Rudi Kölmel im März 2006 i.d.F. vom 08.04.2011

 

Religionskritik, Glaube, Nichtglaube

 

Diese Zeilen schreibe ich für die Zeit, in der Himmel und Hölle zugefroren sein werden und sich des Menschen Blick frei und unverängstigt im Sonnenstrahl widerspiegelt. Das ist dann die Zeit, wo er keinen Glauben mehr braucht. Bis dahin wird sich aber die Vermutung Nietzsches erfüllen, dass der Gott wohl noch Tausende von Jahren in den Köpfen der Menschen sein wird.

Es spricht aber auch viel dafür, dass der von den Menschen erfundene Gott aber erst dann zur letzten Ruhe gebettet wird, wenn die Sonne ein Roter Riese geworden und Terra mitsamt den klugen Zweifüßlern  verschwunden ist.

 

1. Ausgangslage für meine Religionskritik

   

1.1 Nichtgläubige aus der Sicht der Theisten

 

Theistisch geprägte Menschen, die an einen Gott glauben, bezeichnen andere Menschen, die ihr eigenes religiös-kategoriales Denken nicht vertreten, sondern Gottgläubigkeit verneinen, als Atheisten. Eine Art des schwächeren Atheismus ist der Agnostizismus, der zum Ausdruck bringt, nach derzeitiger Erkenntnis sei eine Hinwendung zu einem Glauben nicht möglich. Dabei ist es wichtig, zu erkennen, dass auch Agnostizismus, soweit er ideologisiert wird, gefährlich werden kann. Ideologische Atheisten sind dann oft genauso fanatisch, wie die religiösen Eiferer.

Um es vorwegzunehmen, ja es hört sich etwas kompliziert an,  ich sehe mich als Eklektiker mit agnostischem Einschlag. Der Eklektiker ist einem Sammler vergleichbar. So fühle ich mich zu Gedanken hingezogen, die mir am wertvollsten erscheinen, ohne mich mit "kleinen Wahrheiten" auf Dauer festzulegen. Gerade der Eklektiker versucht, keine Positionen aus der Vergangenheit axiomatisch für seine individuelle Zukunft festzuschreiben. Er trägt sich aus Richtungen, Gedanken, Religionen und Ansichten Bausteine zusammen, ist sein eigener Architekt und baut sich sozusagen sein eigenes Gebäude. Dies können Gedanken der Stoa, der Skepsis, des Pantheismus, der Epikureer, des Christentums, des Buddhismus, des Islam oder etwas anderes sein.  

In den vergangenen Jahrhunderten gelang es der christlichen Oligarchie weitgehendst, die Atheisten oder auch Agnostiker als Menschen ohne Sitten, verachtenswert, infam, Inkarnation des Bösen, schmutzig und sündig zu diffamieren, im gesellschaftlichen Schubladendenken zu deklassieren.

Historisch interessant ist zuerst einmal die Tatsache, dass bei allen Gegensätzen im eigenen Hause (intrareligiöse Konflikte) und fürchterlichsten Auseinandersetzungen zwischen den großen Religionen Judentum, Christentum und Islam (interreligiöse Konflikte) alle drei jedoch einen gemeinsamen Feind hatten, die Philosophie, die Atheisten und Agnostiker. 

Die Topoi der Monotheismen sind Gehorsam und Forderung nach Unterwerfung, Ablehnung gegenüber dem Leben unter Verherrlichung des Jenseits, Abwertung des Körpers zu Lasten der Seele (unrein, Reinlichkeitsriten), Verwerfung der Sexualität, Hass auf Frauen (Gründe für das Böse, unrein).

Sowohl Atheismus und Agnostizismus können sich für all dies nicht begeistern, da ihnen jegliche religiös induzierte Hysterie naturgemäß abgeht. Mit ihren zum Teil gegenteiligen Ansichten würden sie den Monotheismen die Geschäftsgrundlage entziehen.

Theismus und Atheismus haben ihre Wurzeln in dem Ausspruch von Heraklit, dass nichts ohne seinen Gegensatz existieren kann. Eigentlich ist dies eben auch wieder eine Ausgestaltung für den Weltdualismus an sich.

Um einerseits den Glauben und andererseits den Atheismus zu verstehen, muss man wissen, weshalb der Mensch überhaupt dazu neigt, an etwas angeblich Göttliches zu glauben.

Diese Fragestellung hatte ihre Geburtsstunde in der Philosophie, die sich damit aber zum Todfeind der theistischen Religionen machte.

Der Gebrauch des eigenen Verstandes hatte im Jagdgebiet der nach Anhängern heischenden Religionen nichts zu suchen. Es war aber auch die Geburtsstunde einer Leidensgeschichte der Giftbecher, Scheiterhaufen, Kreuzigungen und Diffamierungen. Die modernen Naturwissenschaften lassen die gleichen Fragen auf dem Gebiet der Anthropologie, der Humanethologie und der Gehirnforschung zu.

 

1.2  Mein Weg zum Agnostiker  

 

Meine Umwelt versuchte bei mir bereits als Kleinkind die christliche Gehirnwäsche.

Unvergesslich bleibt mir der Besuch des kirchlichen Kindergartens, wo ich als Vierjähriger von den „Ordensschwestern“ oft in eine enge und dunkle Besenkammer eingesperrt wurde, in der man sich kaum rühren konnte und in dem mir die nassen, kalten Putzlappen im Gesicht hingen. Wenig  später wurde ich von den Eltern zum Kirchgang und zur Beichte gezwungen. Heute weiß ich, dass sie nicht anders konnten.

Ihnen erging es noch schlimmer. Sie mussten nämlich nicht nur Sonntag vormittags zur Kirche, sondern auch noch nachmittags die sogenannte „Christenlehre“ besuchen. Dies erscheint mir aus meiner heutigen Sicht völlig absurd.

Religion ist die Einübung einer transzendental verseuchten Verdummungskasuistik und deren Weitergabe an die Nachfolgegeneration.

Geboren aus dem Gefühl eines abgrundtiefen Misstrauens bin ich aus eigener Kraft nach dem alten horazischen Ausspruch „sapere aude" oder „habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", bereits früh zu agnostischen Fragestellungen gekommen.

Der Unterschied zu heute ist, dass ich die Fragen jetzt akzentuierter und umfassender formulieren kann.

Dabei habe ich diese tradierten Werte bzw. Unwerte, mit denen mich die bösen Zwerge ungefragt kontaminierten, wie alten Ziegelschrott unter meine Füße getreten.

 

2.  Meine agnostischen Fragen  

 

Die wichtigsten meiner im tiefgründigsten Zweifel geborenen agnostischen Fragen stellen sich wie folgt dar:  

  1. Brauche ich eine Religion, deren Glaube an etwas Göttliches nichts anderes ist, als ein durch Menschenwerk konstruiertes imaginäres Placebo zur Bewältigung von Angst und Furcht gegenüber der Gewissheit des Todes?
  2. Brauche ich eine Religion, die auf einer Verwechslung von Ursache  und Wirkung beruht, deren primus movens nicht ein Gott als Ursache, sondern die Wirkungen der Phylogenese (menschliche Gattungsgeschichte) und der Anthropologie sind?
  3. Brauche ich eine Religion, deren Imperative versagt haben?
  4. Brauche ich eine Religion, welche die natürlichen Verhältnisse auf den Kopf stellt und den Glauben zum Naturzustand des Menschen erklärt?
  5. Brauche ich eine Religion, die ihr Fundament auf Scheinwelten und Begriffsgespenster gründet?
  6. Brauche ich eine Religion, die das Natürliche im  Leben des Diesseits zugunsten des Jenseits verachtet, beschmutzt und verleumdet?
  7. Brauche ich eine Religion, die eine Verleugnung des Selbst fordert
  8. Brauche ich eine Religion, die nicht aus sich selbst heraus wirkt, sondern die es nötig hat, sich ständig durch die Herrschaft ihrer Priester in Erinnerung zu bringen?
  9. Brauche ich eine Religion, die der Kirche und der staatlichen Gewalt unter Berufung auf ein in einem Himmel wohnenden Alphamännchen zwei Jahrtausende dazu diente, schlimmste Gewalttaten  zu rechtfertigen?

10.    Brauche ich eine phallokratische Religion, die sich zur Unterdrückung der Frau im Buch Genesis die Frauen als den Ausgangspunkt des Bösen und Unreinen herkonstruiert hat?

11.    Brauche ich eine Religion, die einen Generalangriff auf meine Intelligenz gestartet hat?

Ich bin aber trotzdem bereit, mich von der Erkennbarkeit eines Gottes überzeugen zu lassen, wobei ich mir dies bei meinem derzeitigen Horizont jedoch nur schwerlich vorstellen kann.

      

2.1 Brauche ich eine Religion, deren Glaube an etwas Göttliches nichts anderes ist, als ein durch Menschenwerk konstruiertes imaginäres Placebo zur Bewältigung von Angst und Furcht gegenüber der Gewissheit des Todes?

 

Im Glauben an etwas Göttliches sehe ich die bitterste Frucht der menschlichen Intelligenz!

Seine Erfahrungen, sein Denken verschafft dem Menschen die Gewissheit, dass er sterben muss, also seine Endlichkeit und Todesgewissheit.

Religion macht bequem, man muss sich nicht mehr selbst mit seiner Vernunft auf die Reise machen, um sich von den Ängsten zu befreien, die auch aufs engste mit den menschlichen  Wünschen verknüpft sind. In diesem Zustand der Hilflosigkeit erkennt der kleine Mensch nicht mehr, dass für die Religion gerade seine Ängste der Treibstoff für die angebliche Erfüllung seiner Wünsche ist.

Die Religion präsentiert sich als Retter und Bewahrer, als Überbringer des Heils. So, aber von oder vor was? 

Vor dem Tod nämlich oder vielmehr vor dem endgültigen Tod!  

Die Religionskonstrukteure wissen natürlich nur allzu genau, dass der Mensch sterben muss. Damit stehen die Religionsmacher auf der gleichen Stufe wie die Religionskonsumenten.

Es bedarf also eines Tricks dazu, die Lemminge um sich zu scharen.  

Nachdem die Religionsmacher die Sorgestruktur der Ängstlichen erkannt haben, was denn nach dem Tode komme, haben sie genau hier angesetzt. Sie haben nämlich die Veranlagung des menschlichen Urtriebes der Angst und Furcht geschürt und ausgebaut.

Das ganze Instrumentarium der fruchteinflößenden termini technici haben sie mit dem Johannesevangelium auf die Welt geworfen als die größte Krankengeschichte aller Krankengeschichten. Der ganze psychotische Hinwurf ist nur die Vorbereitung für die Präsentation der Lösung der angeblich überall für den Menschen lauernden Gefahren, nämlich die Religion, ihre Religion und ihre Götter natürlich.

Die Religion der anderen ist selbstverständlich Gotteslästerung. Zur Verdeutlichung, was da passiert, bedarf es einer vergleichenden Betrachtung.

Was für eine Speise übt auf Kleinkinder eine Anziehungskraft aus? Eine süße Speise natürlich!

Für die Süßung bieten die christlichen Religionsmacher eine sogenannte „Auferstehung im Fleische“, also ein weiteres Leben mit dem eigenen Körper an. Also wird kurzerhand der Tod für „nicht endgültig" und einfach als „Übergang für ein Leben nach dem Tod" deklariert. In dem Leben nach dem Tod ist man dann unsterblich. Dort trifft man dann alle seine lieben Angehörigen wieder und alle freuen sich in Ewigkeit.  

Das war genau der Schlüssel, um etwa in Rom die damalige Götterwelt hinwegzufegen. Der Gedanke des Stoizismus, der Logos, beinhaltete zwar auch eine Fortexistenz der Seele, jedoch nicht im eigenen Körper.      

Ein weiterer Grund ist einfach der Gedanke des Neuen Testaments, vor Gott seien alle gleich. Für die Versklavten und Geknechteten musste dieser frühe sozialrevolutionäre Gedanke wohl eine große Anziehungskraft ausgeübt haben. Sie würden die Gleichheit mit den Mächtigen erreichen, nicht auf Erden, aber im gelobten Himmelreich.  

Was musste es für einen Leibeigenen, der sieben Tage die Woche jeweils 14 Stunden arbeiten musste, bedeuten, wenn ihm jemand die Gleichmachung mit seinem Ausbeuter versprach! Tatsächlich geholfen hat ihm der Glaube dann natürlich nichts, lediglich die Lage war dann wegen der Wirkungen der Selbsttäuschung für ihn erträglicher. 

Was aber ist der Schlüssel für all derlei Wohltaten, die den Menschen erwarten. Es gibt auf Erden ja nichts ohne Preis. Der Preis ist der Glauben, sonst nichts...., man muss halt nur glauben. Man könnte beim ersten Blickkontakt meinen, es koste ja nichts, zu glauben. Falsch gewettet!  

Glauben bedeutet immer auch Demut und Hingabe zu bezeugen, das aber heißt gleichzeitig auch Teilaufgabe des eigenen Willens und zumindest Teilverlustigkeit der eigenen Authentizität.  

Kurz zusammengefasst nimmt also die Religion dem Tod die Endgültigkeit und macht ihn zum Übergang, sie erfüllt billig durch „schlichtes Glauben" die Erreichung unerfüllter Wünsche.

Dass es sich hierbei um nichts anderes als Psychologie handelt, will er nicht wahrhaben.  

Aus dem Todesbewusstsein resultiert Angst, dann Furcht, dann folgt die Verdrängung durch konstruierte Fiktionen eines besseren Seins. Für diese imaginären Placebos kann jedoch weder der Beweis noch der Gegenbeweis geführt werden.  

 

Die Konstruktion eines Gottesglaubens ist aus meiner Sicht eine schlichte stammesgeschichtliche (Phylogenese) Substitutionshandlung des Menschen, mit der er sich seine Unvollkommenheit erträglicher machen will.  

 

Der Mensch ergänzt seine eigene Unvollkommenheit in Richtung Vollkommenheit, der fiktive Gott darf dann alles sein, was er, der Mensch niemals sein kann. Der Mensch weiß um seinen Tod, Gott darf ewig sein, seine Unvollkommenheit substituiert er durch Gottes Vollkommenheit. Des Menschen begrenzte Macht glorifiziert er durch Gottes Allmacht, der Mensch ist sündig, Gott ist heilig.  

Den Ausgangspunkt, dass mit der Religion der Mensch nur seine eigene Unvollständigkeit repariert, legte Nietzsche in seinem Werk „Die fröhliche Wissenschaft", wo er in Aphorismus 115 die vier Irrtümer des Menschen aufführte, zu Grunde. Er beschrieb darin, dass sich der Mensch selbst immer nur unvollständig sah.  

Um was ging es den Vertretern des frühchristlichen und heutigen Papismus sowie seiner flügge gewordenen anderen Spielarten eigentlich mit ihrem Endlosgeschwafel?

Ich bin mir fast sicher, dass sich dabei folgende Grundaussage ergeben hätte, die ich in den Ritterstand eines eigenen Aphorismus erheben möchte.

Der Mensch versucht, sich der Macht seines konstruierten Gottes anzunähern, um im Windschatten des Placebos auf Kosten der Mitmenschen seine eigene Macht zu erweitern!  

Genau dies, nämlich die Macht zu erweitern, ist ein klar geninduziertes menschliches Verhalten.

Auch zeigt sich dabei auch wieder Gegensätzlichkeit der Dinge. Der Angst und Furcht steht Macht und Verlangen nach Anhäufung von Eigentum gegenüber.

Dies zeigt sich beim Glauben an den unheilvollen Entwicklungen, an Schatten welche die von Paulus und Konstantin konstruierten kirchlichen Hierarchien bereits früh vorauswarfen.

In den späteren Tagen haben die Denker Feuerbach, Marx, Nietzsche und Haeckel dann unmissverständlich auf den menschlichen Ursprung des Gottesglaubens hingewiesen.

Hier sei am Ende noch ein Ausspruch Zarathustras im Kapitel „Von den Hinterweltlern“ erwähnenswert: „Ach ihr Brüder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschenwerk“.

 

2.2 Brauche ich eine Religion, die auf einer Verwechslung von Ursache  und Wirkung beruht, deren primus movens nicht ein Gott als Ursache, sondern die Wirkungen der Phylogenese (menschliche Gattungsgeschichte) und der Anthropologie sind  

 

2.2.1 Suche nach Schutz

   

Die Bereitschaft des Kindes, an etwas Göttliches zu glauben, hängt mit dem Wesen, nämlich der natürlichen Veranlagung des Menschen zusammen. Kinder werden, ausgedrückt in einer Metapher, auf die Welt geworfen. Das ist auch die von Kierkegaard und Heidegger beschriebene „Geworfenheit". Die erste Erfahrung ist Angst, deshalb schreien Babys wohl. Sie spüren den Übergang vom beschützenden Bauch der Mutter in eine diesen Schutz nicht mehr gewährende Umgebung. Dieses erste Grundgefühl von Unsicherheit bleibt erhalten, der Drang nach Schutz ist immanent und begleitet den Menschen lebenslang in allen Lebensbereichen. Sich-Schützen ist ein Ausdruck des Überlebenswillens. Physisch schützt sich der Mensch mit einem Dach über dem Kopf, mit Mauern gegen die Kälte, einem PKW mit möglichst vielen Airbags, einer Lebensversicherung usw.  

Metaphysisch können sich viele nur mit einem Glauben an eine Religion, an Engel oder Amulette usw. schützen.

 

2.2.2 Angst- und Sorgestruktur

 

Sobald der Mensch in eine Angst- und Sorgestruktur eintritt, stellt sich die Frage, ob er dies aushalten kann.  

Wenn er dazu in der Lage ist, vermag er die Unsicherheit selbst zu regulieren und er wächst daran. Gerade die Philosophie ist ein Mittel, Ängste selbst zu überwinden, aus eigener Kraft. Insofern darf behauptet werden, dass der Philosoph sich dank seiner Vernunft selbst genügt.

Kann der Mensch die Angst- und Sorgestruktur nicht aushalten, vermag er die Unsicherheiten auch nicht selbst regulieren und benötigt ein Hilfsmittel, das ihm über seine Unfähigkeit zur Selbstregulierung hinweghilft.

Dieses Hilfsmittel ist dann etwa der transzendentale Glaube an etwas Göttliches, damit haben wir die Pforte zum Eintritt in die Religionswelt durchschritten.

Religionen genügen sich nicht selbst, sie brauchen für das Heil einen anderen, nämlich einen Gott oder ein gottähnliches Konstrukt.  

Zur Frage des brennenden Wunsches, der sich durch die Schriften des Alten Testamentes zieht, nämlich die eigene Zukunft durch einen Messias geschützt zu wissen, muss man bis zu den Anfängen der aufrechten Gangart zurück gehen. Diese Betrachtung zeigt Stück für Stück auf, weshalb die Menschen einen Erlöser oder Beschützer benötigen.  

    

Der Wunsch des Menschen nach einem Gott geht auf ein  Phänomen der Evolutionssoziologie zurück und zwar bis zur Urhorde der ersten Menschen, die bereits auf der Suche nach Schutz waren.

 

Soweit die frühen Menschen Geschehnisse nicht direkt beeinflussen konnten, wurden dazu  Personen mit angeblich besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten bestimmt. Das waren dann die Schamanen, die etwa Krankheiten, Regen und Sonne, Kriegsglück, Jagdglück usw. günstig beeinflussen sollten.       

Um dies für mich zu verdeutlichen, habe ich menschliche Veranlagungen der Urhorde den Verhaltensweisen der antiken Urjuden und des von ihnen ungeliebten messianischen Religionsstifters gegenübergestellt (Bibelzitate entstammen der Einheitsübersetzung, die für den Religionsunterricht zugelassen ist). Diese Betrachtung zeigt auch auf, wie geschickt die Religionsmacher ihr Konstrukt mit den Gegebenheiten der Gattungsgeschichte verknüpfen:  

 

2.2.3  Geister- und Dämonenaustreibungen (Schamanismus und Exorzismus)

 

Die Schamanen der Urhorde haben sich von der Menge durch die behauptete Gabe hervorgetan, Geister beschwören und auch austreiben zu können. Dieser Wunsch zieht sich durch die gesamte Existenz des Menschseins.

Vor und zur Zeitenwende des Jesus war dies selbstverständlich auch noch so und zwar in allen bekannten Kulturen.

Bereits ein erster Blick in das Alte Testament lässt mich im 3. Buch Moses 20,27 fündig werden. Ich finde also bereits ganz am Anfang des „Heiligen Buches“ den Beginn der unheilvollsten Verstrickung der Menschheitsgeschichte, die Verknüpfung zwischen Machtausübung und Religion.

„Männer oder Frauen, in denen ein Toten- oder ein Wahrsagergeist ist, sollen mit dem Tod bestraft werden. Man soll sie steinigen....“

Die Feststellung, auf wen die verhängnisvolle Bibelaussage damals zutreffen konnte, war natürlich völlig beliebig,  weder konnte die Anklage noch das Gegenteil bewiesen werden. Es war jedenfalls ein Einfallstor für die Mächtigen, sich billig unter Berufung auf „Göttliches“ jeglicher  Konkurrenten oder Kritiker durch Steinigung zu entledigen.  

So, nun kommen wir zu Jesus. Würde ich den durchschnittlich gebildeten Gläubigen darüber befragen, ob Jesus ein Exorzist war, würde er dies empört in Abrede stellen. Tatsächlich war er -sollten die Evangelien authentisch sein- ganz klar ein Exorzist und auch die von ihm ausgesandten Apostel.  

Dazu möchte ich aber des zahlreichen biblischen Umfangs wegen nur wenige Textstellen aus dem Lukasevangelium, das vor allem das Wirken in Galilea beschreibt, erwähnen. Viele weitere Stellen finden sich etwa auch im Markus- und Matthäusevangelium.  

Oft wird auch in einem Kapitel die Heilung von Besessenen und Kranken erwähnt. Sie wussten es halt damals nicht besser, nach damaligem Kenntnisstand definierte man psychische Krankheiten einfach als Besessenheit. Die Evangelien trennen in dieser Unkenntnis dann auch streng zwischen Kranken und Besessenen.

Psychische Störungen wurden, wie in Zeiten der Urhorde so gedeutet, dass man im Betroffenen die Besessenheit von Dämonen sah. Die Medikation war eben, diese Menschen zu exorzieren, ihnen die Geister auszutreiben. Freud war halt noch weit weg und die ICD-10, die internationale Klassifizierung psychischer Störungen, die heute jeder Psychiater als Handbuch hat, gab es damals noch nicht.  

Im weiteren Kontext der Geschichte lässt sich in etwa erahnen, weshalb ab dem 12. Jahrhundert in der sogenannten „Heiligen Inquisition“ Menschen wegen bösen Geistern verbrannt wurden, lebendig natürlich. Das war dann die heiligste Form der Dämonenaustreibung, zu der sich die Päpste, die Vertreter Gottes auf Erden, in dessen Namen verstiegen.  

2.2.3.1 Lukasevangelium 4,41 (Die Heilung von Bessesenen)

„Von vielen fuhren auch Dämonen aus und schrien: Du bist der Sohn Gottes! Da fuhr er sie schroff an und ließ sie nicht reden; denn sie wussten, dass er der Messias war. 

2.2.3.2 Lukasevangelium 6,18 (Der Andrang des Volkes)

„Auch die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt“  

2.2.3.3 Lukasevangelium 8,2-3 (Frauen im Gefolge Jesu)

„In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen gefahren waren.“

2.2.3.4 Lukasevangelium 8,26-39 (Die Heilung des Besessenen von Gerasa)

Ganze acht mal findet sich der Hinweis auf Dämonen und ein Mal wird ein sogenannter unreiner Geist erwähnt. Weshalb Jesus ungerecht und ein Tiermörder war, gehört zu einem anderen Thema, lässt sich bei Lukas aber unter 8,32-33 nachlesen.  

2.2.3.5 Lukasevangelium 9,37-43a (Die Heilung eines bessesenen Jungen 9, 42)

„Als der Sohn herkam, warf der Dämon ihn zu Boden und zerrte ihn hin und her. Jesus aber drohte dem unreinen Geist, heilte den Jungen und gab ihn seinem Vater zurück“  

2.2.3.6 Lukasevangelium 9,1 (Die Aussendung der zwölf Jünger

Dann rief er die Zwölf zu sich und gab ihnen die Kraft und die Vollmacht, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken gesund zu machen 

2.2.3.7 Krankenheilungen

Neben den Textstellen in denen Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen angesprochen werden, gibt es noch reine Krankenheilungen. Hierzu zählen die Heilung eines Aussätzigen (5,12-16), die Heilung eines Gelähmten (5,17-26)  

 

2.2.4 Meine Schlussfolgerung über die Figur Jesus

 

Durch diese kurze Betrachtung wurde mir selbst klar, dass dieses Getue um die Heilung von Besessenen und Kranken während der Zeitenwende nichts anderes war als die Fortschreibung des alten Schamanentums.  

Die gattungsgeschichtlichen Grundmauern sind in den Genanlagen des Menschen niedergelegt und veranlassen ihn natürlich auch seither dazu, sich den „Heilungsgedanken“ zu verschreiben. Bei allem Fortschritt hat sich daran nämlich nichts geändert.  

Dazu gehören auch neuere Bewegungen, die nicht explizit religiös sein müssen. So fragten eines Tages Schüler eines Dr. Usui in Japan, weshalb Jesus mit den Händen heilen konnte. Dr. Usui fing an zu forschen und nach dem Motto „Toyota, nichts ist unmöglich“, war die fernöstliche Variante der messianischen Heilkunst geboren, Reiki.

Reikianhänger glauben sogar daran, sie könnten Fernheilungen bewirken.

Ach ja, die machen das natürlich auch nicht umsonst. Bei Reiki gibt es auch das, was wir schon von den Kirchen kennen, nämlich Hierarchien, Einweihungen, Kurse und Preislisten. Auch dort geht alles nur um Geld und um Macht. Insbesondere die Auseinandersetzung der verschiedenen Stilrichtungen über die Ernennung der Meister und die Entwicklung der Hierarchien im Reiki bieten einen tiefen Einblick in die nach Machtexpansion gierende menschliche Seele.  

Ich stehe bis auf Weiteres in der festen Überzeugung, dass Jesus in einer orientierungsschwangeren Zeit ein Schamane und Exorzist unter vielen anderen war und eingebunden in den Verdacht der Zugehörigkeit zu der Freiheitsbewegung der Zeloten den Kreuzigungstod starb, die Strafe für politische Aufrührer.  

Diejenigen, die über ihn geschrieben haben, haben ihn nicht gekannt und für die anderen, die sich unter Berufung auf ihn seit 2000 Jahren die Taschen voll stopfen und sich ein angenehmes Leben machen, war und ist er ein Glücksfall kosmischen Ausmaßes.

 

2.3 Brauche ich eine Religion, deren Imperative versagt haben?  

Dieses anmaßende Wesen, welches sich „vermeintliche" göttliche Gebote als glorifizierende Monstranz vor die Stirn hält, tritt bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Imperativ mit Füßen. Der homo sapiens hat sich zur Bewältigung seiner Todesangst göttliche Imperative zusammengeschustert, kann oder will diese aber nicht erfüllen.  

Er, der Imperativ, strebt nach Erfüllung, dies hat er durch alle Zeiten hindurch getan.

Er begehrt, dass der Duft, der ihm anhaftet, eine Welt, in der nicht mehr getötet wird, auch gelebt wird.

Gerade aber oft dann, wenn er von einer Religion vereinnahmt wurde, vermag er den hohen Anspruch nicht zu erfüllen.  

Soweit die Imperative aber nicht erfüllt werden, verweigern diese sich etwa dafür, dass der kleine Mensch sie missbraucht? 

Nein, sie dulden ihre Schändung. Wo ist stellvertretend ihr Gott, der die Menschen mit seinem „Gewaltmonopol" zur Einhaltung seiner Gebote überredet, wo seine Allmächtigkeit, die dies doch angeblich bewirken könnte.  

Ein für mich klassisches Beispiel für die Beliebigkeit eines Glaubens und die Entwürdigung der Imperative ist der kirchliche Aufruf zu den Kreuzzügen.

Durch dieses Verhalten, vorher und nachher in vielen Religionen und Kulturen tausendfach wiederholt, auch der Holocaust ist nur eine Zwischenstation, erleiden die Imperative immer wieder das gleiche Schicksal, sie werden entwürdigt, gedemütigt und geschächtet. Nur allzuoft schreien sie als Löwe und enden als Bettvorleger.  

Die Antwort, weshalb der Mensch dies schöngeredeten und zurechtgemachten religiösen Imperative in Wirklichkeit nicht erfüllen kann, liegt in der Phylogenese, der Gattungsgeschichte des Menschwerdungsprozesses, der tatsächlich von wenigen Dingen, etwa Angst, Furcht und Gier, maßgeblich geprägt ist.  

 

Religion selbst ist kein Affekt, sondern nur das Placebo der Folgen von Affekten.

Dabei ist ein grandioser psychoanalytischer Ansatz zu erkennen, nämlich, dass mir die Gier größer zu sein scheint als die Furcht. Die theistischen Religionen haben in ihren Büchern ja massive Strafandrohungen stehen für Zuwiderhandlungen gegen ihre göttlichen Gebote. Trotzdem treiben die Affekte, die dem Menschen im anthropologischen Prozess beigegeben wurden, ihn von den religiösen Wertekanons weg.

Hätte der selbsternannte Messias gewusst, wie seine Heilsgefolgschaft mit den urjüdischen Imperativen umgehen würde, wäre er nach den 40 Tagen Fasten in der Wüste geblieben und hätte seine Geschichte nur den Skorpionen und Sandvipern erzählt. Statt des Kreuzestodes wäre er verdurstet und der Menschheit wäre viel erspart geblieben.

 

2.4 Brauche ich eine Religion, die die natürlichen Verhältnisse auf den Kopf stellt und den Glauben zum Naturzustand des Menschen erklärt?

 

Die Feststellung der Gläubigen klingt mir in den Ohren, „man muss halt glauben“. Dem gegenüber steht das Nichtglauben. Dies führte bei mir zur Frage, was ist eigentlich natürlicher, vermittelter Glaube oder Nichtglaube?  

Atheismus entsteht meines Erachtens nicht aus der Abwendung vom Religiösen, sondern es ist gerade umgekehrt. Der Atheismus oder Agnostizismus ist der Normalzustand. Die Menschen wenden sich vom Normalzustand ab, weshalb machen sie dies aber?  

Die auf Vernunft gegründete Überlegung, weshalb der Atheismus den Normalzustand beschreibt, es nämlich dem Wesen des Menschen entspricht, nicht an einen Gott zu glauben, ist für mich genial einfach.  

Die Lösung bietet die Humanethologie.

Betrachten wir die Kinder, die so lange nicht an Gott glauben, bis sie durch das Prägungsverhalten der Erwachsenen davon indoktriniert werden. Dabei erlaube ich mir die Feststellung, dass eben nicht nur der ungezügelte Informationskonsum, sondern auch religiöse Indoktrination zur Gehirnwäsche führen kann.

Die Erwachsenen machen von dieser hypothetischen Beruhigungspille, die sie ihren Kindern verabreichen können, regen Gebrauch. Kinder nehmen es in der Erfahrungswelt dankbar an, wenn ihnen ein außerweltlicher Beschützer angeboten wird, der ihnen als perfekt, gewährend und immer gütig beschrieben wird. Der von den Erwachsenen vermittelte Prägungsvorgang korreliert meines Erachtens mit dem bereits festgestellten Wunsch nach Schutz. Die Erwachsenen selbst sind nicht mehr reflexionsfähig, hinterfragen also nicht mehr, weshalb sie den Kindern diese Scheinwelten überhaupt weitervermitteln. Andererseits können sie sich gegen den Automatismus der ständigen Übung über Generationen hinweg oft auch einfach nicht mehr wehren, es wurde zur Tradition, ist tradiertes Wissen.  

Nietzsche nimmt zum Ursprung der religiösen in Nummer 62 Morgenröte (1886) Stellung und wirft dazu die Frage auf, wie der Mensch seine eigene Meinung über die Dinge als „Offenbarung“ empfinden könne. Im Wesentlichen sieht er die Antwort darin, dass der  Mensch wegen seiner pessimistischen Zweifel seine eigene Selbstmächtigkeit nicht mehr spürt und das Beseligende zwingend einem Schöpfergott zuschreiben müsse. Diese Erniedrigung werde ihm jedoch dadurch vergolten, dass er sich zum Schluss als Sieger fühlen könne.

Zum Volltext  verweise ich auf Nummer 3 unten.

Das Schließen des Kreislaufs nun besteht darin, dass ohne die Indoktrination der Erwachsenen die Kinder erst dann zur Religion kommen, wenn bei ihnen aufgrund eigener Reflektionsfähigkeit eine Angst- und Furchtstruktur entsteht, die sie nicht selbst regulieren können.  

Damit stehen also immer Menschen am Anfang der Kette, weshalb junge Menschen mit Religion beglückt werden.

Im täglichen Sprachgebrauch etwa hören wir in den Medien von christlichen Kindern oder von islamischen Kindern. Das ist eigentlich nicht richtig, denn es gibt weder christliche noch islamische Kinder. Es gibt nämlich nur Kinder, die von Erwachsenen christlich, islamisch oder in eine andere Religion hineingeprägt werden. 

 

Ich bin der Überzeugung, dass es keine a priori -Erkenntnis für eine dem Menschen aus seiner Natur heraus beigegebene Hinwendung zu dem einen oder anderen religiösen Konstrukt gibt. Niemals hat es irgendeinen, insbesondere theistischen, Glauben gegeben, der sich den Menschen aus eigener Kraft offenbart hat, sich selbst in Szene gesetzt hat, um den Beweis seiner Einzigkeit zu führen. Am Anfang der Religion steht also kein Gott, sondern der Mensch.

 

Die Hinführung dazu ist somit eine a posteriori Erfahrung, also Erfahrungswissen. Mit Erfahrungswissen meine ich vermitteltes Wissen, wie Mathematik oder Chemie. Fehlt diese Hinführung durch Dritte, verbleibt es beim Naturzustand des Nichtglaubens. Kinder brauchen Essen, Trinken, Luft und gute Eltern. Gute Beschützer im diesseitigen Leben sind vollkommen ausreichend, einen sittlich gereiften Menschen auf dessen Reise zu schicken.  

Einen Gott brauchen sie jedenfalls nicht. Soweit Kinder keinen Gott brauchen, brauchen ihn Erwachsene aber auch nicht.  

Der Glaube, den sie den Kindern vermitteln, ist kein Substrat an sich, die neutrale Situation in der Form des Nichtglaubens war zuerst da und sie beweist sich durch den immerwährenden Kreislauf von Neugeborenen ständig aufs Neue.

Es gilt nun für die unter dem theistischem Diktum lebenden Menschen zu erkennen, dass es sich lohnt, aus dem Kreislauf auszubrechen, zu den Wurzeln der Neugeborenen zurückzukehren. und bei ihren Kindern weder eine Indoktrination zu veranlassen noch durch Dritte zu dulden.

Dieser Naturzustand ist/war den jeweils herrschenden Autoritäten der höchste Greuel, da sie sich ja gerade in ihrem eigenen Sendungsbewusstsein mit der angeblich von Gott erhaltenen Macht legitimieren.  

Das Sendungsbewusstsein ist jedoch fast immer nur vorgespielt, tatsächlich geht es um das älteste menschliche Spiel überhaupt, der Ausübung von Macht. Der später von Nietzsche erkannte Wille zur Macht war der Grund der Herrschenden für die unheilvolle Bekämpfung des Naturzustandes der „Gottlosigkeit" unter Verwendung des politischen Kampbegriffs  „Atheismus“.

 

2.5 Brauche ich eine Religion, die ihr Fundament auf Scheinwelten und Begriffsgespenster gründet? 

2.5.1 Die Konstitution von Scheinwelten und Begriffsgespenster

Die unversöhnliche Bedeutung, die einem Klumpen Papier, der sich „Heilige Schrift“ nennt, zugemessen wird, der zudem noch von einem Heiligen Geist angehaucht sein soll, zeigt mir die wahre Fieberkurve des menschlichen Machtstrebens einerseits und der anlagebedingten Unzulänglichkeit des Menschen anderererseits.

Diese Verwunderung musste wohl auch Friedrich Nietzsche gespürt haben, als er im Jahre 1888 hierzu eine kurze und fundamentale Zusammenfassung der christlichen Krankengeschichte in seinem Werk „Antichrist“ vorstellte. Er vertritt in Kapitel 15 die Hypothese, dass das Christentum in keinem Punkt die Wirklichkeit berührt. Vielmehr handele es sich um :  

imaginäre Ursachen (Gott, Seele, Geist);

imaginäre Wirkungen (Sünde, Vergebung der Sünde, Erlösung, Gnade, Strafe);

Verkehr zwischen imaginären Wesen (Gott, Geister, Seelen);

imaginäre Naturwissenschaft (anthropozentrisch, völliger Mangel der natürlichen Ursachen); imaginäre Psychologie (Reue, Gewissensbiss, Versuchung des Teufels, Nähe Gottes)

imaginäre Teleologie ( Reich Gottes, das jüngste Gericht, das ewige Leben)

Ich erlaube mir, die Aufzählung zu ergänzen und erwähne die Heilige Schrift. Diese ist für mich das epochale Verhängnis für den größten absoluten „Wahrheitswahn“ der Weltgeschichte.

Es bedarf meines Erachtens einer näheren Betrachtung, wie die Kirche dieses Machtmittel aufbaute und unter welchen Einflüssen sie zu Zugeständnissen und Abstrichen bereit war. Die Schrift war der Kirche immer nur soviel wert, wie sie gegenüber der sie ernährenden Menschenwichtel durchzusetzen in der Lage war. Mit zunehmender Bildung und damit zunehmenden kritischen Fragen wurde dies immer schwieriger.    

2.5.2 Die Unfehlbarkeitsthese der Heiligen Schrift

Die Verkettung der Kirche mit ihren Dogmen, hier die Unfehlbarkeitsthese der „Heiligen Schrift“, vergleiche ich mit einem Straftäter, der erst in der Hauptverhandlung unter erdrückenden Beweisen zu einer Änderung seiner früheren Angaben bereit ist.  

Genauso war die Kirche erst dann dazu bereit, ihre Positionen zu überdenken, wenn eine Dezimierung der Gläubigenschar und damit Macht- und Einnahmeverlust einzutreten drohte.

Wegen der noch lange nach der Aufklärung fortwirkenden Unmündigkeit des kleinen Wichtels konnte mit den immer gleichen Begründungen die groteske Geschichte von der „Irrtumslosigkeit“ der „Heiligen Schrift“ über lange Zeit unbeleckt bis ins zu Ende gehende 19. Jahrhundert gerettet werden.

2.5.2.1  Die Unfehlbarkeitsthese ab 2. Petrus 1,21

 

Petrus bringt früh zum Ausdruck, dass die Bibel das direkte Wort Gottes sei. Die Schriftsteller waren dabei vom heiligen Geist inspieriert, deshalb heißt nennt sich die Bibel eben auch Heilige Schrift.

„Getrieben vom heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.“ (2. Petrus 1,21).

Stationen der christlichen Apologetik war das Lateranerkonzil 649, das 2. Konzil von Nizäa 787, das Konzil zu Trient 1546, das 1. Vatikanische Konzil 1870 bis zum 2. Vatikanischen Konzil 1964.  

Das Dogma von der Irrtumslosigkeit war spätestens seit Darwins Evolutionstheorie angeschlagen wie ein angezählter Boxer. Das Dogma ist ja auch nicht in der Schrift enthalten, sondern ist ein von der Hierarchie lanciertes machterhaltendes Werkzeug.

Immer häufigere kritische Fragen beleuchteten die den Wissenschaften offensichtlich entgegenstehenden biblischen Behauptungen und Irrtümer. Dazu gehören insbesondere  zu Dogmen gewordene Ergänzungen, die ihren Ursprung eben nicht in der Schrift, sonder in angeblichen Überlieferungen haben. Aus diesem Grunde erweiterte man in der konzilischen Glaubensauslegung auch besonders die Einschwörung auf die „Überlieferungen“.

 

2.5.2.2  Das 1. Vatikanischen Konzil (1870)

 

Das erste Vatikanische Konzil von 1870 verpflichtete noch zum Glauben an das geschriebene und überlieferte Wort (Neuner-Roos, der Glaube der Kirche):

„Mit göttlichem und katholischem Glauben ist also das zu glauben, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche in feierlichem Entscheid oder durch gewöhnliche allgemeine Lehrverkündung als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird“  

Gewiss besteht die Möglichkeit, dass den Schreibern bei der Abschrift der Handschriften Fehlern unterlaufen sind. Aber Unrecht ist es, die göttliche Eingebung nur auf bestimmte Teile der heiligen Schrift einzuschränken oder zuzugeben, dass der heilige Schriftsteller geirrt habe“.

 “Vielmehr sind alle Bücher, die die Kirche als heilig und kanonisch anerkennt, vollständig mit allen ihren Teilen unter Eingebung des Heiligen Geistes verfasst. Der göttlichen Eingebung kann jedoch kein Irrtum unterlaufen. Sie schließt ihrem Wesen nach jeden Irrtum aus. Mit derselben Notwendigkeit schließt sie ihn vollkommen aus, mit der Gott, die höchste Wahrheit, nicht Urheber eines Irrtums sein kann. So ist es alter und beständiger Glaube der Kirche.  

Rücksichtsvolle Kritiker versuchten noch, die absurdesten Bibelteile als Fehler den Bibelverfassern oder den Herstellern der Abschriften zuzuschreiben. Doch selbst diese Brücke wurde von der Kirche nicht angenommen und von Papst Leo XIII. im Jahre 1893 in einem Rundbrief verworfen. Er erkannte zwar die Möglichkeit von Fehlern bei den Abschriften, jedoch nicht bei den sogenannten heiligen Schriftstellern. So berief er sich wie folgt auf die alten Wahrheiten:  

„Es ist nutzlos, sich darauf zu berufen, dass der Heilige Geist Menschen als Werkzeuge zum Schreiben benützt habe: So seien nicht dem eigentlichen Urheber, sondern den inspirierten Verfassern Irrtümer unterlaufen. Denn mit übernatürlicher Kraft hat er sie so zum Schreiben angeregt und bestimmt, ist ihnen so beim Schreiben zur Seite gestanden, dass sie alles das, aber auch nur das, was er sie hieß, richtig im Geist auffassten, getreu niederschreiben wollten und auch passend in unfehlbarer Wahrheit ausdrückten. Sonst wäre er ja nicht Urheber der gesamten Heiligen Schrift.“ 

Die sechziger Jahre erschienen auf der Zeitschiene, die 68 er Generation sammelte gerade ihre Kräfte, der Vatikan musste der neuzeitlichen Bibelkritik Zugeständnisse machen. Die Hierarchie erkannte feinfühlig, dass der Schaden, der bei einem Beharren auf der früheren Gläubigenverdummung entstehen würde, irreparabel wäre. Die Lehre von der Irrtumslosigkeit wurde zum teilweise Abwracken freigegeben, man war zu Zugeständnissen bereit.

 

2.5.2.3  Das 2. Vatikanischen Konzil (1964)

  

Diese Entwicklung wurde dann im 2. Vatikanischen Konzil (1964) vollzogen.  

Nach dem ab dem 2. Vatikanischen Konzil geltenden Katechismus der Katholischen Kirche soll die Bibel nicht mehr Gottes Wort sein, sondern Gottes Wort nur enthalten, soweit es als solches erkannt wird. Das war das Zuckerbrot für die kritischen Gläubigen, für die konservativen Schafe änderte sich sowie nichts.  

„Denn die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde.“  

Das. 2. Vatikanische Konzil bestätigte ferner, dass Gott durch Menschen in  der Art der Menschen gesprochen hat, deshalb sei jeweils zu untersuchen, was und wie die heiligen Schriftsteller das von Gott Geoffenbarte kommuniziert haben.

 „Will man richtig verstehen, was der heilige Verfasser in seiner Schrift aussagen wollte, so muss man schließlich genau auf die vorgegebenen umweltbedingten Denk-, Sprach- und Erzählformen achten, die zur Zeit des Verfassers herrschten, wie auf die Formen, die damals im Alltagsverkehr üblich waren.“ ...........  

Die heikelste Frage, die Schöpfungsgeschichte, wurde kurzerhand nicht mehr als Glaubensfrage deklariert, sondern vielmehr als Bildersprache bezeichnet.  

„Da es sich um Bildersprache handelt, darf man sie nicht als eine arthistorische Reportage über die Anfänge der Menschheitsgeschichte verstehen“.....“

Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie widerstreiten also einander nicht grundsätzlich; beide Aussagen geben vielmehr eine Antwort auf ganz verschiedene Fragen; sie liegen auf verschiedenen Ebenen und sind verschiedenen Erkenntnisweisen zugeordnet .  

Das 2. Vatikanische Konzil zeigt eindeutig auf, dass die kirchliche Hierarchie zum Zwecke des Machterhalts zur Aufgabe von Positionen bereit war, für deren Verstoß sie noch kurz vorher die eigenen Schafe ausgeschlossen hätte. Unbeindruckt wird jedoch das Festhalten an Überlieferungen praktiziert, die explizit nicht in der Heiligen Schrift genannt sind.  

Zu solchen Überlieferungen und Lehren zählen neben dem Fegefeuer die Aufzählung der Sieben Sakramente, der Aufstieg der Maria in den Himmel, die Unfehlbarkeit des Papstes (Ex kathedra) sowie etwa auch die apostolische Sukzession.  

Wäre ich nun ein ein wahrer Christ, würde ich mich nach der selbstherrlichen, selbstgöttlichen Legitimation fragen, mit der diese außerbiblischen Zusätze zur Lehre erhoben wurden. Ich würde fragen, wer die Schuld für die Zusätze trägt, wie sich ein Mensch dazu versteigen kann, für sich die Unfehlbarkeit zu reklamieren. Dies verbunden mit dem Narzissmus, mit der ein sterblicher Zweifüßler von sich behauptet, die Wahrheit zu erkennen.  

Der Vatikan hat aber  bis auf Weiteres von der eigenen Klientel keine weiteren Erosionen zu befürchten, da die überwiegende Zahl der Schafsherde das voluminöse  Märchenbuch überhaupt nicht gelesen hat, smile.  

Hätten Sie es nämlich getan, wäre ihnen der achtzehnte Vers im Kapitel 22 der Offenbarung aufgefallen, der die Überlieferungen und  außerbiblischen Zusätze schlichtweg verbietet, da sie im Buch nicht enthalten waren.  

„Ich bezeuge jedem, der die prophetischen Worte dieses Buches hört: Wer etwas hinzufügt, dem wird Gott die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht.“  

Dadurch besteht eine groteske Situation. Der Vatikan ist berechtigt, diejenigen auszuschließen, die die Überlieferungen missachten. An die Heilige Schrift sollen sie sich jedoch auch halten. Diese wiederum verbietet die Überlieferungen. Damit müsste sich der Vatikan eigentlich selbst ausschließen, das ist  doch wahres widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium).  

Schließlich stehe ich bis auf weiteres in der festen Überzeugung, dass die Heilige Schrift ein Unterdrückungs- und Verdummungsmechanismus darstellt, einzig und allein darauf ausgerichtet, die Menschenwichtel in der Sphäre der Unmündigkeit zurückzubehalten.

 

2.6 Brauche ich eine Religion, die das Natürliche im  Leben des Diesseits zugunsten des Jenseits verachtet, beschmutzt und verleumdet?  

 

Die Fragestellung über die Bedeutung des Diesseits und des Jenseits ist viel älter als der historische Beginn der Figur des Nazareners Jesus.     

Das Christentum vollzog die endgültige Abwendung von der Realität hin zur Irrealität einer Transzendenz des besseren Jenseits.  

Was ist es eigentlich das Christentum, worauf wartet es?

Die Kirche, die Paulus schuf, ist eine eschatologische Zusammenkunft von Heilssuchenden.

Aus dem Heilsgedanken ergibt sich, dass der Blick nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft gerichtet ist. Die Vergangenheit ist die Erbsünde, die Gegenwart ist die Sünde und die Zukunft ist das Heil. Das Weltliche gilt es zu überwinden und leidend das Ende zu erwarten.  

Die Heilsgeschichte kulminiert sich dann in der Johannesoffenbarung. Dieses Evangelium, Verkündungsplattform einer angeblich besseren Welt des Jenseits, erscheint mir aber eher als das Werk eines Sadomasochisten, durch die Blutrünstigkeit dazu geeignet, Kleinkindern traumatische Schäden zu bereiten.  

Dennoch brauchen wir dies nicht zu befürchten. Bei vielen Detailnachfragen an die üblichen Sonntagsbeter habe ich tatsächlich noch niemanden getroffen, der diese die Evangelien abschließende Schrift gänzlich gelesen hat oder auch nur den groben Inhalt wiedergeben kann. Auch von der Bibel und den wesentlichen Zusammenhängen und den Unterschieden der Religionen hat der durchschnittliche Gläubige nur wenig Ahnung. Ich erlaube mir jetzt eine sehr rustikale Beschreibung.

Die überwiegende Zahl der sogenannten christlichen Gläubigen sind nur laierhafte Nachschwätzer, die bei Hinterfragung ihre Überzeugung wie im Hamsterrad sitzend wiederholen. Es besteht Grund zur Annahme, dass die Kenntnis der Bibel den Hohenpriestern“ und ein paar vereinzelten Hardcore-Apolegetikern vorbehalten bleibt.  

Der Körper reflektiert für mich zweifelslos das Natürliche, weil er so ist wie er ist. Was machte nun das Urjudentum im Alten Testament und das Christentum der Paulus AG im Neuen Testament daraus?  

Zu den basalen Ingredenzien der Bibel gehört die Feststellung ,dass der Körper, auch Fleisch bezeichnet, als Reflektion des Irdischen sündig, schmutzig, schamlos und unzüchtig, der Gehorsam gegenüber Gott jedoch himmlisch ist.  

Bei der Suche ist mir sehr schnell aufgefallen, dass die Eiferer des Neuen Testaments, vor allem die psychotischen Versteigungen des Paulus, im Schmutzigkeitswahn die Heiligen Schriftsteller des Alten Testaments noch bei weitem übertreffen.

Eine der Zentralaussagen des Alten Testaments ist bereits in der Genesis die Sündhaftigkeit des Körpers, speziell werden die „Begierden“ verworfen. Diese sind nämlich grundsätzlich Sünde. Anschaulich wird dies durch das Buch Weisheit 3,3 in dem jeglicher Sex mit einem „Lager der Sünde“ gleichgesetzt wird:  

„Selig ist die Kinderlose, die unschuldig blieb und kein Lager der Sünde kannte; sie wird gleich einer Mutter geehrt, wenn die Seelen ihren Lohn empfangen“  

Weshalb ist dies so, auch ganz einfach. Der eifersüchtige Gott möchte alle Aufmerksamkeit bei sich wissen. Die zweifüßigen Wichtel werden jedoch von ihren Begierden davon abgelenkt. Das weiß die Kirch sehr wohl.  

Der Weisheitslehrer Jesus Sirach ist der Ausgangspunkt einer Weisheitssammlung aus dem Jahre 180 v.Chr., in der er den „Schmutzigkeitswahn des Körpers“ in Sirach 18,30-31 auf eine weitere Höhe treibt.  Darin tituliert er die Begierden als Feinde der Seele.  

„(30) Folg nicht deinen Begierden, von deinen Gelüsten halte dich fern! (31) Wenn du erfüllst, was deine Seele begehrt, erfüllst du das Begehren deines Feindes“

Das Neue Testament veredelt die im Alten Testament schon bereits vorgefundenen krankhaften und körperfeindlichen Bemerkungen insbesondere mit den sogenannten Paulinischen Briefen zu einem deutlich psychischen Befund, der an eine ausgeprägte Sexualneurose denken lässt.

 

Paulus dokumentiert im 1. Korintherbrief  (53 - 55 n.Chr. anlässlich der 2. Missionsreise) 7,1 bei der Beschreibung der christlichen Ehe aus seiner Sicht eine vollumfängliche Verderbtheit des Körpers, explizit den der Frau.

„Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren“.  

Im Brief an die Kolosser, 3  (zwischen 57 und 60 n.Chr.) folgen bei der Beschreibung des alten und neuen Menschen seine Wunschvorstellungen durch Aufzählung von Eigenschaften, die der neue Mensch haben sollte. Er beschreibt einen Menschen, der durch das Ablegen irdischer Verhaltensweisen zum Übermenschen wird, einen Menschen, den es niemals geben wird. Er preist das Himmlische und fordert die Tötung des Irdischen.  

(3,2) „Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!; (3,5) Darum tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schamlosigkeit, die Leidenschaft, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist; (3,9)..denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen geworden“  

In Römer 7 und 8 versucht er wieder vor den Mächten des Unheils Furcht zu erzeugen. Diese Mächte beschreibt er als Dreieckskonstellation von Gesetz, Sünde und Tod. Dabei versucht er selbst die Konstruktion eines billigen Imperativs, geboren aus den Untiefen seiner fehlgeleiteten Ich-Erfahrungen, wobei er  er den Körper als sündiges Fleisch bezeichnet. Der Ausweg aus dieser Sündigkeit führe über die Entsagung.  

„Römer 7,18:  Ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt....“ Römer 8, 13: Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werden ihr leben.“

Genug, denke ich.

Nietzsche enträtselte in Nr. 15 Antichrist auch das unwirkliche Wechselspiel, welches das Christentum mit dem Natürlichen hat. In einer feinen Abwägung gewichtete er die „Fiktionswelt“ des Christentums in der Rangfolge noch hinter der „Traumwelt“. Die Grundlage dieser Fiktionswelt sei der Hass gegen das Natürliche. In „Götzendämmerung“, Streifzüge eines Unzeitgemäßen, Kap. 34 meint er, dass der Christ die „Welt“ verurteilt, verleumdet und beschmutzt. In seinem Werk „Genealogie der Moral“ erkennt er im bevormundenen Christentum eine Sklavenmoral, schließlich stellt er dem „Gekreuzigten“ den lebensbejahenden „Dionysos gegenüber. 

Was für ein jämmerlicher Gott, der es nötig hätte, über seine Zwerge die Zweifüßler dauerhaft mit der Fabel der Fleischessünde zu erniedrigen, um sich dadurch an der eigenen vermeintlichen Größe zu delektieren.

Die Propheten und Evangelisten, die Kirche nennt sie heute „heilige Schriftsteller“ offenbarten mit ihrem Sündengeschwafel, soweit sie es möglicherweise tatsächlich ernst meinten, nicht unerhebliche individuelle psychische Defekte.

 

2.7 Brauche ich  eine Religion, die die Verleugnung des Selbst fordert?  

 

Das Selbst des Menschen ist der Ausgangspunkt und Umfang des auf „Auf-der-Welt-Sein“. Das jedem Menschen anhaftende Reale, sein Selbst, soll nach einem gleichlautenden Aufruf der Evangelisten nun verleugnet und durch ein Heil ersetzt werden, das man durch den Tod im Glauben erlangt. Menschen jedoch, die die Selbstverleugnung zur Lebensdoktrin erhöhen, laufen in die Gefahr, psychisch zu erkranken. Darin ist für mich auch eine Ursache zu sehen, dass das Christentum zwar unbestritten zeitweise eine Erfolgsgeschichte, aber auch eine Krankengeschichte reflektiert:  

 „Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“  

V.3.2 Markus Kap 8,34

„Er rief die Volksmenge und seine Jünger zu sich und sagte: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“  

V.3.3 Lukas 9,23

„Zu allen sagte er: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“

V.3.1 Matthäus, Kapitel 16

Alle drei Evangelisten haben Jesus nicht persönlich gekannt, dennoch erwecken sie den Eindruck, als wären sie dabei gewesen. Dies ist einfach absurd und in etwa genau so glaubwürdig, wollte ich 100 Jahre später ein Kriegstagebuch über die Geschehnisse der Grabenschlacht vor Verdun im Ersten Weltkrieg schreiben.  

Beim Solipsismus bin ich auf eine fast tiefenspychologisch anmutende These gestoßen, die davon ausgeht, dass Menschen aus egoistischen Interessen heraus bereit sind, zu glauben.  

Ich entlehne dazu aus dem 1844 von dem Vormärzdenker Max Stirner verfassten  Werk "Der Einzige und sein Eigentum" ,Erste Abteilung: Der Mensch, § 2, die Besessenen.  

Stirner vertrat darin die Auffassung, dass der Mensch aus egoistischen Interessen Glauben entwickelt, um daraus eine Befriedigung zu suchen.

Aus Stirners Sicht sind alle Egoisten, diejenigen, die dies nicht erkennen, sind die sogenannten unfreiwilligen Egoisten, die zwar immer auf das Ihre aus sind, sich dennoch aber nicht für das höchste Wesen halten, die nur sich dienen, gleichzeitig aber einem höheren Wesen zu dienen bereit sind, die nichts Höheres kennen als sich selbst, gleichzeitig jedoch für Höheres schwärmen.

Der Mensch sucht etwa die selbst gewählte Erniedrigung gegenüber einem höheren Wesen (Idee, fixe Idee), um daraus wieder die Erhöhung, eine Befriedigung, zu suchen. Der unfreiwillige Egoist suche daher im Himmel und auf der Erde nach einem höheren Wesen, dem er dienen und sich opfern kann.

Aber dies ist aus Stirners Sicht nur Fassade, den der Mensch tut dies nur um seinetwillen und trotz allem Schütteln und Kasteien weiche aus seiner Sicht der Egoismus nicht von ihm. Deshalb seien dies unfreiwillige Egoisten.

Diesen schickt er die Botschaft, zu erkennen, dass sie selbst der eigene Schöpfer sind. Stirner postuliert die absolute Selbstmächtigkeit, in der man nur die eigenen Macht spürt.

Seine Hinterlassenschaft ist der Ruf "Werdet Egoisten, freiwillige Egoisten".

Erst dadurch sieht Stirner eine Möglichkeit, zum Eigner des "Selbst" zu werden.

Damit bewirkt die eigene Selbstmächtigkeit die Überwindung eines Gottesglaubens. Gott spürt also nur, wer seine eigene Selbstmächtigkeit nicht spürt.  

 

2.8 Brauche ich eine Religion, die nicht aus sich selbst heraus wirkt, sondern die es nötig hat, sich ständig durch die Herrschaft ihrer Priester in Erinnerung zu bringen?

 

Priester kommt von anpreisen, man könnte auch feilbieten dazu sagen. Sie bieten Hypotheken für eine in der Zukunft liegende Schein- und Fiktionswelt, eine Placebomedizin die ihnen von den um ihre Endlichkeit wissenden kleinen Menschlein gerne abgekauft wird.  Diese Hypotheken sind möglicherweise genauso wertlos wie die Lehmann-Brother Papiere der globalen Finanzkrise im Jahre 2008. Während diese im Zuge der Immobilienblase in den USA geplatzt sind, hat das Glaubenskonstrukt dies aber nie zu befürchten. Der Grund ist denkbar einfach:

Einer Hoffnung, die sich nämlich niemals erfüllen kann, kann auch nie das Gegenteil bewiesen werden!  

Die Herrschaft der Priester seit Jahrtausenden entspricht durchaus modernen Managementmethoden. Sie haben eine völlig durchseuchte Kasuistik der Sünde geschaffen, in deren Gestell sie sich selbst unentbehrlich gemacht haben.  

Dies beginnt mit der Aufrechterhaltung der Erbsündentheorie, die zunächst einmal die Taufe durch den Priester  notwendig macht. Er ist also sprichwörtlich schon bei der Geburt anwesend. Eingebunden in die Bettgenossenschaft mit dem Staat darf er auch in der Schule erscheinen und dort weiter anpreisen und feilbieten. Nur wenig später spenden sie dann das sogenannte Sakrament der Ehe. Die Kinder aus dieser Verbindung werden dann wieder getauft, dadurch wird der Kreislauf aufrechterhalten. In der Zwischenzeit erwarten sie ihre Schäflein zur wöchentlichen Gehirnwäsche im Tempel. Am Ende des Lebens erscheinen die böswilligen Zwerge wieder auf der Bühne, natürlich zum spenden. Sie spenden ein Sakrament, nämlich die letzte Ölung bzw. Krankensalbung. Danach folgt die Beerdigung. War es das dann, natürlich nicht! Kurze Zeit später sollen dann Messen für die Verstorbenen verlesen werden. Aus Nächstenliebe werden all die Handlungen natürlich nicht vorgenommen. Die Kirche ist ein Konzern. Neben der normalen Kirchensteuer, die der Bettgenosse Staat für sie einzieht, werden alle bezeichneten Tätigkeiten natürlich extra in Rechnung gestellt und das nicht zu knapp.

 

Bei allen sich bietenden Gelegenheiten überfrachten die Priesterzwerge ihre Herde mit einer Melange aus offenen Drohungen, Versprechungen und  unterschwelligen Codes.  Am wirksamsten ist die Drohung, wer sich nicht ihrem Gott zuwendet, endet in ewiger Verdammnis.

Diese priesterlichen  Drohungen und Verlautbarungen verkrallen sich in der Seele der Menschenlemminge wie Fuchsbandwürmer in den Eingeweiden unvorsichtiger Waldbesucher.

Hier zeigt sich die jämmerliche Gotteskonstruktion mit voller Wucht, sobald ich mir die Frage stelle, weshalb sich ein allmächtiger Gott nicht selbst inszenieren kann, sondern dazu Heerscharen von Falschspielern benötigt, die auch heute noch mit allen Tricks auf dem Missionskriegspfad sind.

Ein allmächtiger Gott wäre so omnipräsent, dass er der Tätigkeit der Priesterzwerge nicht bedürfte.

Damit stehe ich bis auf weiteres in der Überzeugung, dass das Christentum nur durch den Kreislauf der Unentbehrlichkeit ihrer Priester herrscht.

 

2.9 Brauche ich eine Religion, die der Kirche und der staatlichen Gewalt zwei Jahrtausende dazu diente, unter Berufung auf ein spekulatives Alphamännchen schlimmste Gewalttaten  zu rechtfertigen?  

 

Bereits im frühen Ägypten zeigte sich des Menschen angeblich höhere Berufung, dort war es der Glaube, dass der König gleichzeitig ein Gott ist.

In anderen Kulturen, etwa im antiken Griechenland gab es eine unauflösbare Verbindung zwischen Religion und Staat. Gottlosigkeit und Unfrömmigkeit, Asebie genannt, führte zu Asebieprozessen. Das wohl berühmteste Beispiel ist der Prozess gegen Sokrates, der wegen angeblichen Verderbs der Jugend und Einführung neuer Götter zu Tode verurteilt wurde.

 

Schon in früher Zeit beriefen sich auf der anderen Seite aber auch Gläubige auf „höhere Wesen“. Die Literatur des Jahres 442 v. Chr. liefert uns dazu mit der Tragödie Antigone von Sophokles ein schönes Beispiel. Ihr wurde vom Herrscher Kreon die Beerdigung ihres Bruders Polyneikes verboten wurde. Antigone beerdigte ihn trotzdem und berief sich in ihrer Verteidigung auf ein „höheres Wesen“.

In einem unheilschwangerem Umfang ist es durch die ganze Menschheitsgeschichte hinweg innerhalb der Bettgenossenschaft zwischen Religion und Herrschaft ein gern geübtes Spiel, sich auf ein angeblich höheres Wesen zu berufen.

Dieses apodiktische Tun macht unangreifbar! Für das Volk war es in früheren Zeiten überwältigend, wenn ein Zweifüßler seine Herrschaft darauf begründete, er sei direkt von einem Gott dazu berufen.  

Es ist ein Indiz dafür, dass die Religion ein Machtmittel ist, geschaffen und konstruiert nur zu einem einzigen Zweck, noch mehr Macht zu generieren. 

Dazu kommt es unweigerlich, weil alles von Menschenhand Geschaffene zur Expansion neigt. Deshalb kann sich ein möglicherweise dem Grunde nach guter Gedanke nur schwer der Institutionalisierung entziehen, die immer Gier, mehr Macht und mehr Kontrolle benötigt.

Bei diesem Spiel haben sich Religion und Macht immer gegenseitig kräftig die Hände eingeseift und voneinander profitiert.  

 

Gerade auch die Bibel, sowohl das Alte als auch das Neue Testament, beschreibt eindrucksvoll dieses übergeordnete Bild einer einträchtigen Liaison zwischen Macht und Religion.  

1 Samuel 9,16; 10,1 (Saul wurde von Gott zum König berufen).

In 2 Samuel 7,13 steht sie dann, die ultimative alttestamentarische Legitimation für das sogenannte „Gottesgnadentum“. Darauf beriefen sich dann die weltlichen Herrscher in Europa seit Karl dem Großen, sie seien von Gott eingesetzt. 

In diesem Kontext verstehen sich auch die Verlautbarungen des neutestamentlich-christlichen Hierarchiedesigners Saul aus Tarsus alias Paulus.

Er, der Propagandaminister des von ihm geschaffenen Christentums wusste nur zu sehr, dass die Christuslehre mit den jenseitigen Heilsversprechungen ja gerade eine Überwindung der irdischen Herrschaft bewirken soll. Dies machte die Christen für die Römer natürlich verdächtig und staatsgefährlich.  

Also konstruierte Paulus eine Demutsbezeugung gegenüber der irdischen Macht, in dem er in der Folge von 1. Buch Samuel seine Grundhaltung zum Gottesgnadentum in Römer 2,13,1-7 niederlegte und dabei explizit auch zur Unterordnung unter den Staat und zur Steuerzahlung aufrief:

 

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. (2) Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.“  

Paulus korrespondiert in etwa mit Markus 12,17 „ Das sagte Jesus zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!“.  

Zu dieser Zeit setzte das paulinische Christentum noch auf  das Wort zur Verbreitung der Lehre. Das sollte sich bald ändern. Mit der konstantinischen Wende im Jahre 312 anlässlich der Schlacht an der Milivinischen Brücke wurde das Christentum durch Konstantin kurz später römische Staatsreligion. Der 17 Jahre nach Konstantins Tod im Jahre 354 geborene Augustinus konnte es sich dann schon im Jahre 408 leisten, die „Mitgliedergewinnung“ auf die Gewaltstraße zu führen.

 

Im Alter von 54 Jahren rechtfertigte Augustinus unter Berufung auf Lukas 14, 23 (und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie, hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde) die Zwangsbekehrung Andersgläubiger mit dem verhängnisvollen Spruch „cogite intrare“ (lat: zwinge sie, einzutreten); auch compelle intrare.

Der angeblich christliche Augustinus kolportierte für die Dummherde das übliche systemrelevante Geschwafel über die Liebe zu Gott und den Menschen als moralische Rechtfertigung für sogenannte Ketzerverfolgungen gegenüber Donatisten, Häretiker und Schismatiker.  

Sowohl die Inquisition als auch die Conquista haben sich später direkt darauf berufen.  

300 Jahre später, nachdem der Religionsstifter Mohammed der Menschheit den Islam bescherte, entwürdigte die katholische Kirche die über Moses empfangenen Imperative in offenherzig beschämendster Art und Weise. Die christliche Kirche hatte in ihrer Rhetorik alle Hemmungen verloren und hat offen die Vernichtung propagiert.  

Es handelte sich um einen Ausspruch von Papst Urban II anlässlich des Synode von Clermont im Jahre 1095. Dort rief er im Namen Gottes, der über Moses die Menschen mit dem 5. Gebot beschenkte, zum Kreuzzug in das Heilige Land auf.

Es war implizit ein Aufruf zum töten, morden, vergewaltigen und brandschatzen.  

Wie passt das aber zusammen? Der Papst ist laut Kirchenkanon ja schließlich der Vertreter Gottes auf Erden. Damit ist er aber auch der Vertreter eines Gottes der Bergpredikt, der nach seinem eigenen Bekunden doch seine Feinde liebt. Wie passt das denn dann zusammen, wenn also dieser Gott durch den Mund des Papstes zur Vernichtung auffordert.  

Dies war durch einen kleinen Trick möglich.

 

Nun muss man sich verdeutlichen, dass Muslime ja keine Christen, sondern die Konkurrenz waren. So wurde das fünfte Gebot einfach kanonwidrig anders interpretiert, indem es nur auf die Christen anwendbar war. Damit konnte man dann wieder rein in der Seele und vor dem Alphamännchen morden und töten.       

Papst Urban beschrieb die Legitimation für den Blutfeldzug mit einem kleinen Satz "Gott will es ! Deus le volt ". Das war verbunden mit der überallhin verstreuten Botschaft, die Christen sind die Guten, die anderen sind die Bösen. Er sprach diesen Satz als Vertreter seines Gottes auf Erden, der auch für die Bergpredigt steht.  

Papst Urban war aber nicht etwa ein einmaliger Ausrutscher der klerikalen Oligarchen, mitnichten.  

Seine Nachfolgpäpste kulminierten sich zu übelsten Schlächtern und Massenmördern, das in der wissenschaftlichen Rezeption bekannteste Beispiel war Papst Innozens (Papst ab 1198) Gleich nach seiner Wahl rief er zum 4. Kreuzzug auf. Er war der Urheber der Plünderung etwa von Konstantinopel im Jahre 1204 sowie der Vernichtung der Katharer, der Ermordung unzähliger Häretiker und der Verfolgung der verschiedensten Gruppierungen, die der Häresie verdächtigt wurden.  

Unter Zugrundelegung vergleichender Opferzahlen erscheinen mir etwa zeitgeschichtliche Figuren wie Hitler, Stalin, Pol Pot und Idi Amin als adäquater Vergleich.  

Insgesamt wurden zwischen 1096 und 1291 insgesamt 7 Kreuzzüge in das Heilige Land organisiert; dabei verloren etwa 20 Millionen Menschen ihr Leben.  

Der Ausspruch „Gott will es“ steht für diese und Millionen weitere Opfer.

Mit dem exakt gleichen Habitus erfolgte schon vorher die Christianisierung der Sachsen durch einen nicht nur von Karl dem Großen, sondern auch von den Bischöfen unterstützten grauenhaften Blutfeldzug. Dabei riefen die Bischöfe nicht nur dazu auf, sondern unterstützten auch noch mit eigener Soldateska.  

In etwa zeitgleich mit dem von Papst Innozenz veranlassten Ketzerkreuzzug gegen die Katharer (1209 - 1229) begann das dunkelste Kapitel jener Heilsgemeinde, denen ihr Designer Paulus die Menschenliebe als Etikett verordnet hat, die sogenannte „Heilige Inquisition“.  

Heilig war daran gar nichts, der Christusgemeinde ging es nur um Macht, die Inquisition war in erster Linie eine „gigantische Geldbeschaffungsmaschine“, denn das Eigentum der Ermordeten wurde eingezogen. Dabei wurden Millionen Menschen auf grausamste Art vom Leben zum Tod hin befördert.  

Das Verbrennen bei lebendigem Leibe war für die Opfer der „Heiligen Inquisition“ oft der letzte Offenbarungsakt einer Heilslehre, deren Schachkönig einst auf die Liebe zu den Mitmenschen setzte. Bei der Betrachtung dieses Dissenses offenbart sich die schauerlichste Ironie der Menschheitsgeschichte.  

Die Vertreter Gottes auf Erden waren auch nicht zimperlich, wenn es darum ging, Heiden zu versklaven. Der Gesinnungsunwert der im Namen Gottes veranlassten Sklaverei entsprach in etwa dem Ausmaß der Inqusition.  

Den Startschuss dazu gab am 18.06.1452 Papst Nikolaus V. mit der päpstlichen Bulle „Dum diversas“. Dies war die an die Portugiesen gerichtete Ermächtigung, in Westafrika Muslime (Sarazenen) anzugreifen, zu unterwerfen und zu versklaven.  

3 Jahre später wiederholte er sich am 08.01.1455 mit der Bulle „Romanus Pontifex“ , wo er dem portugiesischen König und auch dem portugiesischen Orden der „Christusritter“die Berechtigung verlieh, in allen Ländern Afrikas unter anderem die Ungläubigen und Heiden zu versklaven. Die Christusritter waren die Nachfolger der Templer. Der Großmeister des Ordens war immer ein hohes Mitglied der Königsfamilie.

Wenig später hat im Jahre 1493 der nächste Vertreter Gottes auf der Erde, Alexander VI., mit der päpstlichen Bulle „Inter cetera“ die Aufteilung der Neuen Welt zwischen Portugal und Spanien und damit die Vernichtung von Millionen indianischer Ureinwohner gesegnet.

Dabei hat er explizit dazu aufgerufen, die Länder zu erobern und die Eingeborenen zum katholischen Glauben „hinzuführen“. Diese Hinführung nannte sich Conquista. Der Schlächter Pizzaro berief sich bei der Unterwerfung und Vernichtung der Azteken etwa auch auf Gott.

Die Legitimation auf das liebe Alphamännchens im Himmel führte innerhalb von 70 bis 80 Jahren zu einer Reduzierung der indianischen Urbevölkerung von 55 auf 10 Millionen Menschen.  

Erst nachdem Millionen Tote zu beklagen waren, gab es kirchliche Stimmen gegen die Sklaverei. Der Dominikanermönch Las Casas setzte sich engagiert für die Rechte der Indios ein. Der Streit der Befreiungstheologie gegen die Kreuzzugstheologie endete letztlich vor Kaiser Karl V. Las Casas konnte durchsetzen, dass die Indios nicht weiter versklavt wurden.  

Dies erreichte er jedoch mit einem noch weitaus größeren Blutzoll. Er schlug vor, die Indios durch leistungsfähigere Negersklaven aus Afrika zu ersetzen. Er selbst bezeichnete seinen Vorschlag später als großen Irrtum. Insgesamt schätzt man die Deportation von Negersklaven etwa auf 12 Millionen.  

Die Sklaverei wurde von Kaiser Karl V. im Jahre 1530 gänzlich verboten. Nach der Intervention mächtiger Mitspieler (Indienrat) wurde die Abschaffung 1534 wieder revidiert, 1542 dann aber wieder verboten.

Trotz verschiedener guter Ansätze waren weitere Beschlüsse zur Abschaffung oder Eingrenzung der Sklaverei halbherzig, da die Beschlüsse in den Kolonien oft gar nicht und wenn überhaupt, dann nur zögerlich umgesetzt wurden. Davon abgesehen änderte die rechtliche Lage die tatsächlichen Lebensbedingungen noch lange überhaupt gar nicht.

1537 beliebte sich dann die katholische Kirche in der päpstlichen Bulle „Sublimus Dei“ zur Feststellung, dass etwa Indianer und Afrikaner auch Menschen seien, die sich der Heilsgemeinde anschließen dürfen. Christen durften jedoch zur Glaubensverbreitung  nicht mehr versklavt werden; erlaubt war nur noch die Missionierung. Letztlich hat auch dieser Beschluss nichts grundsätzlich geändert, sonst hätte es ja Hunderte Jahre später der Abolitionsbewegung in Amerika überhaupt nicht bedurft.  

Sublimus Dei war aus meiner Sicht nicht von wahrer Ethik getragen. Die katholische Kirche handelte nach Machiavellis Rat in seinem Werk "Il principe", welches 1532 publiziert wurde.

Machiavelli lieferte mit diesem Werk „Der Fürst“ einen Glanzpunkt der Beschreibung zwischen Kirche und Macht. In Kapitel 18 rät er den politisch Handelnden, alles zu unternehmen, was dem Erfolg dient. Insbesondere rät er dem Fürsten, er solle gegenüber dem Volk in seinen Reden immer den Anschein erwecken, gütig, treu, menschlich, redlich und insbesondere religiös zu sein. Sobald es aber bei Gefahr der Machterhalt erfordert, sei er berechtigt, seine Versprechen zu brechen, zu lügen und listig  zu sein.  

Die Kirche hat für die Herde in den hauseigenen Weihrauchtempeln das billige Geschwätz von der Bruderliebe propagiert, sich im gleichen Atemzug aber an den Sklaven bereichert, bedient und an ihnen verdient. Dies zeigt sich eindrucksvoll darin, dass auf der päpstlichen Flotte sogar noch 1724 Sklaven „gehalten“ wurden.

1741gab dann Papst Benedikt XIV. die Apostolische Konstitution „Immensa pastorum“ heraus, als deren Folge Portugal 1755 den Sklavenhandel mit Indianern verbot. Von einer Abschaffung der Negersklaverei war noch keine Rede.  

Mit der „cuius regio, illius religio“ bot sich im beginnenden 16. Jahrhundert  in der deutschen Reformationszeit geradezu ein Zerrbild der Machtspiele zwischen weltlicher Macht und Religion, in der die Obrigkeit auch den Bestand der Staatsreligion sicherstellte. Danach war der jeweilige Landes- oder Gebietsfürst nämlich befugt, die Religion für seine Bewohner zu bestimmen. Dieser Rechtssatz war offizieller Bestandteil sowohl des Westfälischen Friedens als auch des Augsburger Religionsfriedens.

Dadurch offenbarte sich auch die wertlose Beliebigkeit des Glaubens, der vollends und unverblümt offen zum Lotteriespiel verkommen ist und glasklar erkennen ließ, dass die Gier nach Macht hinter dem Glaubensgedanken steht.

Max Stirner legte in einer ihm zugesprochenen Nachlassschrift „Über die Verpflichtung der Staatsbürger zu irgendeinem Religionsbekenntnis“ die Karten auf den Tisch und redete nicht mehr darum herum, so wie man es von Philosophen und freien Denkern die Jahrhunderte über gewohnt war.  

„Überdies wissen wir wohl, daß im Namen Gottes und der Religion Scheiterhaufen errichtet, Dolche gezückt, Verfolgungen verhängt worden sind; der größte Bogen, der je aus Englands Papierfabriken hervorgegangen ist, würde nicht genügen, um eine vollständige Martyrologie der Schlachtopfer der Religion aufzunehmen. Von der Philosophie ist nichts dergleichen bekannt; sie ist nur immer die Unterdrückte und Verfolgte gewesen und wird diese edlere Stelle auch schwerlich gegen die der Verfolgung vertauschen wollen. Allerdings haben die Zeiten sich etwas gebessert: man steinigt nicht mehr, man kreuzigt nicht mehr, man verbrennt nicht mehr; – aber man hat noch andere, nicht weniger probate Mittel: man vertreibt die Lehrenden von Amt und Brot, man verjagt diejenigen, welche ihrem alten Glauben treu bleiben, aus der Heimat, man verdächtigt diejenigen, welche die Vernunft als einzige und ausschließliche Norm ihres Lebens und Handelns anerkennen, man ruft gegen sie die Leidenschaften des Pöbels auf. Man sagt nicht: steinigt die Verruchten!, aber man meint mit einer versteckten argumentatio ad hominem, der gesunde Sinn der Mitbürger werde solches Treiben nicht dulden. Vielleicht wirkt’s; wo nicht, so versucht man’s anders. Oder man deutet auf eine sehr verständliche Weise an, daß Leute, die eine freie Gesinnung haben, Halunken, Mörder, Banditen sein müssen..... “.  

So eine Gesinnungsoffenbarung blieb in der damaligen westeuropäisch-verchristeten Welt natürlich nicht folgenlos, so dass die nur wenige Seiten umfassende Schrift mit der Randbemerkung des Zensors versehen wurde, „darf nicht abgedruckt werden“.  

Dies bestätigte später (1886) auch Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse“ im 3. Hauptstück „Das Religöse Wesen“ unter Nr. 61, wo er meinte, dass die Religion für die Starken, Unabhängigen, zum Befehlen Vorbereiteten und Vorbestimmten ein Mittel ist, um Widerstände überwinden und herrschen zu können. Seine Kurzformel also, die Religion ist ein Machtmittel.  

Das klassische Beispiel ist die christliche Konditionierung zum 5. Gebot, du sollst nicht töten. Wie konnte es dazu kommen, dass in öffentlichen Veranstaltungen gerade Tötungsmaschinerien, Kanonen, gesegnet wurden. Segnen heißt, dem Schutz des Gottes anempfehlen. Zwanzig Jahrhunderte nach dem Messias krönten sich die grausigen Segnungsorgien von Vernichtungswaffen in der Segnung der Atombombe von Hiroshima durch den Glorienschein des im Himmel wohnenden Alphamännchens.  

Das ist die reale Offenbarung, eines der letzten Kapitel einer Krankengeschichte.

Meine Kurzaussage hierzu liest sich wie folgt:  

Für mich ist es faszinierend, mit welch einfachen psychologischen Mitteln die Religion die Menschenherde dümmlich und horizontmäßig klein gehalten hat, in welchem ungeheuerlichen Maße eine religiös induzierte „Verhausschweinung und geistige Vermopsung“ des Menschen stattfand, die trotz Aufklärung und Postmoderne in großen Teilen bis heute noch fortwirkt.

Dieser menschliche Grundzug ist natürlich auch in der Politik festzustellen, wo die Wahlherde auch mit Lügen- und Märchengeschichten überzogen wird und wo ebenso auf das „kurze“ Gedächtnis spekuliert wird.

 

2.10 Brauche ich eine phallokratische Religion, die sich zur Unterdrückung der Frau im Buch Genesis die Frauen als den Ausgangspunkt des Bösen und Unreinen herkonstruiert hat?  

 

Bei der Frage, wie das Alte und das Neue Testament, die Kirche, ihre Vertreter auf Erden und die von ihnen geschaffenen Instrumente, wie die sogenannte „Heilige Inquisition“,  mit Frauen umgingen, zeigt sich die schonungslose Aussagekraft der Anthropologie und Psychologie.

Es gibt kein historisches Buch, welches mehr zur Erniedrigung der Frauen beiträgt, als das Alte und das Neue Testament. Die Bücher bilden aus meiner Sicht die Saat und Steilvorlage für den Hexenhammer.

Ich stelle mir ernsthaft die Frage, weshalb heute Frauen bereit sind, einen Gott in einem Tempel zu huldigen, in dessen Namen seine Vertreter auf Erden, nämlich die Päpste, im Rahmen der Heiligen Inquisition über Hunderte Jahre hinweg, Millionen ihrer Geschlechtsgenossinnen wegen angeblicher Zugehörigkeit zu den Hexen lebendig verbrennen, vierteilen, federn, ertränken und zu Tode foltern ließen.  

In der Folge ist es für mich bis heute nur schwer nachvollziehbar, dass sich überhaupt eine einzige Frau bereit findet, um an den ihr angedienten Gott zu glauben.

In einer Diskussion wurde mir entgegengehalten, der Glaube sei halt wichtig. Die Kirche habe früher Fehler gemacht, heute sei alles anders.

Um den ganzen Irrwitz dieser Begründung aufzudecken, bedarf es nur eines einzigen lebensbezüglichen Beispiels:

Wer käme zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die Idee, Adolf Hitler, in dessen Namen Millionen Menschen ermordet wurden, zu verehren und ihm öffentlich in einem Tempel zu huldigen?  Wer käme auf die Idee, eine Straße nach ihm zu benennen?

 

Hier zeigt sich wieder der interessante menschliche Zug, dass der „gefühlte Gesinnungsunwert“ der verübten Schandtaten umso schwächer wird, je weiter diese Schandtaten in der Vergangenheit liegen.      

Das ist der Begriff, den ich unter die Formulierung „Gnade des Vergessens“ einordnen möchte. Das ist aber eine andere Betrachtung.

.............Fortsetzung folgt.

 

2.11 Brauche ich eine Religion, die einen Generalangriff auf meine menschliche Intelligenz gestartet hat.

 

Die Philosophie als Begründerin der Naturwissenschaften war die Grundlage des Staunens und des Infragestellens des Wissens. Infragestellen bedeutete aber für die Religion immer auch die Gefahr, überflüssig zu werden. Dies musste um jeden Preis verhindert werden. So wurde die Philosophie und die Wissenschaft zum Todfeind der Religion.

Was hat sich eigentlich nach Nietzsche zugetragen. Es sterben immer noch Menschen, weil sie selbst und andere den eigenen Glauben für den wahren halten.  

Wenn ich sie mir anschaue, diese Seelchen, wie sie geifernd vor Eifersucht auf andere angebliche Götter ihren angeblich einzig wahren Glauben anpreisen, kommt bei mir kein Gedanke auf, der sich mit der frischen Brise eines besonnten Novembertages an der norwegischen Küste assoziiert, sondern mit dem Geruch ungewaschener Füße.  

Die Kirche und ihre Zwerge geben keine Ruhe. Zwischenzeitlich sind in einigen Staaten die Kreationisten auf dem Vormarsch, die Darwin verbannen und im Schulunterricht wieder ausschließlich die Schöpfungsgeschichte gelehrt wissen wollen. Das bestätigt im übrigen die Annahme, dass die meisten Bewegungen ihre Gegenbewegung haben.

 

Einer der bedeutendsten Irrtümer im Glaubensbereich ist die Unfähigkeit der Dummherde, den religiösen Letzbegründungswahn als Münchhausen-Trilemma zu diagnostizieren.

Ich möchte nun wirklich nicht von jedem eine Hingezogenheit zum kritischen Rationalismus abverlangen, jedoch müsste doch mal auffallen, dass sich das Christentum bei der Darlegung seiner Grundlagen immer wieder im Versuch verfängt, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen.  

Dabei fallen insbesondere zwei Verfahrensweisen auf:  

 

2.11.1 logischer Zirkel  

 

Dabei werden Argumente mit Argumenten begründet, die ihrerseits aber selbst noch einer Begründung bedürfen. Da eben diese Begründung noch fehlt, kann die Begründungskette nicht abschließend sein, sondern dreht sich ständig im Kreis.

Hierzu mein imaginäres Gespräch mit dem Papst:

Der Papst fordert mich auf, an Gott zu glauben, weil er gut und allmächtig ist. Meine Frage, weshalb dies so ist, beantwortet er damit, dies stehe in der Heiligen Schrift. Meine Gegenfrage, weshalb die Schrift heilig sein soll, beantwortet er damit, sie komme von Gott.  

 

2.11.2 Begründungsabbruch  

 

Der Begründungsabbruch ist für die Kirchendesigner genau so bequem.

Hierzu mein imaginäres Gespräch mit dem Papst:

Der Papst verlangt von mir, dass ich meine Feinde lieben soll. Ich dagegen frage, weshalb dies so sein solle, es widerspreche doch der Verpflichtung zur Selbstliebe. Der Papst antwortet darauf, weil es Jesus so will. Auf meine Gegenfrage, was Jesus wolle, müsse nicht für mich gelten, antwortet er, man müsse Jesus folgen. Auf die Gegenfrage, weshalb dies so sei, antwortet er, weil Jesus der Sohn Gottes sei. Auf die Gegenfrage, was das mich angehe, antwortet er, alle Menschen müssen Gott gehorchen. Auf meine Frage, weshalb ich Gott, den ich weder spüre noch je gesehen habe, gehorchen solle, wird die Diskussion mit der Bemerkung abgebrochen, wer glaubt und gehorcht kommt ins Paradies, wer nicht glaubt kommt in die Hölle. Meine durch diesen geistigen Auswurf dann bereits geschwächten Vitalkräfte erlauben mir doch noch eine letzte Gegenfrage, weshalb man dann in die Hölle kommen soll. Darauf antwortet der Papst, weil es Gott so will, Amen.  

 

3. Religionskritik der Historie und der Jetztzeit

 

3.1. Allgemein, Frühkritik

 

Speziell an dieser Stelle möchte ich einige Religionskritiker und  ihre Sache bedenken. Ich meine damit aber nicht etwa Kritiker, die bereits im Grunde dabei waren, die Menschheit mit einer nur abgewandelten Sinnstiftungsidee zu beunglücken. Dazu gehören etwa Luther, wobei seine Thesen ausschließlich das Produkt der intrareligiösen Auseinandersetzung  waren. Kritiker waren indirekt auch jene, die sich zwar explizit nicht mit dem Gottensglauben auseinandergesetzt haben, sondern die im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Leistungen die Grundfesten des Christentums berührt und erschüttert haben, etwa Giordano Bruno, Gallilei (die Erde ist keine Scheibe, sondern rund und dreht sich um die Sonne) oder Kopernikus.

 

3.1.1  Parmenides von Elea (geb. 540 v.Chr.)

 

Im 6. Jahrhundert vor Christus gab es bei den vorsokratischen Eleaten in Griechenland bereits nennenswerte Religionskritik. Deren Gründer, Parmenides von Elea verneinte jegliche Theorien der Transzendenz, also göttliche Ursachen. Stattdessen bezeichnete er das Sein der Welt, wie sie ist, als einzige Realität. Diese Gedanken fanden natürlich keinen Gefallen der Mächtigen, die ja schon immer geneigt waren, sich zur Festigung der Macht etwas Ausserirdisches an ihre Seite zu stellen.

 

3.1.2  Anaxgoras (500 - 428 v. Chr.)

 

Anaxgoras ließ wissen, die Sonne sei für ihn kein Gott, sondern ein glühender Stein. Aufgrund dessen wurde er des Atheismus angeklagt.

 

3.1.3  Protagoras von Abdera (481 - 411 v.Chr.)

 

Eine der ersten echten Kritiken kam vom Vorzeigesophisten, der in seinem Werk „Über die Götter“ die Aussage traf: „von den Göttern vermag ich nicht zu erkennen, ob sie existieren oder nicht und wie sie gestaltet sind“. Damit gab er sich meines Erachtens auch als einer der ersten Frühagnostiker zu erkennen, da er die Aussage in erster Linie wegen der beschränkten Erkenntnisfähigkeit des Menschen traf. Er wurde deshalb von den Athenern aus der Stadt und von seinem Landbesitz verjagt und seine Bücher vor der öffentlichen Versammlung verbrannt (Quinctiliani Inst. Orat. lib. 3. cap. 1.).

 

3.1.4  Sokrates

 

Einer derjenigen, die mit Hilfe der Vernunft Fragen gestellt haben, war Sokrates; offenbar hat er zuviel Vernunft walten lassen, er wurde der Gotteslästerung und der Verderbung der Jugend angeklagt und musste den Giftbecher trinken.

 

3.2  Vom Nazarener bis zum 17. Jahrhundert

 

So langsam nähern wir uns dem Weltauftritt des Nazaraners. Gerade mal 300 Jahre später ließ Konstantin bereits Nichtchristen verfolgen. Bis zur Aufklärungzeit gab es keine nennenswerte Religionskritik, wer nur andeutungsweise etwas wagte, war tot.

Anders ausgedrückt, ab Konstantin bis zum Ende des 16. Jahrhunderts flossen Ströme von Blut im Namen des  Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das Allheilmittel gegen Kritik war Jahrhunderte lang die Inquisition.

 

3.3  Kritik im Zeitalter der Aufklärung bis zum 19. Jahrhundert

 

Die Auswirkungen vieler wissenschaftlicher Erkenntnisse (Gallilei, Kolumbus, Buchdruck, Darwin, Freud), die sich gegen den erbitterten Widerstand der römisch-katholischen Kirche durchsetzten, haben zu einem sich ändernden Bewusstsein geführt.

Einer der ersten religionskritischen Hardcoredenker war Baron von Holbach.

Im damaligen Deutschland kam auf dem Fuße Holbachs bereits Fichte und Kant und die späteren Denker, die die kritische Philosophie auf den Glauben richteten und zum Teil sogar noch im 19. Jahrhundert  staatliche Repressionen erleiden mussten, etwa Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Max Stirner,  Friedrich Wilhelm Nietzsche.

Fichte wurde wegen angeblichem Atheismus angeklagt und verlor seine Professorenstelle. Kant konnte sich mit einer angepassten Softkritik gerade noch eine Amtsenthebung vermeiden. Marx, Stirner und Nietzsche haben in Deutschland nie eine akademische Professorenstelle erhalten.

Feuerbach wegen der anonymen Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“, worin er den Unsterblichkeitsgedanken als Feind der Natur postulierte. Stirner (1844) wegen „Der Einzige und sein Eigentum“. Nietzsche hatte nach der Herausgabe der „Fröhlichen Wissenschaft“ und von „Antichrist“(1888) im damaligen Deutschland jegliche Chancen verspielt.  Andere deren Wirkung sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts entfaltete und beim Erscheinen der Werke bereits öffentliche Reputation besaßen, waren schon deutlich weniger angreifbar (Der Naturforscher Ernst Haeckel). Ich erwähne sie deshalb unter diesem Kapitel, weil gerade die Kritiker des angehenden 19. Jahrhunderts bereits mit Darwin vertraut waren.

Unter dem Einfluss des Ertönens der naturphilosphischen Posaune, schickte sich die Religionskritik allmählich an, Glaubensfragen auf dem Acker der Anthropologie, Psychologie und Soziologie zu untersuchen. 

Ich sehe es so:

Holbach hat den Acker gepflügt, Feuerbach ,Stirner und Marx haben gesät, Nietzsche hat die Saat hochgezogen und den Tauwind geschickt, um das verquaste und religiös verschrobene, ideologisierte und scholastisch vermuffte Denken in Bewegung zu setzen.

 

3.3.1  Baron von Holbach (1723-1789)

 

Baron von Holbach war ein Religionskritiker der Voraufklärungszeit, insbesondere mit seinem Werk „Système de la nature“

 

3.3.2  Voltaire (1694 - 1778)

 

Voltaire war Deist, bestreitete zwar nicht Gott, aber das Existenzrecht des Papismus (Papsttum).

 

3.3.3 Immanuel Kant  (1724 - 1804)

 

Es erscheint mir notwendig, über das Lebenswerk eines Menschen nachzudenken, der in der Wende zwischen Absolutismus bzw. aufgeklärtem Absolutismus und dem Zeitalter der Aufklärung kritische Gedanken zur Religion verfasst hat. Gleichwohl bedürfen aber auch seine Darlegungen wiederum einer kritischen Hinterfragung. Ich verstehe es so, dass der Keim der Aufklärung, die auch heute noch nicht beendet ist, sich nur weiterentwickeln kann, wenn man ständig hinterfragt, ob man es hätte noch besser machen können. Des Umfangs wegen ist meine Betrachtung und Hinterfragung von Kants religionskritischem Gesamtwerk Gegenstand einer gesonderten Betrachtung, so dass ich an dieser Stelle nur ansatzweise andenken möchte.

Kants Religionskritik ist nämlich wahrlich ein schwieriges Ding, es ist  von allem was zu finden.

Der Anfang zeigt ein Frühwerk eines Kant, der  aus ontologischen Gründen, Gott bewiesen zu haben glaubte, also nicht aus Vernunfts- oder Zweckmäßigkeitsgründen (1763, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes).

In der KRV (1791) offenbarte er sich als Teilagnostiker, der keine vernunftsgegründete Beweisbarkeit Gottes sah, jedoch darlegte, aus subjektiven Gründen an Gott zu glauben.

In der KRP (1788) zeigte er einen relativierenden Softglauben und vertrat die Erkennbarkeit Gottes als Postulat der praktischen Vernunft und das Weiterleben nach dem Tode.

In der RGV (1793) zückte er gegen die etablierte Kirche und die Obrigkeit ganz entscheidend den Stachel und ersetzte den geoffenbarten historischen Kirchenglauben gegen den Vernunftglauben unter Ablehnung religiöser Fetischhandlungen wie Beten, Kirchgang, Taufe oder Kommunion, den Blödsinn des Aberglaubens und den Wahnsinn der Schwärmerei.

In der Schrift (1898, Der Streit der Fakultäten) verteidigt er 5 Jahre später seine Positionen der RGV, offenbarte jedoch darin aufgrund eines gegen ihn am 1 Oktober 1794 gerichteten Religionsediktes die Verpflichtung zum religiösen Stillschweigen. Jedoch konnte er es sich nicht verkneifen, den Anspruch der Theologie auf Vormundschaft gegenüber anderen Wissenschaften grundlegend zurückzuweisen.

Kant wird allgemein als Meisterdenker angesehen, seine Satzbildung, seine Grammatik sind für Leser des 21. Jahrhunderts -gelinde gesagt- eine wirkliche Zumutung. Satzaufbau und Interpunktion seiner Originalschriften zeigen lt. Verfasser der Akademieausgabe Spuren von Verwahrlosung. Damit aber gut.  Wahrscheinlich liegt es an der Beschränktheit meiner persönlichen Erkenntnisfähigkeit, die mich im Gegensatz zu manchen bedeutenden Zeitgenossen Kants nicht zum Schluss führte, sein Denken sei eine kopernikanische Wende. Tatsächlich gelesen haben es zu seiner Zeit wohl nicht sehr viele. In seiner späteren Verteidigungsschrift (Streit der Fakultäten)  gegenüber dem königlichen Edikt verteidigt er sich übrigens mit genau diesem Argument.

Soweit nun Kant in seiner Schrift vom 5.12.1783 die Aufklärung als den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit postuliert, gilt ihm insoweit meine Anklage, dass er in dem gegen die Metaphysik gerichteten Werk „Kritik der reinen Vernunft" die Glaubensfrage nicht entscheidend miteinbezogen hat. Ich unterstelle ihm, dass er um den Naturzustand des Nichtglaubens als a priori Zustand wusste, schließlich hatte er sogar Vorlesungen über Anthropologie gehalten. Damit hätte er aber auch eindeutig die Position dafür beziehen müssen, dass Glauben nur angelerntes und weitergegebenes Wissen aus den Erfahrungen der Urhorde ist. Dies fällt aber nicht nur mir nach über 200 Jahre nach Kants Tod auf, sondern war auch schon Gesprächsstoff zu seinen Lebzeiten.

Karl Vorländer schrieb 1924 (Immanuel Kant, der Mann und sein Werk):

„Aber auch die Berliner Aufklärer vom Schlage Nicolais fanden sich enttäuscht. Seine Kritik der reinen Vernunft hatte ihre schönen Beweise für das Dasein Gottes umgeblasen, seine praktische Vernunft ihre Nützlichkeits- und Glückseligkeitsethik überwunden, seine Kritik der Urteilskraft ihren flachen Kunsttheorien den Rest gegeben. Und nun fühlten sie sich von neuem unzufrieden, da der kritische Philosoph nicht mit alledem in Christentum und Bibel aufgeräumt hatte, was ihrem "gemeinen Menschenverstand" über die Schnur ging. "Es muß also", schrieb die 'Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek' in einer Besprechung der Schrift, "nach Kants Meinung in Sachen des Kirchenglaubens alles recht hübsch beim Alten bleiben, und die Stützen des religiösen Aberglaubens können nicht abgeschafft, sondern müssen als die unentbehrlichen Fundamente einer moralischen Religion immer beibehalten werden".

Welche Gründe mögen ihn dazu bewogen haben, auf halbem Wege stehen zu bleiben und im gleichen Atemzug nach der Zertrümmerung der Beweisbarkeit Gottes in der KRV davon sprach, dass er das Wissen  aufheben müsse, um Platz für den Glauben zu bekommen?

Kants Vernunftshingezogenheit erreicht in ihrer Spitzfindigkeit Höchstwerte, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob er er im Stillen wirklich an die Existenz eines Gottes glaubte. Vielleicht hat er aber den nach außen vorgegebenen Glauben nur benutzt, um sich an der Demontage des Gottesglaubens soweit als möglich  zu versuchen. Eine Grenze, bis zu der er sich gerade noch bewegen konnte, ohne die staatliche Gewalt in der Form der Entfernung aus dem Professorenamt oder Beschränkung seiner Freiheit befürchten zu müssen.

Selbst in seinem Radikalwerk „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ließ er das Gotteskonstrukt ungeschoren, nur die Gewichtung hat er umverlagert. Im Wesentlichen wandte er sich gegen eine an der Idee orientierten devoten und geheuchelten Praxis der Gottesverehrung, statt die Tugend der Idee selbst zu leben.

Heinrich Heine hat seine Wandlung in der praktischen Vernunft dahingehend glossiert, dass Kant seinem Diener Lampe den Gott nicht wegnehmen wollte.

Ich stehe bis auf weiteres in der Überzeugung, dass ein bedingungsloses Heraustreten des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit auch das völlige Verwerfen des Postulats eines Gottes erfordert hätte.

Sicher ist es schwierig, aus der heutigen Zeit diesen Aspekt zu beurteilen, deshalb sei dies letztlich wohl doch etwas gnädiger zu beurteilen, denn man muss sich selbst fragen, welche Nachteile man eines Schriftsatzes wegen hinzunehmen bereit wäre.

 

3.4  Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814), 1799 

 

Fichte, seit 1794 Professor in Jena,  war Mitherausgeber des „Philosphischen Journals“ und hat 1798 den Grund des Glaubens an Gott untersucht.

Dies führte am 19.11.1798 zur Konfiszierung des Blattes und dem Erlass eines Reskripts an die Universitäten. Damit wurde der Atheismusstreit ausgelöst, in dem Fichte die Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit vorgeworfen wurde. Aber immerhin, während Sokrates noch den Giftbecher nehmen musste, brauchte Fichte nur seine Professur abgeben.

Es erging von Seiten des Staates: 

„Kurfürstlich-Sächsisches Reskript an die Universitäten Leipzig und Wittenberg vom 19. November 1798

Von Gottes Gnaden, Friedrich August, Kurfürst usw. Würdige, Hochgelehrte, Liebe Andächtige und Getreue.

Wir haben wegen der in dem ersten und zweiten Aufsatze des ersten Hefts des von den Professoren zu Jena, Fichte und Niethammer, herausgegebenen Philosophischen Journals p. ao. 1798 enthaltenen atheistischen Äußerungen die Konfiskation dieser Schrift angeordnet. Und da wir zu den Lehrern unserer Universitäten das gegründete Vertrauen hegen, daß sie jede Gelegenheit, welche ihnen ihr Amt und ihr Einfluß auf die Jugend und das Publikum überhaupt an die Hand gibt, dazu benutzen werden, die angegriffene Religion mit Nachdruck, Eifer und Würde in Schutz zu nehmen und dafür zu sorgen, daß vernünftiger Glaube an Gott und lebendige Überzeugung von der Wahrheit des Christentums überall gegründet verbreitet und befestiget werde. So lassen wir Euch solches hierdurch unverhalten sein. Datum Dresden am 19. Nov. 1798.Heinrich Ferdinand v. Zedtwitz. Karl Gottlieb Kühn.“

An diesem Beispiel sehen wir wieder, wie unverhohlen die Staatskeule zum Schutze der Religion erhoben wurde. Aus heutiger Sicht nachvollziehbar. Jegliche erfolgreiche Kritik an der Religion konnte die Kritiker auch dazu bewegen, die Legitimation für den Bestand der staatlichen Herrschaft in Frage zu stellen. Immerhin lag die französische Revolution gerade mal erst 10 Jahre zurück. Eine Revolution, die in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt ausgeblieben war.

Acht Wochen später, Januar 1799 schrieb Fichte eine Entgegnungsschrift, die von einem für damalige Verhältnisse beachtlichen Mut zeugte. Wie ernst die Sache war, kann daraus ersehen werden, dass er die mögliche Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz für möglich hält:

 „J. G. Fichtes, des philosophischen Doktors und ordentlichen Professors zu Jena, Appellation an das Publikum über die durch ein Kurfürstlich Sächsisches Konfiskationsreskript ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen. Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert“

„Sie geben mich für einen Atheisten aus. Dies ist meine Sache: dagegen muß eine Verteidigung erfolgen, und ich selbst muß diese Verteidigung übernehmen.“

„Ich konnte zu dieser Beschuldigung nicht stillschweigen, ohne mich politischen Folgen, ohne mich der sichtbarsten Gefahr für meine bürgerliche Existenz, für meine Freiheit, vielleicht für mein Leben auszusetzen.“

 

3.5  Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)

 

Arthur Schopenhauer liegt auf der Zeitschiene der Religionskritiker zwischen Fichte und Feuerbach. Im Gegensatz zu Kant erfuhr er von der französischen Revolution in der Schule und er war finanziell unabhängig von staatlicher Anstellung an einer Universität.

 

3.5.1  Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweiter Band, Ergänzungen zum vierten Buch, Kapitel 41 - Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich (Zürcher Gesamtausgabe 1977; Erstausgabe 1819)

 

Schopenhauer lässt in Kapitel 41 „ Die Welt als Wille und Vorstellung“  noch durch die Blume erkennen, dass sich seine Kritik an der Beinflussung von jungen Menschen an die Bettgenossenschaft von Staat und Kirche richtet. Er spricht hier auch schon von Prägung und Beeinflussung, beides Bereiche, mit denen sich später moderne Wissenschaften beschäftigen sollten.

Er kritisiert de facto die tiefgreifende religiöse Indoktrination der kleinen Kinder und jungen Menschen, mit der Folge, dass diese dann im gereiften Erwachsenenalter zu keinem selbstkritischen Denken mehr fähig seien. Ohne diese Beeinflussung könnten sie erkennen, dass das Heilmittel für die Todesgewissheit nicht von einer Religion, sondern von der Natur selbst komme. Dabei wies er auf einen Bruch in der Denklogik hin.

 

Obwohl man aus dem Nichts komme, solle man plötzlich auf ein ewiges Leben hoffen dürfen und dieses könne auch nur mit der christlichen Taufe verwirklicht werden.

 

„Es ist in der That eine bedenkliche Sache, dem Menschen in dieser wichtigen Hinsicht schwache und unhaltbare Begriffe durch frühes Einprägen aufzuzwingen, und ihn dadurch zur Aufnahme der richtigeren und standhaltenden auf immer unfähig zu machen. Z.B. ihn lehren, daß er erst kürzlich aus Nichts geworden, folglich eine Ewigkeit hindurch Nichts gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Andern, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle.“

 

Schopenhauer sollte jedoch noch deutlicher werden.

 

„Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehn, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte.“

 

3.5.2  Parerga und Paralipomena, zwei Bände ,1851 , Kapitel XV -Über die Religion, § 174. ein Dialog zwischen Demopheles und Philaletes

 

Schopenhauer lässt im Dialog -§ 174- zwei Personen gegeneinander antreten, nämlich Demopheles als Volksfreund und Philaletes, den Freund der Wahrheit.

 

Der Ausgang bleibt unklar. Nach Schopenhauer bestehe die Existenzberechtigung der Religion und des Glaubens nur darin, dass  damit ein „metaphysisches Grundbedürfnis“ des Menschen befriedigt werde, im Kern sei jedoch die Religion jedoch unwahr, ein Trug und eine Lüge.

 

Gleich am Anfang verteidigt Demopheles gegenüber Philaletes die Notwendigkeit, die Religion dem Volk als metaphysisches Trostmittel gegen das Leiden und den Tod zu lassen.

 

Das hört sich fast so an wie es wenig später Marx mit der Formulierung „Opium des Volkes“ beschrieb.

 

„Die Religion ist die Metaphysik des Volks, die man ihm schlechterdings lassen und daher sie äußerlich achten muß: denn sie diskreditiren heißt sie ihm nehmen. Wie es eine Volkspoesie giebt und, in den Sprichwörtern, eine Volksweisheit; so muß es auch eine Volksmetaphysik geben. Sie ist allemal eine allegorische Einkleidung der Wahrheit, der Fassungskraft des Volkes angemessen, und leistet, in praktischer und gemüthlicher Hinsicht, d.h. als Richtschnur für das Handeln und als Beruhigung und Trost im Leiden und im Tode, vielleicht eben so viel, als die Wahrheit, wenn wir sie besäßen, selbst leisten könnte. Daher, mein Lieber, ist, nimm mir's nicht übel, sie zu verspotten, beschränkt und ungerecht zugleich.“

 

Schopenhauer lässt Philaletes vortragen, dass es der Kirche anlässlich ihrer eigenen Geschichte der Menschenverachtung und Menschenvernichtung nicht zukomme, Toleranz zu predigen. Interessant ist Schopenhauers Beständigkeit seiner Sicht der Dinge über Jahrzehnte hinweg. 32 Jahre nach „Die Welt als Wille und Vorstellung, § 41“ lässt er durch die Figur Philaletes in „Parerga und Paralipomena“ wiederholen, dass die religiöse frühkindliche Indoktrination die Fähigkeit zum eigenen Denken und unbefangenen Urteilen beeinträchtige.

 

„Ziemt es dem, Toleranz, ja, zarte Schonung zu predigen, der die Intoleranz und Schonungslosigkeit selbst ist? Ich rufe Ketzergerichte und Inquisitionen, Religionskriege und Kreuzzüge, Sokrates' Becher und Bruno's Scheiterhaufen zum Zeugen an! Und ist es nun damit zwar heut zu Tage vorbei; was kann dem ächten philosophischen Streben, dem aufrichtigen Forschen nach Wahrheit, diesem edelsten Beruf edelster Menschheit, mehr im Wege stehn, als jene konventionelle, vom Staate mit dem Monopol belehnte Metaphysik, deren Satzungen jedem Kopfe, in frühester Jugend, eingeprägt werden, so ernstlich, so tief, so fest, daß sie, wenn er nicht von mirakuloser Elasticität ist, unauslöschlich haften, wodurch seiner gesunden Vernunft Ein für alle Mal das Koncept verrückt wird, d.h. seine ohnehin schwache Fähigkeit zum eigenen Denken und unbefangenen Urtheilen, hinsichtlich auf alles damit Zusammenhangende, auf immer gelähmt und verdorben ist.“ 

 

  

3.6  Ludwig Feuerbach (1804 - 1872), 1841

 

Spätestens an dieser Stelle stoßen wir auf Ludwig Feuerbach, einer der Vordenker Nietzsches. Was haben wir Feuerbach, den in der Regel noch nicht einmal Abiturienten kennen, zu verdanken?

Ich meine, wir haben Feuerbach zu verdanken, dass er sich daran gemacht hat, die Lehre von Gott in seiner Zeit der aufkommenden Wissenschaft der Anthropologie als das zu erkennen , was sie in Wirklichkeit ist. Damit hat er meines Erachtens einen größeren und schwergewichtigeren Beitrag als Nietzsche geleistet.

Also hier fällt mir eine vergleichende Betrachtung zu Sokrates ein. Soweit Sokrates die Philosophie vom Himmel zur Erde geholt haben soll, wird wohl Feuerbach die Religion vom Himmel geholt und der menschlichen Stammesgeschichte zugeordnet haben. Für Feuerbach war Religion nämlich nicht eine Wissenschaft über Gott, sondern die Wissenschaft über den Menschen. 

Aus seinem ersten im Jahre 1841 erschienenen Hauptwerk „Das Wesen des Christentums“ lese ich die Kurzformel “Theologie ist tatsächlich Anthropologie“.

Er schreibt: 

„Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. Gott ist nicht, was der Mensch ist - der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott ist vollkommen, der Mensch unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft. Gott und Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller Realitäten, der Mensch das schlechtweg Negative, der Inbegriff aller Nichtigkeiten. Aber der Mensch vergegenständlicht in der Religion sein eigenes geheimes Wesen.“

 

7 Jahre später meinte Feuerbach im Revolutionsjahr 1848 in seiner dritten Heidelberger Vorlesung , dass der Mensch mit der Religion sein eigenes Wesen anbetet. Er führte auch wörtlich auf, dass die Religion ein Machtmittel zur Unterdrückung der Menschen sei.:  

 

„Mir war und ist es vor allem darum zu tun, das dunkle Wesen der Religion mit der Fackel der Vernunft zu beleuchten, damit der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen. Mein Zweck war, zu beweisen, dass die Mächte, vor denen sich der Mensch in der Religion beugt und fürchtet, denen er sich nicht scheut, selbst blutige Menschenopfer darzubringen, um sie sich günstig zu machen, nur Geschöpfe seines eigenen, unfreien, furchtsamen Gemütes und unwissenden, ungebildeten Verstandes sind, zu beweisen, dass überhaupt das Wesen, welches der Mensch als ein anderes von ihm unterschiedenes Wesen in der Religion und Theologie sich gegenübersetzt, sein eigenes Wesen ist, damit der Mensch, da er doch unbewusst immer nur von seinem eigenen Wesen beherrscht und bestimmt wird, in Zukunft mit Bewusstsein sein eigenes, das menschliche Wesen zum Gesetz und Bestimmungsgrund, Ziel und Maßstab seiner Moral und Politik mache."  

Besonders einleuchtend für den rein menschlichen Ursprung der Religionen ist die Art und Weise, wie sie ihre Eifersucht präsentieren.  Feuerbach prägte dazu den Satz „Die frühere Religion ist der spätern Götzendienst“.  

Er meinte damit, dass sich die neue Religion nur durch Denunzierung der alten Religion profilieren und Macht gewinnen könne. Die neue Religion verwendet gegenüber der alten Religion immer das gleiche Totschlagsargument, die Verehrung der alten Religion sei Götzendienst.     

Hierzu untersuchte Feuerbach auch die Tatsache, dass jede Religion, insbesondere die theistischen, für sich reklamieren, die einzig wahre Religion zu sein. 

Ernst Haeckel war zu diesem Zeitpunkt gerade 7 Jahre alt, 59 Jahre später sollte er diese Gedanken im Jahre 1899 erneut einbringen und noch verschärfen.      

 

3.7  Karl Marx (1818-1853), 1844  

 

Um es vorwegzunehmen, nein sein wohl berühmtestes Zitat „Religion ist das Opium des Volkes“ steht nicht in seinem Hauptwerk „Das Kapital“, sondern in der 1844 in den deutsch-französischen Jahrbüchern erschienenen Kurzschrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.“

Diese Schrift hat dann in das Gesamtwerk Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 378-391 Eingang gefunden.

Drei Jahre nach Ludwig Feuerbachs „Das Wesen des Christentums“  schließt sich Marx im Wesentlichen der anthropologischen Religionsbegründung Feuerbachs an, indem er sich darauf festlegt, dass die Religion vom Menschen gemacht wird und nicht die Religion den Menschen machte. Sie sei der Seufzer der bedrängten  Kreatur. Das Volk könne erst dann irdisches Glück erlangen, wenn das illusorische Glück durch die Aufhebung der Religion aufgehoben ist.

Zitat:

„Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.

Die profane Existenz des Irrtums ist kompromittiert, nachdem seine himmlische oratio pro aris et focis |Gebet für Altar und Haushalt| widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine Wirklichkeit sucht und suchen muß.

Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind.

Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur |Ehrenpunkt|, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.

Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“

 

 

3.8.1 Fröhliche Wissenschaft

 

An dieser Stelle möchte ich Nietzsches Religionskritik nur kurz und knackig anreißen, da ich den Vorwurf, Nietzsche sei der Mörder Gottes gewesen, in einer anderen Betrachtung bereits untersucht habe. Nietzsche bekannte sich im Druckmanuskript zu „Ecce homo“, welches erst nach seinem Tode als Buch veröffentlicht wurde, in Nr. 1 des Kapitels „Warum ich so klug bin“ als „instinktmäßigen Atheisten“.

Ich möchte seinem im Jahre 1882 erschienenen Werk „Fröhliche Wissenschaft“ drei Wirkungen zuordnen:

Im Aphorismus 108 (3.Buch) diagnostizierte er den Tod Gottes;

Im Aphorismus 125 verkündete er den Tod Gottes und stellte den Totenschein aus.

Im Aphorismus 125 (5.Buch) beschrieb er die Auswirkungen des Todes Gottes und legte die fürchterliche Prophetie für das kommende 20. Jahrhundert dar.

 

3.8.2 Morgenröte

 

Im Jahre 1886 beschreibt Nietzsche in Nummer 62 von „Morgenröte“  den Ursprung von Religion. Er sieht diesen im Grundgefühl des pessimistischen Zweifels, den der Mensch über seine eigene Selbstmächtigkeit  hat.

„Vom Ursprung der Religionen. – Wie kann einer seine eigene Meinung über die Dinge als eine Offenbarung empfinden? Dies ist das Problem von der Entstehung der Religionen: jedesmal hat es einen Menschen dabei gegeben, in welchem jener Vorgang möglich war. Die Voraussetzung ist, daß er vorher schon an Offenbarungen glaubte.

Nun gewinnt er eines Tages plötzlich seinen neuen Gedanken, und das Beseligende einer eigenen großen, Welt und Dasein umspannenden Hypothese tritt so gewaltig in sein Bewußtsein, daß er sich nicht als Schöpfer einer solchen Seligkeit zu fühlen wagt und die Ursache davon und wieder die Ursache der Ursache jenes neuen Gedankens seinem Gotte zuschreibt: als dessen Offenbarung

Wie sollte ein Mensch der Urheber eines so großen Glückes sein können! – lautet sein pessimistischer Zweifel. Dazu wirken nun im Verborgenen andere Hebel: zum Beispiele man bekräftigt eine Meinung vor sich dadurch, daß man sie als Offenbarung empfindet, man streicht damit das Hypothetische weg, man entzieht sie der Kritik, ja dem Zweifel, man macht sie heilig.

So erniedrigt man sich zwar selber zum Organon, aber unser Gedanke siegt zuletzt als Gottesgedanke, – dieses Gefühl, damit am Ende Sieger zu bleiben, erringt die Oberhand über jenes Gefühl der Erniedrigung.

Auch ein anderes Gefühl spielt im Hintergrunde: wenn man sein Erzeugnis über sich selber erhebt und scheinbar vom eigenen Werte absieht, so gibt es doch dabei ein Frohlocken von Vaterliebe und Vaterstolz, das alles ausgleicht und mehr als ausgleicht.“

 

3.8.3 Antichrist

 

Schließlich sein Werk Antichrist (1888), es  war die Abrissbirne für das illusorische Glücksgebäude des christlichen Glaubens. In meiner fünften agnostischen Frage habe ich mich dazu geäußert.

 

3.9 Ernst Haeckel (1834-1919), 1899

 

Einige Zeit später ließ sich im zu Ende gehenden 18. Jahrhundert erstmals ein Naturforscher darauf ein. Es war der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel Sein Leben war insbesondere geprägt vom Eintreten für die Verbreitung der Lehre Darwins und der Auseinandersetzung mit den Kreationisten.

In seiner Religionskritik forderte er auch vehement die Abschaffung des Religionsunterrichtes. In seiner Zeit war dies natürlich eine ungeheuerliche Forderung.

1899 erschien Haeckels  Hauptwerk „Die Welträtsel“. Er bezeichnete im 16. Kapitel „Wissen und Glauben“ den christlichen Glauben als Aberglauben und führte auf, dass der in der Regel entstehende Fanatismus zu fürchterlichen Glaubenskriegen führen kann:

„Werfen wir von diesem unbefangenen Standpunkte einen kritischen Blick auf die gegenwärtig noch herrschenden Glaubensvorstellungen der heutigen Kulturvölker, so finden wir sie allenthalben von traditionellem Aberglauben durchdrungen. Der christliche Glaube an die Schöpfung, die Dreieinigkeit Gottes, an die unbefleckte Empfängnis Maria, an die Erlösung, die Auferstehung und Himmelfahrt Christi usw. ist ebenso reine Dichtung und kann ebenso wenig mit der vernünftigen Naturerkenntnis in Einklang gebracht werden, wie die verschiedenen Dogmen der mohammedanischen und mosaischen, der buddhistischen und brahmanischen Religion.

Jede von diesen Religionen ist für den wahrhaft »Gläubigen« eine zweifellose Wahrheit, und jede von ihnen betrachtet jede andere Glaubenslehre als Ketzerei und verderblichen Irrtum.

Je mehr eine bestimmte Konfession sich für die »allein selig machende« hält – für die »katholische« – und je inniger diese Überzeugung als heiligste Herzenssache verteidigt wird, desto eifriger muß sie naturgemäß alle anderen Konfessionen bekämpfen, und desto fanatischer gestalten sich die fürchterlichen Glaubenskriege, welche die traurigsten Blätter im Buche der Kulturgeschichte  bilden. Und doch überzeugt uns die unparteiische »Kritik der reinen Vernunft«, daß alle diese verschiedenen Glaubensformen in gleichem Maße unwahr und unvernünftig sind, Produkte der dichtenden Phantasie und der unkritischen Tradition. Die vernünftige Wissenschaft muß sie samt und sonders als Erzeugnisse des Aberglaubens verwerfen.“ 

 

4. Neue Wege  

 

Trotz aller Bemühungen der bisherigen Religionskritiker haben seit Nietzsche schon wieder Millionen Menschen aus religiösen Gründen ihr Leben verloren.       

Wie kann die Religion, egal in welcher Ausrichtung, die in der menschlichen Geschichte hundertmillionenfacher Beweggrund dafür war, dass Menschen ihrer Lebenszeit und des Anblicks der Sonne beraubt wurden und noch immer werden, gut sein. Sie kann es wohl schon, aber immer nur auf den einzelnen Menschen oder eine Gruppe von Menschen bezogen; als Bewegung kann sie den Anspruch nicht erfüllen.  

Hier sei zu verdeutlichen, dass jede religiöse Ideologisierung ins Abseits führt.  

Dies gilt aber auch für die Ideologisierung allgemein, also auch für den harten Atheismus zutreffen, soweit er politisch instrumentalisiert wurde, so etwa bei Stalin oder Mao-Tse-Tung.

Es sind immer die Anfänge, aus denen sich gefährliche Ausnahmemenschen entwickeln, meinte Nietzsche in „Jenseits von gut und böse“.  

Die sitzen aber nicht nur in Diktaturen, Gotteskrieger gibt es auf allen Seiten, Durchgeknallte finden sich auch in Demokratien. Sie werden, das müssen wir uns vergegenwärtigen, nicht als solche geboren. Sie werden dazu gemacht, durch Prägung und Sozialisation.  

Die Auffassung von Hans Küng, ohne Religionsfriede sei kein Weltfriede möglich, möchte ich insoweit ergänzen, dass Religionsfriede erst dann möglich ist, wenn es keine Religion -zumindest keine theistischen Religionen- mehr gibt.  

Ich denke, die Menschen brauchen eine Entideologisierung der Religion.

Der Mut zum Laizismus erfordert dann auch, dass - wie es bereits Ernst Haeckel 1899 forderte- kein Religionsunterricht mehr stattfindet, religiöse Symbole aus Schulen und Krankenhäusern entfernt, religiöse Bezüge aus Beeidungsformeln auch nicht alternativ verwendet werden, das Strafmonopol den § 166 STGB ersatzlos streicht und sich der Staat der Einziehung von Kirchensteuern enthält.  

Wer schreibt die Geschichte fort, wer ist dazu berufen, die Höhe zu befliegen, um zu ernten. Ich stehe in der festen Überzeugung, dass dies nur im Rahmen einer konzertierten Aktion aller vernünftig Denkenden gelingen könnte, der gemeinsame Entschluss, Kinder nicht mehr mit religiöser Ausrichtung zu erziehen.

Nur dann, wenn der neuen Saat im Sinne einer neuen Generation neue Werte vermittelt werden, kann sich etwas ändern. Erst dann, wenn keine Menschen mehr wegen religiösem Hass sterben werden, entsteht eine Fortschreibung der Menschlichkeit, ist der Acker für eine neue Ethik bestellt.  

Ein Wesen, welches absolute Wahrheiten zur Bewältigung seiner Angst und Furcht benötigt, konstruiert oder sich von irgendeiner charismatischen Persönlichkeit oder Gruppe aufoktroyieren lässt, kann niemals die Krone der Schöpfung sein.  

Bis dahin bleibt meine Gewissheit, dass der Glaube das Schauspiel der höchsten Unvollkommenheit des Menschen ist.