Rudi Kölmel im Juni 2010 i.d.F. vom 13.06.2012 

Immanuel Kant, Religionskritik

I. Allgemein

Es erscheint mir notwendig, über das Lebenswerk eines Menschen nachzudenken, der in der Wende zwischen Absolutismus bzw. aufgeklärtem Absolutismus und dem Zeitalter der Aufklärung kritische Gedanken zur Religion verfasst hat. Gleichwohl bedürfen aber auch seine Darlegungen wiederum einer kritischen Hinterfragung. Ich verstehe es so, dass der Keim der Aufklärung, die auch heute noch nicht beendet ist, sich nur weiterentwickeln kann, wenn man ständig hinterfragt, ob man es hätte noch besser machen können.

Kants (1724 - 1804) Religionskritik ist wahrlich ein schwieriges Ding, es ist von allem was zu finden.

Das im Jahre 1763 erschienene Frühwerk „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes“ zeigt einen Kant, der aus ontologischen Gründen Gott bewiesen zu haben glaubte, also nicht aus Vernunfts- oder Zweckmäßigkeitsgründen.

In der KRV (Kritik der reinen Vernunft, 1791) offenbarte er sich als Teilagnostiker, der keine vernunftsgegründete Beweisbarkeit Gottes sah, jedoch darlegte, aus subjektiven Gründen an Gott zu glauben.

In der KRP (Kritik der praktischen Vernunft, 1788) zeigte er einen relativierenden Softglauben und vertrat die Erkennbarkeit Gottes als Postulat der praktischen Vernunft und das Weiterleben nach dem Tode.

In der RGV (Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793) zückte er gegen die etablierte Kirche und die Obrigkeit ganz entscheidend den Stachel und ersetzte den geoffenbarten historischen Kirchenglauben gegen den Vernunftglauben unter Ablehnung religiöser Fetischhandlungen wie Beten, Kirchgang, Taufe oder Kommunion, den Blödsinn des Aberglaubens und den Wahnsinn der Schwärmerei.

In der Schrift (1898, Der Streit der Fakultäten) verteidigt er 5 Jahre später seine Positionen der RGV, offenbarte jedoch darin aufgrund eines gegen ihn am 1 Oktober 1794 gerichteten Religionsediktes die Verpflichtung zum religiösen Stillschweigen. Jedoch konnte er es sich nicht verkneifen, den Anspruch der Theologie auf Vormundschaft gegenüber anderen Wissenschaften grundlegend zurückzuweisen.

Kant wird allgemein als Meisterdenker angesehen, seine Satzbildung, seine Grammatik sind für Leser des 21. Jahrhunderts -gelinde gesagt- eine wirkliche Zumutung. Satzaufbau und Interpunktion seiner Originalschriften zeigen lt. Verfasser der Akademieausgabe Spuren von Verwahrlosung. Damit aber gut. Wahrscheinlich liegt es an der Beschränktheit meiner persönlichen Erkenntnisfähigkeit, die mich im Gegensatz zu manchen bedeutenden Zeitgenossen Kants nicht zum Schluss führte, sein Denken sei eine kopernikanische Wende. Tatsächlich gelesen haben es zu seiner Zeit wohl nicht sehr viele. In seiner späteren Verteidigungsschrift (Streit der Fakultäten) gegenüber dem königlichen Edikt verteidigt er sich mit genau diesem Argument. Wir werden noch darauf zurückkommen.

Soweit nun Kant in seiner Schrift vom 5.12.1783 die Aufklärung als den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit postuliert, gilt ihm insoweit meine Anklage, dass er in dem gegen die Metaphysik gerichteten Werk „Kritik der reinen Vernunft" die Glaubensfrage nicht entscheidend miteinbezogen hat. Ich unterstelle ihm, dass er um den Naturzustand des Nichtglaubens als a priori Zustand wusste, schließlich hatte er sogar Vorlesungen über Anthropologie gehalten.

Damit hätte er aber auch eindeutig die Position dafür beziehen müssen, dass Glauben nur angelerntes und weitergegebenes Wissen aus den Erfahrungen der Urhorde ist.

Dies fällt aber nicht nur mir nach über 200 Jahre nach Kants Tod auf, sondern war auch schon Gesprächsstoff zu seinen Lebzeiten.

Karl Vorländer schrieb 1924 (Immanuel Kant, der Mann und sein Werk):

„Aber auch die Berliner Aufklärer vom Schlage Nicolais fanden sich enttäuscht. Seine Kritik der reinen Vernunft hatte ihre schönen Beweise für das Dasein Gottes umgeblasen, seine praktische Vernunft ihre Nützlichkeits- und Glückseligkeitsethik überwunden, seine Kritik der Urteilskraft ihren flachen Kunsttheorien den Rest gegeben. Und nun fühlten sie sich von neuem unzufrieden, da der kritische Philosoph nicht mit alledem in Christentum und Bibel aufgeräumt hatte, was ihrem "gemeinen Menschenverstand" über die Schnur ging. "Es muß also", schrieb die 'Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek' in einer Besprechung der Schrift, "nach Kants Meinung in Sachen des Kirchenglaubens alles recht hübsch beim Alten bleiben, und die Stützen des religiösen Aberglaubens können nicht abgeschafft, sondern müssen als die unentbehrlichen Fundamente einer moralischen Religion immer beibehalten werden".

Welche Gründe mögen ihn dazu bewogen haben, auf halbem Wege stehen zu bleiben und im gleichen Atemzug nach der Zertrümmerung der Beweisbarkeit Gottes in der KRV dann plötzlich davon sprach, dass er das Wissen aufheben müsse, um Platz für den Glauben zu bekommen?

Kants Vernunftshingezogenheit erreicht in ihrer Spitzfindigkeit Höchstwerte, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er im Stillen wirklich an die Existenz eines Gottes glaubte. Vielleicht hat er aber den nach außen vorgegebenen Glauben nur benutzt, um sich an der Demontage des Gottesglaubens soweit als möglich zu versuchen. Eine Grenze, bis zu der er sich gerade noch bewegen konnte, ohne die staatliche Gewalt in der Form der Entfernung aus dem Professorenamt oder Beschränkung seiner Freiheit befürchten zu müssen.

Selbst in seinem Radikalwerk „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ließ er das Gotteskonstrukt ungeschoren, nur die Gewichtung hat er verlagert.

Im Wesentlichen wandte er sich gegen eine an der Idee orientierten devoten und geheuchelten Praxis der Gottesverehrung, statt die Tugend der Idee selbst zu leben. 46 Jahre nach seinem Tod wurde Nietzsche geboren, der mit „Antichrist“ dann auch noch die Idee zerstört hat.

Heinrich Heine hat seine Wandlung in der praktischen Vernunft dahingehend glossiert, dass Kant seinem Diener Lampe den Gott wohl nicht wegnehmen wollte. 

Ich stehe bis auf weiteres in der Überzeugung, dass ein bedingungsloses Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit auch das völlige Verwerfen des Postulats eines Gottes erfordert hätte.

Sicher ist es schwierig, aus der heutigen Zeit diesen Aspekt zu beurteilen, deshalb sei dies letztlich wohl doch etwas gnädiger zu beurteilen, denn man muss sich selbst fragen, welche Nachteile man eines Schriftsatzes wegen hinzunehmen bereit wäre.

 

II. Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763)

In dieser Frühschrift legte Kant aus ontologischer Sichtweise dar, dass mit Notwendigkeit ein höchster und erster, nicht zufälliger Weltgrund existieren muss, den er als Gott ansieht. Ein Gott existiere schon deshalb, weil eine Nichtexistenz damit gleichzeitig auch alles Sein in Frage stellen würde.

Diesen Gottesbeweis hat Kant in der "Kritik der reinen Vernunft" später aufgegeben. Ich will versuchen, dies in seine „weltliche Entwicklung“ einzuordnen. Es war nach seiner Promotion, also zu einem Zeitpunkt, wo er sich inständigst eine Professur erhoffte, die er dann erst 7 Jahre später im Jahre 1770 erhielt. Die Schrift war im Wesentlichen der Abschluss Kants naturphilosophischer Epoche seiner Magisterjahre.

 

Karl Vorländer schreibt 1924 über seinen Gottesbeweis:

„Von den sogenannten Gottesbeweisen verwirft er sowohl den des Descartes wie den der Wolffianer, die beide aus bloßen Begriffen das Dasein Gottes folgern. Aber auch der gebräuchlichste, aus der Zweckmäßigkeit der Welt — von ihm damals noch der "kosmologische" genannt — sei zwar "schön", aber ohne strenge Beweiskraft.

Nur eine gewisse Form des ontologischen, wonach die Aufhebung von Gottes Dasein alles denkbare Sein aufheben würde, will er als "einzig möglichen" Beweisgrund noch gelten lassen.

Wenn nicht, nun, "so schlaget Euch von diesem ungebahnten Fußsteige auf die große Heeresstraße der menschlichen Vernunft!" Denn, wenn es auch "durchaus nötig" ist, "dass man sich vom Dasein Gottes überzeuge", so ist es doch "nicht ebenso nötig", dass "man es demonstriere". Damit schließt das merkwürdige Buch.“

 

Was fällt bei der Schlussformulierung eigentlich auf, es ist ganz klar. Es ist nämlich eine Absage gegen jegliche Dogmatik!

Das klingt meines Erachtens nicht besonders eifrig, lässt vielmehr den Gedanken aufkommen, dass er Friedrich dem Großen etwas Butter auf den Weck schmierte, zumindest an einer Ecke. Bereits sein Hinweis auf die Vernunft lässt erkennen, dass irgendwie bereits der Keim für die KRV gelegt war.

In der Kantrezeption verweist Karl Vorländer (Kapitel II Nr. 1) bei der Beschreibung von Kants Religiosität, auf eine angeblich oft von Kant an seinen Schüler und späteren Kollegen Pörschke geäußerte Bemerkung „Er sei schon lange Magister gewesen und habe noch an keinem Satze des Christentums gezweifelt; nach und nach sei ein Stück ums andere abgefallen“.

 

III. Kritik der reinen Vernunft (KRV, 1781)

2 Jahre vor der Aufklärungsschrift legte Kant in KRV dar, das er an das Dasein Gottes und an ein künftiges Leben glaube.

Jedoch sei beides wissensmäßig nicht erkennbar. Diese Überzeugung sei nicht logische, sondern moralische Gewissheit.

 

Mit dieser Feststellung verwarf er aber immerhin sämtliche Gottesbeweise aller seiner Vordenker und auch seine eigene aus dem Jahre 1763.

 

Kurzformel der Wirkung der KRV:

 

Kant entzog dem bisherigen Dogmatismus, dass man Glauben an Gott durch Wissen beweisen kann, die Grundlage.

Die Vernunft kann allgemeine metaphysische Ideen wie Gott, Freiheit und Unsterblichkeit nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen.

 

Er schreibt:

 

„Denn da ist es schlechterdings notwendig, dass etwas geschehen muss, nämlich dass ich dem sittlichen Gesetze in allen Stücken Folge leiste. Der Zweck ist mir unumgänglich festgestellt, und es ist nur eine einzige Bedingung nach aller meiner Einsicht möglich, unter welcher dieser Zweck mit allen gesamten Zwecken zusammenhängt und dadurch praktische Gültigkeit habe, nämlich dass ein Gott und eine künftige Welt sei, ich weiß auch ganz gewiss, dass niemand andere Bedingungen kenne, die auf die selbe Einheit der Zwecke unter dem moralischen Gesetze führen. Da aber also die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, dass sie es sein soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben und bin sicher, dass diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch sittliche Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein.

Auf solche Weise bleibt uns nach Vereitelung aller ehrsüchtigen Absichten einer über die Grenzen aller Erfahrung hinaus herumschweifenden Vernunft noch genug übrig, dass wir damit in praktischer Absicht zufrieden zu sein Ursache haben. Zwar wird freilich sich niemand rühmen können : er wisse, dass ein Gott und dass ein künftig Leben sei; denn wenn er das weiß, so ist er gerade der Mann, den ich längst gesucht habe. Alles (wenn es einen Gegenstand der bloßen Vernunft betrifft) kann man mittheilen, und ich würde also auch hoffen können, durch seine Belehrung mein Wissen in so bewundrungswürdigem Maße ausgedehnt zu sehen.“

 

Nein, die Überzeugung ist nicht logische, sondern moralische Gewissheit, und da sie auf subjektiven Gründen (der moralischen Gesinnung) beruht, so muss ich nicht einmal sagen es ist moralisch gewiss dass ein Gott sei, etc., sondern : ich bin moralisch gewiss, etc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere Welt ist mit einer moralischen Gesinnung so verwebt, dass, so wenig ich Gefahr laufe, die letztere einzubüßen, eben so wenig besorge ich, dass mir der erste jemals entrissen werden könne.“

 

Die KRV wurde von der Kirche als Kriegserklärung gegen ihren Gott angesehen. Nach seinem Tode 1804 verlor die Kirche in Deutschland erst mal viel Macht durch den Reichsdeputationshauptschluss. In der Restaurationszeit war es dann soweit. Nachdem sein Werk 46 Jahre im päpstlichen Fadenkreuz war, wurde es mit Dekret vom 11.06.1827 auf den Bannindex „librorum prohibitorum“ gesetzt.

 


IV. Kritik der praktischen Vernunft (KRP, 1788)

Kant sah ohne einen unter dem Postulat der Vernunft bestehenden Gott für den Menschen wenig Möglichkeit, dass die reinen Ideen der Sittlichkeit zu einer guten Moral führen würden.

Er begründet die Unsterblichkeit der Seele und die Annahme eines Gottes wie folgt:

 

IV.1 ( KRP, Erster Teil, II. Buch, 2. Hauptstück, Kap. IV, die Unsterblichkeit der Seele)

Das höchste Gut in der Welt ist nach Kant ein Objekt, welches durch völlige Hingabe an das moralische Gesetz (vollkommene Sittlichkeit im Zustand der Glückseligkeit) Heiligkeit erlangt.

Dies sei im irdischen Dasein aber keinesfalls möglich. Die höchste moralische Vollkommenheit, zu der der Mensch fähig ist, könne nur Tugend sein. Deshalb verlangen die Prinzipien der reinen praktischen Vernunft einen ins Unendliche gehenden Progressus, der aber wiederum eine unendliche Existenz der Persönlichkeit voraussetzt, die dann letztlich eben das Postulat der Unsterblichkeit der Seele darstellt.

 

IV.2 ( KRP, Erster Teil, II. Buch, 2. Hauptstück, Kapitel V, Das Dasein Gottes als ein Postulat der praktischen Vernunft  

Kant vollführt nun den letzten Schritt zum Vernunftsglauben. Alle Wirkungen müssen eine oberste Ursache der Natur haben, nämlich den Schöpfer dieser Natur, also Gott. Diesen Gott anzunehmen sieht Kant als moralische Pflicht an.

Als direkte Folge der Veranlagung des Menschen zur Erreichung des höchsten Gutes steht die Annahme Gottes als höchste Ursache der Natur und das daraus relultierende praktische Bedürfnis des Glaubens als reiner Vernunftsglaube.

Nur Vernunft könne die Quelle von Glauben sein.

Dabei macht er klar, dass er mit Hilfe der Deduktion zu diesem Ergebnis gekommen ist.

Im Umkehrschluss postulierte Kant damit dann natürlich, dass der Offenbarungsglaube somit eben nicht die Erreichung des höchsten menschlichen Zieles, die vollkommene moralische Sittlichkeit ermögliche. Klar aussprechen wird Kant dies aber erst 5 Jahre später, nämlich 1793 in der RGV.

Jedenfalls stellt die KRV die Fortführung der Kriegserklärung gegen die etablierte Kirche dar. Er beließ es also bei einem Gott, aber nicht bei einem geoffenbarten, sondern bei einem durch Vernunft angenommenen Gott. Aber auch bereits ein Gott, der keine Kirche mehr braucht!

 

IV.3 Meine Auffassung zu Kants KRP

In der Kritik der praktischen Vernunft kehrte Kant unter Verwendung der üblichen lauen Begriffsgirlanden, die mir bereits aus den seichten Gottesbeweisen seiner Vorgänger bekannt sind, wieder zurück zum Postulat des Begriffes Gott, ohne den der Mensch keine höchste Moral erreichen könne. Dies geschieht durch Kant ruhig und unter Zuhilfenahme einiger Ideen der Antike, etwa von Platons „Staat“ oder der „Nikomachischen Ethik“ von Aristoteles.

Ich sehe es anders und möchte Kant einige Zeilen schreiben:

Lieber Herr Kant

Also mit dem Rückenwind Ihrer Kritik der praktischen Vernunft darf es nun weiter einen Gott geben, nämlich einen aus der Vernunft gedachten Gott. Ich bin deswegen aber nicht sonderlich überrascht, dass mit ihrer Mithilfe nun die Nachwelt doch noch mit einem Gott leben muss oder darf. Nietzsche bekannte einige Jahre nach Ihnen, der Gott würde vielleicht noch Tausende von Jahren in den Köpfen der Menschen sein.

Überrascht bin ich jedoch wegen ihrer apodiktischen, oberlehrerhaften Wahrheitssetzung im Kapitel 5, wo Sie auch nur die alten Geschichten gebetsmühlenartig wiederholen, nämlich alle Wirkungen „müssen“ als Schöpfer einen Gott haben.

Weshalb mussten Sie den Satz eigentlich im Indikativ abfassen, der dazu dient, einen geäußerten Sachverhalt als gegeben, tatsächlich und wirklich darzustellen? Nicht umhin heißt die deutsche Übersetzung die sogenannte Wirklichkeitsform.

Was ist an Ihrer Behauptung, es gebe einen Schöpfergott, eigentlich wirklich? Wirklich ist doch nur, dass ich ihre schriftlich abgefasste Meinung in der Form eines Buches nachlesen kann. Alles weitere von ihnen Hinzugedachte ist nur ein schlichte Spekulation, in deren Fallgrube Sie sich verstricken. Aus dieser Spekulation gründen Sie dann das Ihnen selbstgefällige Wolkenkuckuksheim.

Zu ihren Gunsten gehe ich mal davon aus, dass Sie eigentlich den Konjunktiv benützen wollten, letztlich jedoch noch den Indikativ wählten, um das festgefügte Weltbild der Herde nicht allzu sehr in Unruhe zu bringen.

Übrigens fällt mir gleich ein, dass die Erkenntnis eines Vernunftglaubens auch Denken voraussetzt. Bereits an dieser Erfordernis scheitert Ihr Vorhaben, Herr Kant. Die Wichtelschar der „Gläubigen“ möchte nämlich gar nicht denken, sondern nur Zuhören, es sich also bequem machen und die alten Geschichten erzählt bekommen.

Letztlich noch die mich wirklich sehr bewegende Frage, wozu eigentlich Ihr skizziertes gewünschtes Moralbild einer vollkommenen Sittlichkeit und Heiligkeit in der Lebenswirklichkeit führte?

Mit Lebenswirklichkeit meine ich das, was wirklich und tatsächlich um uns herum vorgeht.

85 Jahre nach Ihrem Tod, noch im gleichen Jahrhundert, wurde die Büchse der Pandora geöffnet und Adolf Hitler blinzelte zum ersten Male in die Zeit der österreichischen Apfelblüte des Jahres 1889. Trotz Neukantianismus eines Otto Liebmann, der Marburger Schule, der Südwestdeutschen Schule und des Kritizismus geschah genau das Gegenteil Ihrer Idealvorstellung, nämlich der Holocaust, der Status des moralischen und sittlichen Niedergangs.

Wo also war ihr Gott der Vernunft Herr Kant?

Ich denke, das Volk, also die Masse, hat zu keinem Zeitpunkt ihre Schriften gelesen. Herr Slotterdijk, er wurde lange nach ihnen geboren, meinte, das Projekt der Entwilderung des Menschen sei gescheitert.

Unter diesem Blickwinkel sollte sich aus der Retrospektive ihr religiöses Konstrukt als ermüdendes Geschwafel über Gespensterbegriffe erweisen.

Ihr kategorischer Imperativ war auch keine Neuerfindung des Rades, sondern war das Plagiat der altbiblischen „Goldenen Regel“.

Deshalb, lieber Herr Professor, denken Sie mal über meinen Aphorismus nach, sollten Sie mal wieder mal mit einer Wolke über mich hinwegschweben.

„Religiöse Imperative sind lediglich Placebos für „Sich-besser-Fühlen“, die jedoch wegen des anthropologischen Primatenerbes der frühen Menschen, nämlich der Veranlagung zu Gier und Furcht, nie erfüllt werden können.“

 

V.1 Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (RGV, 1793)

Kant war seit 23 Jahren ein weithin bekannter Professor für Logik und Metaphysik und die französische Revolution war gerade mal seit 4 Jahren Geschichte. Er wurde mutiger, möglicherweise dachte er, das Herrscherhaus würde wegen seiner öffentlichen Stellung als Professor nur zuschauen. Der Despotismus war aber noch nicht so weit weg, in Preussen gab es damals noch Leibeigenschaft und Folter und in der Folge von Kant sollten sich erst die sogenannten Vormärzdenker entwickeln. Friedrich der Große war tot und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II stand unter dem Einfluss kirchlicher Dogmatiker. Kant verfasste mit der RGV im Alter von 69 Jahren seine eigentliche Religionsschrift.

Darin engt er die von ihm einst erkannte Religiösität, die er noch in der praktischen Vernunft vertrat, weiter ein.

Es erscheint notwendig die einzelnen Denkschritte der RGV (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1231 RGV 1974) kurz aufzuzeigen:

 

V.1.1 Zweites Stück, Erster Abschnitt

Von dem Rechtsanspruche des guten Prinzips auf die Herrschaft über den Menschen a) personifizierte Idee des guten Prinzips

Kant beschreibt darin eine moralisch ganz vollkommene Menschheit als Weltzweck überhaupt. Der Mensch habe die Möglichkeit zur moralischen und sittlichen Vollkommenheit und die vom Himmel empfangene Uridee der Wohlgefälligkeit gegenüber Gott bereits seit Ewigkeit in sich, auch das Bewusstsein, dass das beständige Streben danach, allgemeine Menschenpflicht sei (Reclam RGV 1974 S. 74 bzw 2. Auflage 1794 S. 72-73). Im praktischen Glauben an den Sohn Gottes könne der Mensch hoffen, Gott wohlgefällig zu sein.

Ich meine:

Lieber Herr Kant. Sie, der doch behauptet, die Dinge seien nicht so wie scheinen, müsste es doch besser wissen. Wieso sollte ein tatsächlich existierender Baum, der vor mir steht, dem Wesen nach möglicherweise nicht so sein, wie ich ihn als Baum sehe, während eine gänzlich unerkennbare Uridee eines dem Menschen gegenüber Gott wohlgefälligen Wesens seit Ewigkeiten Bestandteil des Menschen sein soll?

Das ist doch ein Widerspruch in sich, der sich als schlichte Behauptung entpuppt, die keinerlei Falsifizierbarkeit zugänglich ist.

 

V.1.2 Zweites Stück, Allgemeine Anmerkungen

Kant geht hier offen gegen die sogenannten Wunder vor, das war wohl schon eine Herausforderung der Kirchenobrigkeit gegenüber.

„Wenn eine moralische Religion (die nicht in Satzungen und Observanzen, sondern in der Herzensgesinnung zur Beobachtung aller Menschenpflichten, als göttlicher Gebote zu setzen ist,) begründet werden soll, so müssen alle Wunder, die die Geschichte mit ihrer Einführung verknüpft, den Glauben an Wunder überhaupt endlich selbst entbehrlich machen, denn es verrät einen sträflichen Grad moralischen Unglaubens, wenn man den Vorschriften der Pflicht, wie sie ursprünglich ins Herz des Menschen durch die Vernunft geschrieben sind, anders nicht hinreichende Autorität zugestehen will, als wenn sie noch dazu durch Wunder beglaubigt werden.“

Die Kernaussage ist beachtlich, sie besteht in der Ansicht, dass eine Religion erst moralisch wird, wenn sie sich der Wunder entledigt.

 

V.1.3 Drittes Stück, Erste Abteilung, Kapitel IV.

Kant stellt bereits in der Überschrift des Kapitels IV zur Gemütsberuhigung der Herrschenden fest, dass die Idee eines Volkes Gottes nicht anders als in der Form einer Kirche ausgeführt werden könne.

Dabei trifft eine moralische Uridee einer unsichtbaren Kirche auf die sichtbare Kirche (Vereinigung der Menschen) und beide verschmelzen miteinander. Dann spricht er aber von einer sogenannten wahren Kirche und zählt 4 Erfordernisse auf, um das Idealbild einer wahren Kirche annehmen zu können. Bei einem kurzen Blickkontakt wird bereits klar, dass alle zu seiner Zeit existierenden Kirchen die Voraussetzungen nicht erfüllten.

Unter Nr. 1 führt er den Grundsatz der Allgemeinheit, also der numerischen Einheit der Kirche ein, die im Wesentlichen den gleichen Inhalt hat.

Nach Nr. 2 sollen für die Kirche nur moralische Grundsätze gelten, vom Blödsinn des Aberglaubens und dem Wahnsinn der Schwärmerei soll sie gereinigt werden.

Unter Nr. 3 beschreibt er das Machtverhältnis innerhalb der Kirche und zum Staat und spricht dabei der Kirche jegliche Hierarchie ab.

Dies konkretisiert er im Anschluss an Nr. 4 der Begründung für die wahre Kirche:

„Ein ethisches gemeines Wesen also, als Kirche, d.i. als bloße Repräsentantin eines Staats Gottes betrachtet, hat eigentlich keine ihren Grundsätzen nach der politischen ähnliche Verfassung. Diese ist in ihm weder monarchisch (unter einem Papst oder Patriarchen), noch aristokratisch (unter Bischöfen und Prälaten), noch demokratisch (als sektiererischer Illuminaten).“

Im evangelischen Preussen, Kant entstammt einer pietistischen Familie, ist die Ablehnung des Papsttum natürlich keine Heldentat, die völlige Ablehnung kirchlicher Hierarchie jedoch mehr als bemerkenswert und die Titulierung von Glaubenswundern als Blödsinn des Aberglaubens ist bereits sehr mutig. In anderen Landesteilen, etwa im katholischen Bayern, wäre es wahrscheinlich weniger glimpflich für ihn abgegangen, schließlich galten zu seiner Zeit noch die Festlegungen des Konzils zu Trient von 1546.

 

V.1.4 Drittes Stück, Erste Abteilung, Kapitel V.

 

Kants kritische Auffassung besteht in der Aussage, dem Menschen reiche es nicht, nach der Forderung der rein moralischen Religion aus Gründen der Vernunft einen sittlichen und reinen Lebenswandel zu führen, um dadurch ein höchstes Wesen, Gott, zu verehren.

Der Mensch habe nämlich einen Hang zu einer gottesdienstlichen Religion (cultus), deren Befolgung aber nicht das Moralische des Menschen an sich fördert. Die Kultkirche diene nur dazu, um durch Feierlichkeiten, Glaubensbekenntnisse geoffenbarter Gesetze und Beobachtung der zur Form der Kirche (die doch selbst bloß Mittel ist) gehörenden Vorschriften Gott zu dienen und sich im gefällig zu machen.

Die Kulthandlungen (Observanzen) der statutarischen Kirche seien dem Grunde nach moralisch indifferent.

„Hierdurch geschieht es nun, dass Menschen die Vereinigung zu einer Kirche und die Einigung in Ansehung der ihr zu gebenden Form, imgleichen öffentliche Veranstaltungen zur Beförderung des Moralischen in der Religion niemals für an sich notwendig halten werden; sondern nur um durch Feierlichkeiten, Glaubensbekenntnisse geoffenbarter Gesetze, und Beobachtung der zur form der Kirche (die doch selbst bloß Mittel ist), gehörigen Vorschriften, wie sie sagen, ihrem Gott dienen; obgleich alle diese Observanzen im Grunde moralisch indifferente Handlungen sind, eben darum aber, weil sie bloß um seinetwillen geschehen sollen...“

Das ist natürlich ein für damalige Verhältnisse äußerst explosive Aussage. Kants Auffassung läuft darauf hinaus, dass der Kirchenglaube im Wesentlichen nicht zu einem moralisch besseren Menschen führt.!!!!!!

 

V.1.5

Drittes Stück, Erste Abteilung, Kapitel VII

Der allmähliche Übergang Zur Alleinherrschaft des reinen Religionsglaubens ist die Annäherung des Reich Gottes

 

Die kritische Aussage lautet klar und deutlich, dass der wahre Glaube nicht der historisch geoffenbarte Kirchenglaube, sondern der durch Vernunft bestimmte Religionsglaube ist.

Den Kirchenglauben bezeichnet er als partikulär und insofern als zufällig, an wen die historische Geschichte gerade gelangt.

Damit bringt er zum Ausdruck, dass die jeweilige Religionsprägung, ob jemand zum Christentum, zum Islam oder Hinduismus hingeführt wird, beliebig und zufällig ist.

Zitat:

„Nun hat der historische Glaube (der auf Offenbarung, als Erfahrung gegründet ist) nur partikuläre Gültigkeit, für die nämlich, an welche die Geschichte gelangt ist, worauf er beruht, und enthält, wie alle Erfahrungserkenntnis, nicht das Bewußtsein, daß der geglaubte Gegenstand so und nicht anders sein müsse, sondern nur, daß er so sei, in sich; mithin enthält er zugleich das Bewußtsein seiner Zufälligkeit. Also kann er zwar zum Kirchenglauben (deren es mehrere geben kann) zulangen, aber nur der reine Religionsglaube, der sich gänzlich auf Vernunft gründet, kann als notwendig, mithin für den einzigen erkannt werden, der die wahre Kirche auszeichnet........“

Kirchenglauben kann es nach Kant viele verschiedene geben, wobei der Glaube einer gottesdienstlichen Religion ein Fron- und Lohnglaube ist, der nicht moralisch ist.

Bei einer genauen Betrachtung fällt die kritische Steigerung zu Kapitel V ins Auge. Dort spricht er noch von der moralisch indifferenten Wirkung der Kulthandlungen, in Kaptitel VIII dann schon davon, dass diese für sich gar keinen Wert haben und nur durch Furcht oder Hoffnung abgenötigt werden. Den reinen Gottesdienstglauben bezeichnete er sogar als nicht moralisch.

Alle Achtung, Herr Kant, das war schon mutig. Die Menschen wähnten sich durch den Kirchgang in der Hoffnung, zum besseren Menschen werden zu können und sie kommen daher und behaupten, der Gottesdienstglaube sei nicht moralisch, weil die Ehrerbietung ein abgenötigter Frondienst sei!

Zitat:

„Der Glaube einer gottesdienstlichen Religion ist dagegen ein Fron– und Lohnglaube (fides mercenaria, servilis), und kann nicht für den seligmachenden angesehen werden, weil er nicht moralisch ist. Denn dieser muß ein freier, auf lauter Herzensgesinnungen gegründeter Glaube (fides ingenua) sein. Der erstere wähnt durch Handlungen (des Kultus), welche (ob zwar mühsam) doch für sich keinen moralischen Wert haben, mithin nur durch Furcht oder Hoffnung abgenötigte Handlungen sind, die auch ein böser Mensch ausüben kann, Gott wohlgefällig zu werden, anstatt daß der letztere dazu eine moralisch gute Gesinnung als notwendig voraussetzt.“

Im gleichen Kapitel bezeichnet er den Kirchenglauben dann als ein dem Religionsglauben anhängendes Vehikel.

Die Kirchenglauben haben die Möglichkeit sich durch ihr Tun der Uridee einer moralisch einwandfreien sittlichen Gesinnung des durch Vernunft erkannten Religionsglaubens praktisch anzunähern. Er ließ in in seinem Werk keinerlei Zweifel daran, dass die „sichtbare Kirchen“ von seinen definierten Idealen noch sehr weit entfernt seien.

Auszug:

„Man kann aber mit Grunde sagen, dass das Reich Gottes zu uns gekommen sei, wenn auch nur das Prinzip des allmählichen Übergangs des Kirchenglaubens zur allgemeinen Vernunftreligion, und so zu einem (göttlichen) ethischen Staat auf Erden, allgemein, und irgendwo auch öffentlich Wurzel gefasst hat...“

Da bleibt Herr Kant hängen, hängen an seinem kleinen Gottesbegriff, ein Reich Gottes also soll es geben können. Nietzsche spricht vom Reich Gottes als Gespensterbegriff!

V.1.6

Drittes Stück, Zweite Abteilung

Historische Vorstellung der allmählichen Gründung

 

In der Zweiten Abteilung steigert sich Kant von Seite zu Seite. Er stellt fest, dass der Vernunftglaube keiner Begründung durch Bücher bedürfe.

Damit spricht er aber auch implizit aus, es bedürfe dann wohl auch keiner Bibel. Heraushörbar ist die Kritik, dass an der Bibel wohl viele verschiedene Menschen herumgebastelt haben (Konzilien), während sein Vernunftglaube keinerlei Heilige Schriftsteller benötigt. Bei näherem Hinsehen stelle ich fest, wie geschickt Kant taktiert hat, denn einige Absätze später wird er sich der Obrigkeit wieder durch die Erklärung annähern, die Bibel könne bei dem gegenwärtigen Zustand menschlicher Beschaffenheit weiterhin die Grundlage für den Kirchenunterricht darstellen.

Zitat:

„Aller Glaube aber, der sich als Geschichtsglaube auf Bücher gründet, hat zu seiner Gewährleistung ein gelehrtes Publikum nötig,, in welchem er durch Schriftsteller als Zeitgenossen, die in keinem Verdacht einer besonderen Verabredung mit den ersten Verbreitern desselben stehen, und deren Zusammenhang mit unserer jetzigen Schriftstellerei sich ununterbrochen erhalten hat, gleichsam kontrolliert werden könne. Der reine Vernunftglaube hingegen bedarf einer solchen Beurkundung nicht, sondern beweiset sich selbst“

Lieber Herr Kant, sagen Sie mir doch mal, inwieweit beweist er sich denn selbst, also ich meine tatsächlich und nicht irgendwann spekulativ. Die Imperative der Vernunft werden doch bis heute von den Menschen nur ansatzweise, bis zum Erkennen des Unvermögens, zögerlich angegangen.

Für mich persönlich kommt nun innerhalb der gesamten Religionskritik Kants dessen wichtigste Betrachtung, nämlich ob das Christentum zu moralisch gebesserten Menschen geführt hat. Seine Sichtweise mündete in einer großen Anklage. Die Anklage Kants beschreibt einen Glauben, der von einer Kirche (Organisation) instrumentalisiert wurde, um Gewalt und Zerstörung zu betreiben. Er äußerte klar und eindeutig, dass die Wirkung des Christentums, soweit man dies von einer moralischen Religion erwarten durfte, diesem nicht zu Empfehlung gereichte.

„Von diesem an, bis auf die Zeit, da das Christentum für sich selbst ein gelehrtes Publikum ausmachte, ist daher die Geschichte desselben dunkel, und also bleibt uns unbekannt, welche Wirkung die Lehre desselben auf die Moralität seiner Religionsgenossen tat, ob die ersten Christen wirklich moralischgebesserte Menschen, oder aber Leute von gewöhnlichem Schlage gewesen. Seitdem aber das Christentum selbst ein gelehrtes Publikum wurde, oder doch in das allgemeine eintrat, gereicht die Geschichte desselben, was die wohltätige Wirkung betrifft, die man von einer moralischen Religion mit Recht erwarten kann, ihm keineswegs zur Empfehlung. – Wie mystische Schwärmereien im Eremiten- und Mönchsleben und Hochpreisung der Heiligkeit des ehelosen Standes eine große Menschenzahl für die Welt unnütz machten; wie damit zusammenhängende vorgebliche Wunder das Volk unter einem blinden Aberglauben mit schweren Fesseln drückte; wie mit einer sich freien Menschen aufdringenden Hierarchie sich die schreckliche Stimme der Rechtgläubigkeit aus dem Munde anmaßender, alleinig berufener Schriftausleger erhob, und die christliche Welt wegen Glaubensmeinungen (in die, wenn man nicht die reine Vernunft zum Ausleger ausruft, schlechterdings keine allgemeine Einstimmung zu bringen ist) in erbitterte Parteien trennte; wie im Orient, wo der Staat sich auf eine lächerliche Art selbst mit Glaubensstatuten der Priester und dem Pfaffentum befaßte, anstatt sie in den engen Schranken eines bloßen Lehrstandes (aus dem sie jederzeit in einen regierenden überzugehen geneigt sind) zu halten, wie, sage ich, dieser Staat endlich auswärtigen Feinden, die zuletzt seinem herrschenden Glauben ein Ende machten, unvermeidlicher Weise zur Beute werden musste; wie im Okzident, wo der Glaube seinen eigenen, von der weltlichen Macht unabhängigen Thron errichtet hat, von einem angemaßten Statthalter Gottes die bürgerliche Ordnung samt den Wissenschaften (welche jene erhalten) zerrüttet und kraftlos gemacht wurden; wie beide christliche Weltteile, gleich den Gewächsen und Tieren, die, durch eine Krankheit ihrer Auflösung nahe, zerstörende Insekten herbeilocken, diese zu vollenden, von Barbaren befallen wurden; wie in dem letztern jenes geistliche Oberhaupt Könige, wie Kinder, durch die Zauberrute seines angedrohten Bannes beherrschte, und züchtigte, sie zu, einen andern Weltteil entvölkernden, auswärtigen Kriegen (den Kreuzzügen), zur Befehdung untereinander, zur Empörung der Untertanen gegen ihre Obrigkeit, und zum blutdürstigen Hass gegen ihre anders denkenden Mitgenossen eines und desselben allgemeinen so genannten Christentums aufreizte; wie zu diesem Unfrieden, der auch jetzt nur noch durch das politische Interesse von gewalttätigen Ausbrüchen abgehalten wird, die Wurzel in dem Grundsatze eines despotisch gebietenden Kirchenglaubens verborgen liegt, und jenen Auftritten ähnliche noch immer besorgen lässt: – diese Geschichte des Christentums (welche, sofern es auf einem Geschichtsglauben errichtet werden sollte, auch nicht anders ausfallen konnte), wenn man sie als ein Gemälde unter einem Blick fasst, könnte wohl den Ausruf rechtfertigen: tantum religio potuit suadere malorum! wenn nicht aus der Stiftung desselben immer doch deutlich genug hervorleuchtete, dass seine wahre erste Absicht keine andre, als die gewesen sei, einen reinen Religionsglauben, über welchen es keine streitende Meinungen geben kann, einzuführen, alles jenes Gewühl aber, wodurch das menschliche Geschlecht zerrüttet ward, und noch entzweiet wird, bloß davon herrühre, dass durch einen schlimmen Hang der menschlichen Natur, was beim Anfange zur Introduktion des letztern dienen sollte, nämlich die an den alten Geschichtsglauben gewöhnte Nation durch ihre eigene Vorurteile für die neue zu gewinnen, in der Folge zum Fundament einer allgemeinen Weltreligion gemacht worden.“

Anmerkung:

Kants Verweis „tantum religio potuit suadere malorum!“ hat er aus dem Werk „De rerum natura“ I,1 von Lukrez entliehen, was in etwa besagt: „Zu so viel Schlechtem konnte die Religion verleiten“.

Seine weitere Kritik in der Dritten Abteilung richtet sich in den Anmerkungen auf die auf Geschichte beruhenden Glaubenssätze, ohne solche aber wirklich im Detail zu benennen. Im Kontext wird aber erkennbar, dass er beispielsweise die Schöpfung der Welt in 6 Tagen oder Marias Geburt ohne Empfängnis damit meinte. Die Seelenhirten als Bewahrer der Rechtgläubigkeit würden zur Aufrechterhaltung der aufgedrungenen Sätze des Fronglaubens keine Abweichler zulassen und immer versuchen, die Gläubigen durch Schreckensdarstellungen so zu beinflussen, dass diese erst gar nicht an Kritik denken.

Auszug:

„Denn wegen des Hanges des Menschen zum gottesdienstlichen Fronglauben....ist es den Bewahrern der Rechtgläubigkeit als Seelenhirten jederzeit leicht, ihrer Herde ein frommes Schrecken vor der mindesten Abweichung von gewissen auf Geschichte beruhenden Glaubenssätzen und selbst vor aller Untersuchung dermaßen einzujagen, dass sie sich nicht getrauen, auch nur in Gedanken wieder die ihnen aufgedrungenen Sätze in sich aufsteigen zu lassen.“

Lieber Herr Kant,

In der dritten Abteilung wird wieder mal ihr einerseits kritisierendes und gleich darauf wieder anbiederndes Denken erkennbar. Nach der größten Anklage ihrer Zeit, , gestehen sie wenige Sätze weiter zu, dass die Bibel bis auf Weiteres Grundlage des Kirchenunterrichts bleiben könne, der Glaube daran jedoch keinem Menschen aufgedrängt werden solle.

Immerhin waren Sie mit der schonungslosen Aufdeckung der kriminalgeschichtlichen Wirkung des Christentums ihrer Zeit weit voraus und dürfen mit ihren Grundgedanken der Aufarbeitung des christlichen Unrechts als eine Art Vorgänger von Deschner bezeichnet werden.

V.1.7

Viertes Stück, Einleitung

 

Im Vierten Stück geht Kant wieder aggressiv die Trennung zwischen dem statutarisch-historischen Kirchenglauben und dem reinen Religionsglauben an. Dabei verknüpft er den Begriff des Kirchenglaubens mit dem Begriff „ gesetzliche Diener“ und „Beamte (=Priester)“, die in einem Vernunftglauben nicht erforderlich sind. Dort sollen nur noch die Gläubigen die Diener sein. Damit kristalliert sich heraus, dass Kants Vernunftglaube einer Idee, der etablierte Kirchenglaube jedoch einer Organisation bedarf. Menschen, die sich der Annäherung an den Vernunftglauben verweigern, leisten in der historischen und statutarischen Kirche nur einen „Afterdienst“ (Cultus spurius).

 

V.1.8

Viertes Stück, Erster Teil

 

Kant steigert sich im Vierten Stück, Erster Teil, indem er unter Verweisung auf Matthäus die Intention des Religionsstifters (er erwähnt nirgends das Wort Jesus) den späteren Gegebenheiten der Kirche gegenüberstellt. Implizit war dies Kants Aussage, dass die kirchlichen Würdenträger zum großen Teil Dinge praktizieren, die von Jesus unmöglich gewollt sein konnten. Ohne wiederum den Namen zu nennen, zitiert wurde von ihm Matthäus V, 22, meinte er mit Sicherheit die Beichte. Eine weitere Angriffsspitze war die Erwähnung des religiösen Eides als bürgerliches Erpressungsmittel.

Ich fasse seine Ansicht in einem Satz zusammen:

Jesus wollte keine Erfüllung bürgerlicher oder statutarischer Kirchenpflichten, sondern die moralisch reine Herzensgesinnung der Menschen.

Der Originaltext scheint mir so wichtig, dass er auszugsweise zu zitieren ist:

„Zuerst will er, dass nicht die Beobachtung äußerer bürgerlicher oder statutarischer Kirchenpflichten, sondern nur die reine moralische Herzensgesinnung den Menschen Gott wohlgefällig machen könne, (Math. V, 20-48)“

..............“dass ein dem Nächsten zugefügtes Unrecht nur durch Genugtuung an ihm selbst, nicht durch gottesdienstliche Handlungen könne vergütet werden (V.22), und im Punkte der Wahrhaftigkeit, das bürgerliche Erpressungsmittel, der Eid, der Achtung für die Wahrheit selbst Abbruch tue (V.34-37);“

 

V.1.9

Viertes Stück, Zweiter Teil, (Einleitung)

Vom Afterdienst Gottes in einer statutarischen Religion

 

 

Kant beschreibt in der Einleitung zunächst, dass die Kirchen mit dem praktizierten Kirchenglauben einen falschen Weg gehen. In § 1 untersucht er sodann die Gründe, um in § 2 wieder die Medizin zu verabreichen, den reinen Vernunftglauben natürlich.

 

Kant wetzt bereits in der Einleitung im Zweiten Teil des Vierten Stückes die Messer und bezeichnet den zu seiner Zeit ausgeübten Kirchenglauben unberblümt als Religionswahn. Er betonte, die alleinige wahre Religion enthalte Gesetze, deren Notwendigkeit man sich durch die Vernunft klarmachen können; es gebe verschiedene gleich gute Kirchen. Eine Kirche aber, die die Befolgung von Statuten (für göttlich gehalten Verordnungen) als wesentlich für das göttliche Wohlgefallen ansehe, würde den Religionswahn fördern. Diesen Religionswahn nennt er „Afterdienst ‚Gottes“, eine vermeintliche Verehrung, die Gott eigentlich nicht wolle (sh. auch Viertes Stück, Erster Teil, Verweisung auf Matthäus V.) Kant geht aber nun listigerweise nicht so weit, die gleich guten Kirchen zu nennen.

 

V.1.10

Viertes Stück, Zweiter Teil, § 2

Das dem Religionswahne entgegengesetzte moralische Prinzip der Religion

 

Nach dem Kant im Dritten Stück, Erste Abteilung, Kapitel VII, den reinen Kirchenglauben als nicht moralisch bezeichnete, stellt er in § 2 des Vierten Stückes, Zweiter Teil die Medizin zur Verfügung. Nach seiner Auffassung sei dies das dem Religionswahn entgegengesetzte moralische Prinzip der Religion. Dies könne nur der reine Vernunftglaube sein.

 

Ferner führt er eine Spitze gegen den Wahrheitsgehalt der durch die Bibel geoffenbarten „Heiligen Geschichte“, deren unbedingtes Befolgen ein durch Furcht abgerungener Frondienst sei. Damit nimmt er den Gedanken des Dritten Stückes in den Anmerkungen zu „Historische Vorstellung der allmählichen Gründung“ wieder auf, wo er bereits -ohne direkte Bennenung- die Schöpfungsgeschichte und die jungfräuliche Geburt Marias kritisierte (IV.3.5.6).

Kant war mit der Kritik an dem geoffenbarten Wahrheitsgehalt der Bibel seiner Zeit um 271 Jahre voraus. Was würde er wohl dazu sagen, hätte er das Ende des 2. Vatikanischen Konzils im Jahre 1964 noch erleben können. In diesem Konzil verabschiedete sich der Katholizismus nämlich davon, dass die Bibel Gottes „Gottes Wort“ sei. Ab diesem Zeitpunkt enthält die Bibel nur noch insoweit Gottes Wort, soweit es als solches erkannt wird. Die Saat für diesen ersten Vernunftschritt hatte sicherlich auch Kant gelegt, Darwin hat nicht viele Jahre nach Kant den Beweis geführt.

Auszug Kant:

„Ich nehme erstlich folgenden Satz, als einen keines Beweises benötigten Grundsatz an: alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes. – Ich sage, was der Mensch tun zu können glaubt; denn, ob nicht über alles, was wir tun können, noch in den Geheimnissen der höchsten Weisheit etwas sein möge, was nur Gott tun kann, um uns zu ihm wohlgefälligen Menschen zu machen, wird hierdurch nicht verneinet. Aber, wenn die Kirche ein solches Geheimnis etwa als offenbart verkündigen sollte, so wird doch die Meinung, daß diese Offenbarung, wie sie uns die heilige Geschichte erzählt, zu glauben, und sie (es sei innerlich oder äußerlich) zu bekennen, an sich etwas sei, dadurch wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Religionswahn sein. Denn dieses Glauben ist, als inneres Bekenntnis seines festen Fürwahrhaltens, so wahrhaftig ein Tun, das durch Furcht abgezwungen wird, daß ein aufrichtiger Mensch eher jede andere Bedingung als diese eingehen möchte, weil er bei allen andern Frondiensten allenfalls nur etwas Überflüssiges, hier aber etwas dem Gewissen in einer Deklaration, von deren Wahrheit er nicht überzeugt ist, Widerstreitendes tun würde.“

 

V.1.11

Viertes Stück, Zweiter Teil, § 3

Vom Pfaffentum als einem Regiment im Afterdienst des guten Prinzips

 

Kant hat auch Vorlesungen in Anthropologie gehalten, dies wird in § 3 des Zweiten Teils deutlich, der auch gleich mit der für seine Zeit ungeheuerlichen Feststellung beginnt, dass der Kirchendienst aus dem Götzen- bzw. Tempeldienst hervorgegangen sei. Kant schließt dem gleich die nächste Spitze an, indem er den Kirchenglauben als für nur provisorisch erklärt, bis er vom reinen Religionsglauben abgelöst wird.

„Die Verehrung mächtiger unsichtbarer Wesen, welche dem hülflosen Menschen durch die natürliche auf dem Bewußtsein seines Unvermögens gegründete Furcht abgenötigt wurde, fing nicht sogleich mit einer Religion, sondern von einem knechtischen Gottes-(oder Götzen-) Dienste an, welcher, wenn er eine gewisse öffentlichgesetzliche Form bekommen hatte, ein Tempeldienst, und nur, nachdem mit diesen Gesetzen allmählich die moralische Bildung der Menschen verbunden worden, ein Kirchendienst wurde: denen beiden ein Geschichtsglaube zum Grunde liegt, bis man endlich diesen bloß für provisorisch, und in ihm die symbolische Darstellung und das Mittel der Beförderung eines reinen Religionsglaubens, zu sehen angefangen hat.“

Am Ende von § 3 des Vierten Stücks, Zweiter Teil, eine wiederholte Zusammenfassung seiner Anklage über eine Kirche, die auf einem geoffenbarten Geschichtsglauben bestehe und für die moralische Besserung die Beachtung eines „ganzen Krams“ von Statuten, Glaubensregeln und Observanzen für erforderlich halte. Kants Antwort ist die, dass eine solche Kirche den Dienst Gottes mit diesem bloßen Fetischmachen in einen Afterdienst Gottes (vermeintliche Gottesverehrung) verwandle, der alle Bestrebungen zu einem vernunftbedingten Religionsglauben zunichte mache. Der Kirchenglauben lege durch das Handeln des Pfaffentums statt des freien Dienstes an Gott den Menschen das Joch des Fetischdienstes auf, wobei nicht sittliches Handeln im Vordergrund stehe, sondern die formelhafte Befolgung vielerlei Gebote und Regeln, die an sich moralisch indifferent seien.

Auszug:

„Wer also die Beobachtung statutarischer einer Offenbarung bedürfenden Gesetze als zur Religion notwendig, und zwar nicht bloß als Mittel für die moralische Gesinnung, sondern als die objektive Bedingung, Gott dadurch unmittelbar wohlgefällig zu werden, voranschickt, und diesem Geschichtsglauben die Bestrebung zum guten Lebenswandel nachsetzt (anstatt daß die erstere als etwas, was nur bedingterweise Gott wohlgefällig sein kann, sich nach dem letzteren, was ihm allein schlechthin wohlgefällt, richten muß), der verwandelt den Dienst Gottes in ein bloßes Fetischmachen, und übt einen Afterdienst aus, der alle Bearbeitung zur wahren Religion rückgängig macht. So viel liegt, wenn man zwei gute Sachen verbinden will, an der Ordnung, in der man sie verbindet! – In dieser Unterscheidung aber besteht die wahre Aufklärung; der Dienst Gottes wird dadurch allererst ein freier, mithin moralischer Dienst. Wenn man aber davon abgeht, so wird. statt der Freiheit der Kinder Gottes, dem Menschen vielmehr das Joch eines Gesetzes (des statutarischen) auferlegt, welches dadurch, daß es als unbedingte Nötigung, etwas zu glauben, was nur historisch erkannt werden, und darum nicht für jedermann überzeugend sein kann, ein für gewissenhafte Menschen noch weit schwereres Joch ist, als der ganze Kram frommer auferlegter Observanzen immer sein mag, bei denen es genug ist, daß man sie begeht, um mit einem eingerichteten kirchlichen gemeinen Wesen zusammen zu passen, ohne daß jemand innerlich oder äußerlich das Bekenntnis seines Glaubens ablegen darf, daß er es für eine von Gott gestiftete Anordnung halte: denn durch dieses wird eigentlich das Gewissen belästigt.

Das Pfaffentum ist also die Verfassung einer Kirche, sofern in ihr ein Fetischdienst regiert, welches allemal da anzutreffen ist, wo nicht Prinzipien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche desselben ausmachen. Nun gibt es zwar manche Kirchenformen, in denen das Fetischmachen so mannigfaltig und so mechanisch ist, daß es beinahe alle Moralität, mithin auch Religion zu verdrängen, und ihre Stelle vertreten zu sollen, scheint, und so ans Heidentum sehr nahe angrenzt; allein auf das Mehr oder Weniger kömmt es hier nicht eben an, wo der Wert oder Unwert auf der Beschaffenheit des zu oberst verbindenden Prinzips beruht.“

Hier kommt wieder die sehr feine Annäherung Kants an die aus seiner Sicht gerade noch vertretbare Religionskritik zum Vorschein. Äußerst geschickt kritisiert er „manche“ Kirchenformen, die seiner Meinung nach an das Heidentum angrenzen, ohne diese jedoch explizit zu benennen. Dabei ist es freilich klar, dass er eben die Kirchenformen meinte, die ihn umgaben.

Dann steigert sich Kant in § 3 nochmals, nicht nur unmerklich, sondern deutlich. Er bezeichnet den Kirchenglauben als despotisch und bezichtigt den Klerus, mit der Auslegung er Glaubensvorschriften eine Gewaltherrschaft auszuüben, die sogar die Herrschaft über den Staat beinhaltet.

Auszug:

„Die Verfassung derselben (Hierarchie) mag monarchisch, oder aristokratisch, oder demokratisch sein: das betrifft nur die Organisation; die Konstitution derselben ist und bleibt doch unter allen diesen Formen immer despotisch. Wo Statute des Glaubens zum Konstitutionalgesetz gezählt werden, da herrscht ein Klerus, der der Vernunft, und selbst zuletzt der Schriftgelehrsamkeit gar wohl entbehren zu können glaubt, weil er als einzig autorisierter Bewahrer und Ausleger des Willens des unsichtbaren Gesetzgebers die Glaubensvorschrift ausschließlich zu verwalten die Autorität hat, und also, mit dieser Gewalt versehen, nicht überzeugen, sondern nur befehlen darf. – Weil nun, außer diesem Klerus alles übrige Laie ist (das Oberhaupt des politischen gemeinen Wesens nicht ausgenommen): so beherrscht die Kirche zuletzt den Staat, nicht eben durch Gewalt, sondern durch Einfluß auf die Gemüter, überdem auch durch Vorspiegelung des Nutzens, den dieser vorgeblich aus einem unbedingten Gehorsam soll ziehen können, zu dem eine geistige Disziplin selbst das Denken des Volks gewöhnt hat; wobei aber unvermerkt die Gewöhnung an Heuchelei die Redlichkeit und Treue der Untertanen untergräbt, sie zum Scheindienst auch in bürgerlichen Pflichten abwitzigt, und, wie alle fehlerhaft genommene Prinzipien, gerade das Gegenteil von dem hervorbringt, was beabsichtigt war.“

V.1.12

Viertes Stück, Allgemeine Anmerkungen

 

Hier nimmt Kant seine Gedanken der Allgemeinen Anmerkungen zum Zweiten Stück wieder auf und setzt sich massiv mit dem von ihm vorgefundenen Wahnglauben auseinander. Kant glaubt zu erkennen, dass der wahre (moralische) Dienst Gottes ein Dienst im Herzen ist, der sich auf das Sittlichgute richtet. Dieser Weg werde aber vom Menschen als zu beschwerlich angesehen, deshalb sucht er sich einen Schleichweg. So habe sich der Mensch in allen Glaubensarten gewisse Gebräuche als Gnadenmittel ausgedacht, um sich durch die Erfüllung dieser Förmlichkeiten Gott wohlgefällig und gnädig zu machen. In der Folge dieses Tuns werde schließlich die Befolgung von Förmlichkeiten als der wahre Dienst Gottes gehalten. In diesem Zustand wolle der Mensch aber nicht mehr erkennen, dass ein Glaube an die Erfüllung von Förmlichkeiten, der weder nach Natur- noch nach moralischen Vernunftgesetzten etwas bewirken kann, nur ein Fetischglaube ist. Entgegen seinen oft langatmigen und nur schwer verfolgbaren Darlegungen überrascht Kant in den allgemeinen Anmerkungen des Vierten Stücks mit einer klaren Gliederung. Kurz und knackig führt er zunächst 4 Arten des „angeblichen Dienstes Gottes“ auf:

1. das Gebet, 2. die äußere Ausbreitung durch den Kirchgang 3. die Fortpflanzung des Glaubens auf die Nachkommenschaft durch die Taufe, 4. die Erhaltung der Gemeinschaft durch öffentliche Förmlichkeiten wie Kommunion.

Auszug:

„Dieser angebliche Dienst Gottes, auf seinen Geist und seine wahre Bedeutung, nämlich eine dem Reich Gottes in uns und außer uns sich weihende Gesinnung, zurückgeführt, kann selbst durch die Vernunft in vier Pflichtbeobachtungen eingeteilt werden, denen aber gewisse Förmlichkeiten, die mit jenen nicht in notwendiger Verbindung stehen, korrespondierend beigeordnet worden sind; weil sie jenen zum Schema zu dienen, und so unsere Aufmerksamkeit auf den wahren Dienst Gottes zu erwecken und zu unterhalten, von alters her für gute sinnliche Mittel befunden sind. Sie gründen sich insgesamt auf die Absicht, das Sittlichgute zu befördern. 1) Es in uns selbst fest zu gründen, und die Gesinnung desselben wiederholentlich im Gemüt zu erwecken (das Privatgebet). 2) Die äußere Ausbreitung desselben, durch öffentliche Zusammenkunft an dazu gesetzlich geweiheten Tagen, um daselbst religiöse Lehren und Wünsche (und hiermit dergleichen Gesinnungen) laut werden zu lassen, und sie so durchgängig mitzuteilen (das Kirchengehen). 3) Die Fortpflanzung desselben auf die Nachkommenschaft; durch Aufnahme der neueintretenden Glieder in die Gemeinschaft des Glaubens, als Pflicht, sie darin auch zu belehren (in der christlichen Religion die Taufe). 4) Die Erhaltung dieser Gemeinschaft durch eine wiederholte öffentliche Förmlichkeit, welche die Vereinigung dieser Glieder zu einem ethischen Körper, und zwar nach dem Prinzip der Gleichheit ihrer Rechte unter sich und des Anteils an allen Früchten des Moralischguten fortdauernd macht (die Kommunion).

Alles Beginnen in Religionssachen, wenn man es nicht bloß moralisch nimmt, und doch für ein an sich Gott wohlgefällig machendes, mithin durch ihn alle unsere Wünsche befriedigendes Mittel ergreift, ist ein Fetischglaube, welcher eine Überredung ist: daß, was weder nach Natur– noch nach moralischen Vernunftgesetzen irgend etwas wirken kann, doch dadurch allein schon das Gewünschte wirken werde, wenn man nur festiglich glaubt, es werde dergleichen wirken, und dann mit diesem Glauben gewisse Förmlichkeiten verbindet. Selbst, wo die Überzeugung: daß alles hier auf das Sittlichgute, welches nur aus dem Tun entspringen kann, ankomme, schon durchgedrungen ist, sucht sich der sinnliche Mensch doch noch einen Schleichweg, jene beschwerliche Bedingung zu umgehen, nämlich, daß, wenn er nur die Weise (die Förmlichkeit) begeht, Gott das wohl für die Tat selbst annehmen würde; welches denn freilich eine überschwängliche Gnade desselben genannt werden müßte, wenn es nicht vielmehr eine im faulen Vertrauen erträumte Gnade, oder wohl gar ein erheucheltes Vertrauen selbst wäre. Und so hat sich der Mensch in allen öffentlichen Glaubensarten gewisse Gebräuche als Gnadenmittel ausgedacht, ob sie gleich sich nicht in allen, so wie in der...... „

Kants zwei Hauptkritiken an den Gnadenmitteln möchte ich näher betrachten:

1. Das Beten

Kant bezeichnet etwa das Beten als abergläubischen Wahn und Fetischmachen, als ein innerer Gesinnungsakt gegenüber Gott, ohne dass dadurch aber irgendwelche auferlegten göttlichen Gebote tatsächlich erfüllt werden.

Wo verlangt ein Gott eigentlich, dass er angebetet werden möchte?

Auszug:

„Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloß erklärtes Wünschen, gegen ein Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird.“

2. Der Kirchgang

Er bezeichnet den Kirchgang direkt als Wahn. Er stellt darauf ab, dass die Zurschaustellung einer äußeren Anständigkeit auch einem moralisch schlechten Menschen möglich sei, der durch den Kirchgang seiner niederen Gesinnung einen betrügerischen Anstrich versehe.

Auszug:

„ Aber es an sich als Gnadenmittel brauchen zu wollen, gleich als ob dadurch Gott unmittelbar gedient, und mit der Zelebrierung dieser Feierlichkeit (einer bloßen sinnlichen Vorstellung der Allgemeinheit der Religion) Gott besondere Gnaden verbunden habe, ist ein Wahn, der zwar mit der Denkungsart eines guten Bürgers in einem politischen gemeinen Wesen und der äußern Anständigkeit gar wohl zusammen stimmt, zur Qualität desselben aber, als Bürger im Reiche Gottes, nicht allein nichts beiträgt, sondern diese vielmehr verfälscht, und den schlechten moralischen Gehalt seiner Gesinnung den Augen anderer, und selbst seinen eigenen, durch einen betrüglichen Anstrich zu verdecken dient“.

Ganz zum Schluss noch mal eine kant`sche Replik auf die Menschen die trotz der Gnadenwirkungen von Beten, Kirchgang, Taufe oder Kommunion , mit denen diese angeblich Gott näher gekommen oder ihn persönlich erfahren haben sollen, eben nicht zu besseren Menschen werden. Er bezeichnet sie als vermeintliche Himmelsgünstlinge, die lediglich einem schwärmerischen Wahn unterliegen.

Auszug:

„Wenn der Wahn dieses vermeinten Himmelsgünstlings bis zur schwärmerischen Einbildung gefühlter besonderer Gnadenwirkungen in ihm steigt (bis sogar zur Anmaßung der Vertraulichkeit eines vermeinten verborgenen Umgangs mit Gott), so ekelt ihm gar endlich die Tugend an, und wird ihm ein Gegenstand der Verachtung; daher es denn kein Wunder ist, wenn öffentlich geklagt wird: daß Religion noch immer so wenig zur Besserung der Menschen beiträgt, und das innere Licht (»unter dem Scheffel«) dieser Begnadigten nicht auch äußerlich, durch gute Werke, leuchten will, und zwar (wie man nach diesem ihrem Vorgeben wohl fodern könnte) vorzüglich vor anderen natürlich-ehrlichen Menschen, welche die Religion nicht zur Ersetzung, sondern zur Beförderung der Tugendgesinnung, die in einem guten Lebenswandel tätig erscheint, kurz und gut in sich aufnehmen.“

 

 

IV.2 Kurzformel der Wirkungen der RGV (1793)

Der Begriff Gott wird von Kant so gesehen, dass er nicht mit den Sinnen oder durch Erfahrungsvermittlung (kindliche Indoktrination, schlichtes Weitererzählen) erkannt werden muss, sondern als Urbild oder Idee der menschlichen Vernunft zugrunde liegt, dadurch der Mensch zu einer sittlich gereiften Vollkommenheit und die Moral erfüllenden Lebensweise gelangt.

Kant verschwendet in diesem Werk keine Zeit und holt zu einem für die Kirche und damit auch für den Staat nicht akzeptierbaren Schlag aus, nämlich zu einer aggressiven Trennung zwischen einem zu überwindenden Kirchenglauben (historisch geoffenbart und weitergegeben durch eine sichtbare Kirche (statutarische Gesetze, Rituale, Kram von Observanzen) und einem reinen Religionsglauben (gestützt auf Vernunft und Moral).

Gott gehört für Kant nicht in den Bereich der Metaphysik, sondern ist ein Begriff der Moral. Nicht ein irrationaler Glaube steht im Mittelpunkt der Vernunftreligion, sondern die sittliche Lebensführung. Diese Vernunftreligion erschließt sich freien Menschen aufgrund eigener Überlegungen. Demgegenüber erweisen sich die geoffenbarten Wunder und statuarischen Nötigungen durch das Pfaffentum als reines Fetischmachen und letztlich als Frondienst. Da die Vernunftreligion keinen persönlichen Gott und keiner Offenbarung bedarf, benötigt sie auch keine Kirchen, keine Gottesdienste, keine Beichten und schon gar keine Wunder. Alles, was der Mensch außer dem guten Lebenswandel tue, um Gott wohlgefällig zu sein , sei bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes (vermeintlich notwendige Gottesverehrung).

Damit wird klar, dass sich Kants Religionskritik zunächst nicht als Glaubenskritik, sondern als Kirchenkritik erweist.

Die grausamste aber auch ehrlichste Einschätzung Kants ist die, dass es dem Kirchenglauben nicht darum geht, einen sittlich guten Menschen zu erziehen, sondern diesen in ein zu beachtendes Regelwerk einzubinden und dadurch die Macht zu erhalten.

Demgegenüber gehe es dem Kirchenglauben nicht um einen Dienst im Herzen, der wahrhaft Sittliche sei aus der Sicht der Kirche der Gehorsame und Demütige. Hierfür sei ein System von Förmlichkeiten ( Beten, Kirchgang Taufe, Kommunion) geschaffen worden.

Da die Menschen das wahrhaft Sittliche gar nicht erreichen können, spiegelt die Kirche vor, die peinliche Erfüllung der Förmlichkeiten (Surrogate) sei der wahre Dienst Gottes und führe zum wahrhaft Sittlichen.

Er kommt nämlich zum Ergebnis, dass schon die ersten Christen nicht die moralisch besseren Menschen waren. Auch danach würde die Gewaltgeschichte dem Glauben nicht zur Ehre gereichen.

Die Werkzeuge des Kirchenglaubens, der Klerus, würde über die Auslegung der Glaubensvorschriften eine Gewaltherrschaft ausüben, auch dadurch sei er despotisch (Viertes Stück, Zweiter Teil, § 3). Diese Darlegung unterstreicht er ein weiteres Mal in den Allgemeinen Anmerkungen zum Vierten Stück, wo er das Pfaffentum wegen des alleinigen Besitzanspruchs über die Gnadenmittel bezichtigt, eine usurpierte Herrschaft über die Gemüter auszuüben.

Im Vierten Stück wird aber auch deutlich, dass er nicht nur die Kirche, sondern auch den Menschen kritisiert. Der Mensch würde erkennen, dass es viel zu mühsam ist, die tatsächlichen Gebote Gottes zu erfüllen, deshalb nehme er den vom Pfaffentum angebotenen Fetischdienst (Gnadenmittel) dankbar an, um durch den Schleichweg eines übereifrigen Frondienstes eine vermeintliche Gottesverehrung zu praktizieren. Kant gibt sinnbildlich zu erkennen, dass dem Menschen die zur Schau gestellte Frömmigkeit wichtiger sei als gelebte Tugend.

Die Darstellung, dass der von ihm vorgefundene Kirchenglaube zu überwinden sei, musste von der etablierten Politik und der Kirche trotz des persönlichen Bekenntnisses Kants zu Gott als Kriegserklärung angesehen werden. Zweihundert Jahre früher wäre Kant dafür auf dem Scheiterhaufen gestorben.

 

VI. Streit der Fakultäten (1794)

VI.1 Religionsedikt vom 31.10.1794 gegen Kant

Es musste so kommen, wie es auch ein paar Jahre später Fichte ereilt hat, König Friedrich Wilhelm II erließ 1794 ein Religionsedikt gegen Kant. Kant arbeitete das Edikt nebst seiner Antwort in das Werk „Streit der Fakultäten“ ein. Wilhelm der II folgte nach dem Tode Friedrichs des Großen im Jahre 1986 und tauschte am 3 Juli 1788 den freisinnigen Justizminister Zedlitz gegen den religionsdogmatischen Woellner aus, der auch bereits am 9. Juli sein erstes allgemeines Religionsedikt erließ. Nach Kants Werk „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernuft“ traf es diesen dann gezielt im Religionsedikt vom 31. Oktober 1794.

Auszug:

„Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm, König von Preußen
etc. etc.

Unsern gnädigen Gruß zuvor. Würdiger und Hochgelehrter, lieber Getreuer! Unsere höchste Person hat schon seit geraumer Zeit mit großem Mißfallen ersehen: wie Ihr eure Philosophie zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christenthums mißbraucht; wie Ihr dieses namentlich in Eurem Buch: "Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft," desgleichen in anderen, kleineren Abhandlungen gethan habt. Wir haben uns zu Euch eines Besseren versehen, da Ihr selbst einsehen müsset, wie unverantwortlich Ihr dadurch gegen Eure Pflicht als Lehrer der Jugend und gegen Unsere Euch sehr wohl bekannte landesväterliche Absichten handelt. Wir verlangen des ehsten Eure gewissenhafteste Verantwortung und gewärtigen uns von Euch bei Vermeidung Unserer höchsten Ungnade, daß Ihr Euch künftighin Nichts dergleichen werdet zu Schulden kommen lassen, sondern vielmehr Eurer Pflicht gemäß Euer Ansehen und Eure Talente dazu anwenden daß Unsere landesväterliche Intention je mehr und mehr erreicht werde; widrigenfalls Ihr Euch bei fortgesetzter Renitenz unfehlbar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen habt.

Sind Euch mit Gnade gewogen. Berlin, den 1. October 1794
Auf Seiner Königl. Majestät
allergnädigsten Specialbefehl
Woellner“

ab extra - Dem würdigen und hochgelahrten, Unserem Professor, auch
lieben, getreuen Kant
zu
Königsberg
in Preußen
praesentat. d. 12. Oct. 1794

Kant hat diese unmissverständliche Drohung verstanden und zunächst einmal devot das Haupt gebeugt. Im weiteren Verlauf sind bei mir jedoch Fragen der Ungereimtheit entstanden. Ich werde noch darauf zurückkommen.

VI.2 Kants Reskript

Kant hat ein Rescript verfasst und seine Verteidigung auf einige wesentliche Punkte bezogen

1. Sein Buch habe sich nicht an das Volk gerichtet

„Daß ich auch nicht etwa als Volkslehrer, in Schriften, namentlich nicht im Buche: "Religion innerhalb den Gränzen etc.," mich gegen die allerhöchste, mir bekannte landesväterliche Absichten vergangen, d. i. der öffentlichen Landesreligion Abbruch gethan habe; welches schon daraus erhellt, daß jenes Buch dazu gar nicht geeignet, vielmehr für das Publicum ein unverständliches, verschlossenes Buch und nur eine Verhandlung zwischen Facultätsgelehrten vorstellt, wovon das Volk keine Notiz nimmt;“

2. er habe nicht das Christentum, sondern die natürliche Religion bewertet.
Daß ich dem genannten Buche, weil es gar keine Würdigung des Christenthums enthält, mir auch keine Abwürdigung desselben habe zu Schulden kommen lassen: denn eigentlich enthält es nur die Würdigung der natürlichen Religion. Die Anführung einiger biblischer Schriftstellen zur Bestätigung gewisser reiner Vernunftlehren der Religion kann allein zu diesem Mißverstande Veranlassung gegeben haben“

meine Auffassung:

Das ist natürlich kant´sche Haarspalterei und Ablenkungsmanöver. Seine Kritik richtete sich an die beiden Hauptvertreter der christlichen Religion, damit ist alles gesagt. Tatsächlich aber vermied er, im Gegensatz zu Stirner und seinen Vormärzdenkern, die direkte Erwähnung des Christentums.

3. er habe die Bibel nicht kritisiert, sondern empfohlen

„Daß ich ferner meine große Hochachtung für die biblische Glaubenslehre im Christenthum unter anderen auch durch die Erklärung in demselben obenannten Buche bewiesen habe, daß die Bibel, als das beste vorhandene, zur Gründung und Erhaltung einer wahrhaftig seelenbessernden Landesreligion auf unabsehliche Zeiten taugliche Leitmittel der öffentlichen Religionsunterweisung darin von mir angepriesen und daher auch die Unbescheidenheit gegen die theoretische, Geheimnißenthaltende Lehren derselben in Schulen oder auf Kanzeln, oder in Volksschriften (denn in Facultäten muß es erlaubt sein), Einwürfe und Zweifel dagegen zu erregen von mir getadelt und für Unfug erklärt worden; welches aber noch nicht die größte Achtungsbezeigung für das Christenthum ist.“

meine Auffassung:

Kant verteidigt sich hier sehr geschickt, wer jedoch das dem Edikt zugrunde liegende Werk gelesen hat, wird schnell erkennen, dass er in seinem Rescript seine originäre Fundamentalkritik für Wilhelm II ausserordentlich entschärft und schönt.

 

Überzeugend klingt es für mich nicht. Soweit er im Rescript angeblich die Bibel empfiehlt, verweise ich auf das Drittes Stück, Zweite Abteilung „Historische Vorstellung der allmählichen Gründung“, worin der darauf hinweist, dass der reine Vernunftglaube keine Beurkundung benötige. Dies bedeutet im Klartext, dass keine Bücher benötigt werden und damit auch keine Heilige Schrift mehr notwendig ist. Etwas später erklärt er aber im gleichen Kapitel, dass die Bibel bis auf weiteres noch Grundlage des Kirchenunterrichts sein könne, der Inhalt aber niemand aufgedrängt werden solle (sh auch V.1.6).

 

Hier erklärt Kant nun die nach außen zur Schau gestellte totale Kapitulation.

„Was den zweiten Punkt betrifft, mir keine dergleichen (angeschuldigte) Entstellung und Herabwürdigung des Christenthums künftighin zu Schulden kommen zu lassen: so halte ich, um auch dem mindesten Verdachte darüber vorzubeugen, für das Sicherste, hiemit, als Ew. Königl. Maj. getreuester Unterthan, feierlichst zu erklären: daß ich mich fernerhin aller öffentlichen Vorträge die Religion betreffend, es sei die natürliche oder geoffenbarte, sowohl in Vorlesungen als in Schriften gänzlich enthalten werde.

In tiefster Devotion ersterbe ich etc.“