Rudi Kölmel im Dezember 2006 i.d.F. vom 26.04.2017

 

 

 

Wahrheit, die Suche nach einem Schatz

 

 

 

Die Suche nach der absoluten Wahrheit kann man zwar strukturell durchdenken, verstehen kann ich sie aber richtig nur an praktischen Beispielen. Die Frage ist allgegenwärtig, seit allen Zeiten und für alle Zeiten. Sie ist ein schönes, aber auch gefährliches, allzu häufig auch tödliches Phänomen.

 

Wahrheitstheorien sind zwar nicht so zahlreich wie die Blätter im Wald, umspannen aber die gesamte Menschheitsgeschichte. Da wird gesucht, gedeutet, geforscht und gewerkelt, viele behaupten, nur sie hätten recht, die absolute Wahrheit eben.

 

 

Ohne auf die vielfältigen Betrachtungsweisen der formalen logischen Wahrheit (Formal wahr = logisch richtig = widerspruchsfrei) oder der materiellen Wahrheit innerhalb der Denksysteme ( Dogmatismus, Skeptizismus, Kritizismus und absolute Philosophie) eingehen zu wollen, ist für mich die Frage viel wichtiger, weshalb Menschen überhaupt Wahrheit suchen.

 

Ich verstricke mich in diesem Wirrwarr von Suchenden, es erscheint mir notwendig die Komplexität dieser Zwölferpotenzen herunterzurechnen. Dabei fällt mir auf, dass es mir wichtiger ist, zu ergründen, weshalb die Menschen überhaupt Wahrheiten suchen oder ihnen erliegen, als der Frage nachzugehen, ob es denn vielleicht doch eine absolute Wahrheit gibt.

 

Platon zumindest meinte diese in den Ideen zu finden. Sei es drum.

 

  

Die Menschen konstruieren sich aufgrund ihrer persönlichen Kognition und kulturellen Eingebundenheit eine Wirklichkeit und nennen das ganze dann Wahrheit mit dem Anspruch, auch eine objektive Wirklichkeit abzubilden.

 

 

Weshalb ist dies aber so, wo liegt der Grund dazu?

 

Nun wissen wir durch die Ethologie (Lorenz) und Humanethologie (Tinbergen), dass alle menschlichen Verhaltensweisen ihre Triebfeder, mithin einen Urgrund, haben. Also etwa das überragende Sicherheitsbedürfnis oder das Bedürfnis zur Ausübung von Macht als Teil des Aggressionstriebes. Das entspricht der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen, der Phyolgenese.

 

 

In dieser Gestimmheit entsteht dann etwa eine religiöse oder politische Fiktion oder einfach nur eine schlicht-individuelle Einstellung zu Etwas. Mindestens das Unterbewusstsein sorgt nun dafür, damit kommt die Psychologie ins Spiel, dass die erklärte=konstruierte Wahrheit zur angeblichen objektiven Wahrheit mutiert.

 

Ich erkläre es mir immer damit, man solle den schiefen Turm von Pisa von 100 Menschen beschreiben und malen lassen, es werden 100 verschiedene Wahrheiten.

 

Das ist dann eben gerade die Legitimation, die der einzelne Mensch wie ein Mäntelchen über seine Handlungsweisen hängt, um allein sie als richtig und gut erscheinen zu lassen.

Damit komme ich zum Ernst der Sache, den Auswirkungen der absoluten Wahrheit. Die sogenannte Wahrheit oder absolute Wahrheit gehört zu den am meisten strapaziertesten menschlichen Begriffsbildern.

 

So entstehen Erklärungsmuster für die einzig wahre Religion oder die Legitimation für die von Politikern erklärten gerechten Kriege. Die absolute Wahrheit ist eine der größten Sehnsüchte des kleinen Menschen.

Die Bestimmenden wissen dies natürlich, auch diejenigen, die dies wissenschaftlich erforscht haben, etwa der französische Soziologe Le Bon ( 1841 - 1931) in seinem 1895 erschienenen Werk "Psychologie der Massen" (Psychologie de foules).

Er formulierte

" Die Menge wird sich immer denen zuwenden, die ihr von absoluten Wahrheit erzählen, und wird die anderen verachten"

 

  

Mich würde mal interessieren, wie viele Menschen wegen angeblichen Wahrheiten im Verhältnis zu großen Krankheiten gestorben sind, dabei habe ich ein ungutes Gefühl.

 

Dies führt auch dazu, dass ich Fragen stelle, Fragen nach Auswegen. Könnte vielleicht der Skeptizismus ein Ausweg sein, sein Wesen ist nämlich die Verweigerung gegenüber absoluten Wahrheiten. Dies wurde schon viel früher erkannt, etwa durch Kant.  So sprach Kant mit seinem agnostisch-skeptizistischen Hintergrund in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ vom „unerkennbaren Ding an sich“. Er meinte damit, dass nicht die Dinge an sich erkennbar sind, sondern nur die Erscheinungen, also die Phänomene.

 

  

Damit taucht erstmals wissenschaftlich auf, was zwischenzeitlich durch den Diskurs längst zementiert ist, dass es ein "unbedingt erstes und umfassendes Prinzip für alle Wahrheiten" nicht gibt.

Hieraus reultiert die für mich entsheidende Frage.

 

Ich frage mich, weshalb hat sich dies in unserem hyperthropierenden Informationszeitalter noch nicht um den Erdball herumgesprochen hat. Wenig hoffnungsvoll habe ich einstweilen für mich die Antwort in der Anthropologie  gefunden.

 

Der kleine Mensch lässt sich nämlich immer wieder aufs Glatteis führen, weil er seine Affekte nicht beherrschen kann. Deshalb wird wohl auch das Sterben im Namen der absoluten Wahrheiten weitergehen.

 

Weshalb also, kommt diese einfache Erkenntnis nicht bei den Menschen an.

 

Wie schaffen wir diesen neuen Hunger, dazu müsste Zarathustra wohl ein zweites Mal von seinem Berg herunterkommen.