologisch so stark geschwächt, dass diese ein Notprogramm auslösen und einen Großteil der Fruchtansätze abwerfen, um zu überleben.

Da der Apfel extrem schorfanfällig ist, also bräunliche Schalenschorfflecke bekommt, insbesondere bei viel Regen, wird insgesamt mindestens noch zehnmal gegen Schorf gespritzt. Ich habe mir persönlich sagen lassen, dass ohne weiteres so fünfzehn Spritzungen zusammenkommen. Das ist auch der Grund, weshalb (Stand April 2004) fast alle Bienenhonige einer Testreihe bei den nachgewiesenen Pestiziden über den Grenzwerten lagen. Auch das Grundwasser wird natürlich noch belastet. Damit die Grenzwerte der einzelnen Spritzmittel eingehalten werden, gehen die Anbauer dazu über, einen Spritzmittelcocktail zu verwenden. Sie setzen also größere Mengen Spritzmittel ein, bleiben aber bei den einzelnen Mittel unter den Grenzwerten. Die Äpfel werden dann bis zur Auslieferung in riesigen gasbefüllten Lagerhäusern gelagert und zum Teil noch mit einer Wachsspritzung versehen. Prost Mahlzeit.

Die Industrie hat erreicht, was sie wollte, sie verdient doppelt.

Der indoktrinationssüchtige Konsumlemming trägt stolz seine Beute, eigentlich Sondermüll, nach Hause und bezahlt auch noch dafür und anderseits kann die Industrie noch Pestizide, Herbizide und Fungizide verkaufen. Dass sich damit richtig Geld machen lässt, zeigt das internationale Börsenparkett.

Dies alles macht der Mensch, obwohl er weiß, was er auf dem Weg der Produktion dieses Apfels alles zerstört und belastet und dabei klopft sich dieses dumme, eingebildete Geschöpf in seiner narzisstisch überheblichen Eigenliebe noch grinsend selbst auf die Schulter und beglückwünscht sich dazu. Auch jetzt stelle ich wieder die Frage, dieses Wesen soll etwa nach christlicher Leseart das Ebenbild Gottes sein oder nach sophistischer Denkweise eines Protagoras das „Maß aller Dinge". Ist da die Fliege, die erst gar keine Eier in so ein Äpfelchen legt, nicht viel schlauer.

Anhand dieses Beispieles wird verständlich, was Seattle mit seiner Bettmetapher meinte, dass wir in Gefahr laufen, an uns selbst zu ersticken.

Ich gehe jetzt noch einen Schritt weiter und empfehle dem Menschen, eine Namensänderung zu beantragen, er sollte sich nicht mehr homo sapiens (wissender Mensch) sondern homo stultus (dummer Mensch) nennen.

Immanuel Kant, unser Vorzeigedenker, kannte den Golden Delicious natürlich noch nicht, dennoch lässt sich sein Denkerbe anhand des Beispieles leicht nachvollziehen. Er beschäftigte sich ein Leben lang mit der Frage der Erkenntnisgewinnung. Er sah zwei Arten von Erkenntnis, eine Erkenntnis, die der Mensch unabhängig von der Erfahrung und Beobachtung (Empirie) der Umwelt bereits dem Grunde nach vernunftmäßig in sich trägt >a priori< und eine solche, die er mit den Sinneseindrücken von außen her >a posteriori< erfährt.

Die innere vernunftmäßige Erkenntnis hat den Menschen seit Urzeiten immer befürchten lassen, jemand könnte die Brunnen vergiften, Brunnenvergifter wurden in den archaischen Zeiten des Strafrechts extrem hart bestraft. Auch heute noch besteht das Grundgefühl, geboren aus dem Trieb nach Selbsterhaltung, sich nicht zu vergiften. Niemand würde freiwillig und ohne Not ein mit einer Giftmischung (Pestizide) gefülltes Glas austrinken. Dies gebietet ihm auch die Vernunft, die er bereits dem Grunde nach in sich trägt. Dennoch akzeptieren es die Menschen, das gleiche Gift in kleinen Dosen auf dem Umweg über die Nahrungskette zu sich zu nehmen. Die a priori Kraft ist in diesem Falle bei diesen Menschen also nicht groß genug, um vernunftsmäßig im vollen Umfange zu dem Ergebnis zu kommen, ganz auf den Erwerb gespritzter Äpfel zu verzichten.

Es ist jedoch möglich, dass es durch den Verzehr der Äpfel zu Hautunverträglichkeiten oder anderen Schädigungen, etwa der Niere, kommt. In diesem Falle erhalten sie das exogene Signal (außerhalb des Organismus entstehend; von außen her in den Organismus eindringend), dass sich dieser Zustand verschlimmern könnte, sollten sie die Äpfel weiter essen.

Auf die gleiche Art können auch Raucher die Entwicklung des Raucherhustens verfolgen bis zur existentiellen Sorge der Erkrankung an Krebs.

Ein weitere sich in diesem Dunstkreis befindliche Betrachtung könnte die schauderhafte Komödie zwischen den Grenzwerten von Pestiziden im Grundwasser und der Zulässigkeit auf der Apfelschale sein.

Die Menschen können somit durch eigene Beobachtung Schritt für Schritt (Empirie) zu der Erkenntnis gelangen, künftig auf den Verzehr dieser Äpfel ganz zu verzichten oder mit dem Rauchen aufzuhören.

Die geschilderten Geschehnisse über das Werden nur eines Apfels ist wirklich nur ein Beispiel einer schier unübersichtlichen Kette menschlicher Irrwege, die sich immer mehr verstricken und gegenseitig bedingen. Ich beginne an dieser Stelle mal aktiv darüber nachzudenken und in mich hineinzuhören, ob ich tatsächlich an die Chance einer erfolgreichen Umkehr glaube.

Bleibt für mich im Moment noch eine weitere, meinen eigenen Lebenskreis eigentlich nicht mehr betreffende Frage, welche Auswirkungen die Bereitschaft des Menschen zur eigenen Vergiftung auf den Evolutionsprozess hat. Bei neo-darwinistischer Betrachtung bietet sich zunächst die Feststellung an, dass in den Genen die menschlichen Eigenschaften festgeschrieben sind. Hier liegt nun die Sorge, dass die Anhäufung von Giften in der menschlichen Nahrung über Äonen von Zeitschichten hinweg eine Änderung bewirkt. Die nächste Frage wäre dann, ob sich die Änderung als evolutionärer Selektionsvorteil oder Selektionsnachteil erweist.

Zusammenfassung

So komme ich allmählich zur Frage, ob der Mensch ein starkes Wesen ist, welches sich weiterhin durchsetzt oder ein Wesen ist, welches den Kulminationspunkt seiner Entwicklung schon überschritten hat. Diese Frage ist äußerst komplex und in erster Linie eine Geschichte der Evolutionstheorie, die versucht, neben der Sammlung empirischer Belege für die Evolution und die Rekonstruktion der Stammesgeschichte, vor allem die Triebkräfte dazu zu ergründen.

Seit Charles Darwin wissen wir, dass die Selektion (survival of the fittest) die Hauptriebkraft darstellt. Die vernunftsmäßig geordnete Natur sorgte mit der Selektion dafür, dass aus der Fülle genetischer Varianten diejenigen bevorzugt wurden, die an die jeweiligen Bedingungen am besten angepasst waren

Hier hat sich ganz eindeutig der Mensch als die stärkste Art erwiesen. Er hat die Fähigkeit zu strategischem Denken entwickelt. Wahrscheinlich kleinste DNA-Veränderungen gegenüber den höheren Ordnungen der Affen ließen den Menschen die Sprache entwickeln. Dies war ein Quantensprung in der Anthropologie. Unter dem darwinistischen Aspekt hat sich der Mensch als die stärkste Art erwiesen.


Dies war ein Weg über einen Zeitraum von 300 000 Jahren, wobei es in den letzten 10 000 Jahren keine menschlichen DNA-Veränderungen mehr gab. Ab diesem Zeitpunkt, würde ich meinen, hat der unmerkliche Weg zur Schwäche hin begonnen. Nachdem der Mensch sich allmählich gegen andere Spezies durchgesetzt hatte, begann die intraspezifische Selektion innerhalb der Art Mensch. Bis zum heutigen Tage stieg das Kampfpotential der Spezies Mensch exponentiell ( Beispiel Massenvernichtungsmittel), während die Intelligenz innerhalb dieser intraspezifischen Selektion entweder nicht entscheidend oder überhaupt nicht in der Lage ist, in gleichem Maße das Aggressionpotential zu begrenzen. Dazu kommen die beispielhaft zitierten Schieflagen. Die Menschheit steht nun in der Gefahr, sich in der Selbstbezüglichkeit des Systems zu verfangen. Es liegt offensichtlich nicht in seiner Natur, schwach zu sein, das Gegenteil, also naturgemäß stark zu sein, liegt aber auch nicht vor. Der derzeitige Weg der Schwäche ist selbst geschaffen.


Der Mensch ist einfach nur Bestandteil der Evolution und eben nicht, wie er oft meint, aus der Evolution herausgetreten. In seiner Selbstüberschätzung sägt er an dem eigenen Ast, auf dem er sitzt.

Aus dieser Position heraus definiert er etwa die Ameise, auf die er schon immer und noch hinabschaut, während er schon unterwegs ist zu den Sternen. Dieses Nach-den-Sternen-Greifen lässt in der Gesamtschau die Sorge aufkommen, dass der Mensch Senecas Weisheit „man stolpert nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel" als den Spruch eines antiken Spaßmachers abtut, tatsächlich gerade aber daran scheitern könnte.

Derzeit scheint mir die Spezies einem in der zehnten Runde stark angeschlagenen, nur noch im Geviert taumelnden Boxer vergleichbar, der noch an den Sieg glaubt.

Es tut not, diesem erkannten Weg der Schwäche einen durch operative Intelligenz gesteuerten Überlebenswillen entgegenzusetzen. Bei dieser Betrachtung fällt auf, dass der Mensch zuerst stark, dann schwach wurde, besser wäre es anders herum. Aber gerade dieses Schwach-Sein kann auch eine Herausforderung darstellen, damit das In-Der-Welt-Sein der Spezies homo sapiens nicht zu einer evolutionären Sackgasse wird, an deren Ende der Entwicklung vielleicht die Ameise der Gewinner sein wird.

Ich bin davon überzeugt, Zeit, hier trete ich dem von Marcus Aurelius in seinen „Selbstbetrachtungen" (Erstes Buch Anmerkung 12) zitierten Platoniker Alexandros entgegen, haben wir eigentlich keine mehr.

Ich denke, dass auf diesem Gebiet der apokalyptische Reiter bereits sein Pferd gesattelt hat. Eine solche Ansicht heißt nun nicht, dass man sich dem Kulturpessimismus verschrieben fühlt, so spüre ich durchaus eine Hinwendung zu Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung". Die Herausforderung bedarf der Tapferkeit, des Kampfeswillens und einer gehörigen Portion „militantem Optimismus"

Die horazische Ode, Karmen 1,11, Carpe diem richtet sich nicht nur an das Individuum, sie ist gleichermaßen ein Mahnspruch an die Menschheit insgesamt, die neidische Zeit zu nutzen und sich darüber im Klaren zu sein, dass sie gerade im Begriff ist, zu entfliehen.

Hyperboreer, einst in Delphi als seliges Volk bekannt, wo alle glücklich sind, gibt es nur in der griechischen Mythologie. Wir normalen Erdlinge müssen schon selbst etwas zu unserem Glück tun.

Lasst uns damit beginnen, das Spiel ist noch nicht vorbei.

Finis coronat opus - Das Ende krönt das Werk